Pressekommentare zu den Lebensmittelpreisen

„Schuld sind immer die anderen – in die Röhre gucken die Bauern“

Trotz Corona, trotz Präsidentenwechsel in den USA: Die Medien übersehen nicht, dass hierzulande gerade ein überaus harter Preiskampf zwischen Landwirtschaft und Lebensmittelhandel ausgetragen wird.

Corona dominiert derzeit die Nachrichtenlage, ebenso die Berichterstattung aus den USA zu den Unruhen und Debatten rund um den Präsidentenwechsel. Gleichwohl übersehen die Medien nicht, dass hierzulande gerade ein überaus harter Preiskampf zwischen Landwirtschaft und Lebensmittelhandel ausgetragen wird. So heißt es an prominenter Stelle im HANDELSBLATT aus Düsseldorf:

„Landwirte protestieren seit Wochen gegen Dauerschnäppchen vor allem bei Fleisch, große Handelsketten sind auch schon auf die Erzeuger zugegangen. Doch der Lebensmittelmarkt bleibt 2021 im Blick der Politik, die dem ständigen Kostendruck deutlichere Schranken setzen will. Auch Verbraucherschützer kritisieren extreme Preiskämpfe – und fordern ein stärkeres Einbeziehen von Kosten für mehr Umwelt- und Tierschutz direkt in die Nahrungsproduktion.“

Die TAGESZEITUNG aus Berlin macht auf folgendes aufmerksam:

„Deutsche Bauern behaupten vermehrt, billigere Lebensmittelimporte würden ihre eigenen Produkte verdrängen. Auch deshalb lehnen sie schärfere Umwelt- und Tierschutzvorschriften ab, die ihre Produktionskosten erhöhen würden. Der Deutsche Bauernverband fordert eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung. Die Discounter machten aber keine Angaben dazu, woher die Rohstoffe von in Deutschland hergestellten Nahrungsmitteln kommen. Der Verband Freie Bauern und eine unabhängige Gruppe von Landwirten hatten vor kurzem beim weltgrößten Fertigpizza-Hersteller, Freiberger, in Berlin gegen den Preisdruck demonstriert, den die Branche durch ,Verwendung billigster Rohstoffe aus dem Ausland gegen die heimische Landwirtschaft ausübt'. Freiberger ist eine Tochterfirma des Südzucker-Konzerns, einer Genossenschaft von Bauern. In deren Aufsichtsrat sitzt auch der Präsident des Bauernverbands, Joachim Rukwied.“

Laut Statistik produziere die deutsche Landwirtschaft rund 90 Prozent der Lebensmittel, die hierzulande verbraucht werden. Der Selbstversorgungsgrad bei Schweinefleisch liege bei 120 %, bei fast allen Milcherzeugnissen ebenfalls bei über 100 %. Weiter heißt es in dem Blatt: "Auch Reinhard Jung, Pressesprecher der Freien Bauern, schätzt, ,dass die allermeisten in Deutschland verbrauchten Agrarrohstoffe aus Deutschland kommen (schon um Transportkosten zu sparen)'. Aber die Verwendung ausländischer Billigprodukte brauche keine relevante Größenordnung zu erreichen, um den deutschen Bauern zu schaden. ,Allein die Tatsache, dass sie erfolgt und jederzeit beliebig ausgedehnt werden kann, reicht aus, um die Preise für uns massiv zu drücken. Mit einer verpflichtenden Herkunftskennzeichnung wäre die beliebige Ausdehnbarkeit (so der Verbraucher mitspielt) erheblich eingeschränkt', schrieb Jung der Tageszeitung."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU greift einen Werbeslogan auf, der 2002 Furore machte und bis heute unvergessen ist: „Geiz ist nicht mehr geil“ überschreibt das Blatt seinen Leitkommentar zum Thema, in dem es unter anderem heißt:

"Was kommt dabei heraus, wenn Nahrung jahrzehntelang allein mit dem Ziel der Gewinnoptimierung produziert wird? Das Ergebnis kann man in jedem Supermarkt beweinen. Agrarministerin Klöckner schlägt als Abhilfe die zigste Kennzeichnung vor. Dadurch ändert sich das Verhalten vor dem Regal bestimmt nicht. Zu tief wirkt die ,Geiz ist geil'-Gehirnwäsche der großen Handelsketten. Es bedarf eines grundsätzlichen Umdenkens in der ganzen Lieferkette. Billigpreise sind nur möglich, weil die industrielle Fertigung Umweltkosten vernachlässigen kann. Würden diese etwa bei der konventionellen Fleischerzeugung eingerechnet, würde ein Kilo Schnitzel statt 1,48 € dann 1,90 € kosten, wie eine Studie von Foodwatch zeigt. Die Differenz zum Biofleisch wäre nur minimal. Das würde gerade Geringverdiener etwas stärker belasten. Aber die Kosten für die Zerstörung der Umwelt müssen alle schon jetzt bezahlen. Es wird Zeit, sie an der richtigen Stelle einzupreisen und die Landwirtschaft fair dafür zu entlohnen."

Die Politik ist gefragt

Der WESER-KURIER aus Bremen urteilt:

„Geld wird in der Lebensmittelbranche reichlich umgesetzt, es sind Milliarden. Daran mitverdienen wollen aber viele Akteure. Molkereien und Schlachtereien, Lebensmittelkonzerne und Einzelhandelsketten. Den Preis, so heißt es, bestimmten der globale Markt, Angebot und Nachfrage und nicht zuletzt die Verbraucher, die angeblich immer auf der Jagd nach Schnäppchen sind. Es hat sich über die Jahre eine Rollenverteilung etabliert, die es allen Beteiligten leicht macht, Verantwortung zu delegieren. Schuld sind immer die anderen – und in die Röhre gucken die Bauern, die am Anfang der Wertschöpfungskette stehen. Auf sie wirkt das Ganze wie ein einstudiertes Schauspiel.
Die Politik, die den Rahmen für das Handeln vorgeben sollte, begnügt sich zu oft mit der Rolle des Moderators. Sie will es allen recht machen. Den Kunden, Konzernen, Umweltschützern und den Bauern – und am Ende sind alle unzufrieden. Dabei kann Politik auch anders, sie muss sich nur trauen. Dass Lidl und Kaufland unter dem Druck der Proteste 50 Mio. € an Schweinebauern ausschütten wollen, (...) zeigt auch, dass es Spielraum gibt, dass die Politik den Beteiligten ruhig mehr als bisher abverlangen darf.“

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