Ulf Allhoff-Cramer nahm kein Blatt vor den Mund: „Die Politik schützt nicht unsere Höfe, nicht unsere Wälder und nicht unsere Lebensgrundlage. Sondern sie schützt die Industrie, die das Klima schädigt. Das ist ein Skandal!“ Als Betroffener spüre der Landwirt und Waldbauer aus Detmold die Folgen des Klimawandels stärker denn je: Nach drei Jahren Rekordhitze, Dürre, Missernten, vertrockneten Landstrichen und abgestorbenen bzw. kranken Waldökosystemen habe es dieses Jahr zerstörerische Sturzfluten mit nie dagewesenen Regenmengen gegeben. Die Politik habe trotz jahrzehntelanger Warnungen in der Klimakrise versagt. „Die Politiker sollten demütig innhalten, die Wissenschaft zu Rate ziehen und dann eine Politik für die künftigen Generationen machen“, forderte Allhoff-Cramer am Sonntag auf dem Lammertzhof in Kaarst. Hier hatte das Bäuerliche Klimabündnis (siehe Kasten) mehrere Landespolitiker zu einer Diskussion eingeladen – 50 Tage vor der Bundestagswahl und einen Tag nach den Protesten am Braunkohletagebau Garzweiler gegen die Klimapolitik der Bundesregierung.
Politik in der Pflicht
Auch Jan Leifert, Vorsitzender der Landesvereinigung Ökologischer Landbau NRW, nahm die Politik in die Pflicht: „Wir müssen das 1,5 Grad-Celsius-Ziel halten, wenn wir weiter Landwirtschaft betrieben wollen. Es gibt Klimaschutzgesetze in NRW, aber die Umsetzung kommt im Alltag zu kurz.“ Klimaschutz sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, aber Politik müsse den Rahmen setzen.
Das sah auch Ursula Heinen-Esser so: „Der Klimawandel ist in Mitteleuropa angekommen – und es wird nicht besser.“ Für die NRW-Umwelt- und Landwirtschaftsministerin gibt es zwei Handlungsfelder: Das Ziel von maximal 1,5 Grad Celsius Erderwärmung erreichen und die Folgen des Klimawandels abfedern. Den Vorwurf an die Politik, Warnungen ignoriert oder untätig gewesen zu sein, ließ Heinen-Esser aber nicht stehen. Denn wie sich genau Klimaschutzmaßnahmen umsetzen ließen, seien immer schwierige sowie zähe Verhandlungen. Und es sei auch nicht immer „die böse Industrie“, sondern vielfach das Verbraucherverhalten. Die Ministerin sicherte zu, den Braunkohle-Ausstieg voranzutreiben und den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu stärken. Allerdings: Bei Windenergie-Anlagen könne es zu Konflikten mit dem Naturschutz kommen, Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen lehnt sie ab.
Mindestpreise für Milch und Fleisch?
Die Rolle des Lebensmitteleinzelhandels beleuchtete Elmar Hannen vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter. Immer mehr Lebensmittel seien mit Mehrwerten aufgeladen. Die Erzeuger hätten die Kosten, der Handel die Marge – und habe insbesondere in der Corona-Pandemie Kasse gemacht. Der Agrardialog, ein Runder Tisch mit Erzeugern, Verarbeitern sowie Handel, habe das erkannt. Die Runde habe ein Preismodell entwickelt, dass sich an den Erzeugungskosten orientiere. Die Erzeugungskosten pro kg Milch bzw. Fleisch sei die Basis, zusätzliche Mehrwerte würden extra kosten. „Wir sind gut unterwegs und werden es in Kürze dem Kartellamt vorstellen“, so Hannen.
Volle Zustimmung bekam er von Ministerin Heinen-Esser: „Das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis ist pille palle. Wir müssen schärfer an den Handel ran.“ Von freiwilligen Maßnahmen hält sie nichts, die Erzeugungskosten müssten ins Gesetz. Der Wochenblatt-Nachfrage, wie das konkret und praktisch aussehen soll, wichen sowohl Heinen-Esser als auch Hannen aus.
"Klimaschutz EU-weit"
Dass Lebensmittel mehr Wertschätzung und den Preis, den sie wert sind, brauchen, um die regionale Landwirtschaft zu schützen, unterstrich auch Bernhard Conzen, Präsident des Rheinischen Landwirtschafts-Verbandes. Er forderte aber auch: „Wenn Klimaschutz, dann einheitlich in der EU – sonst kommt es zu Wettbewerbsverzerrungen.“
Bäuerliches Klimabündnis NRW
Seit Juli 2021 gibt es ein Bäuerliches Klimabündnis NRW, ein lockerer Zusammenschluss mehrerer Verbände. Sie wollen die dramatische Betroffenheit der Land- und Forstwirtschaft durch die schnelle Erderwärmung sichtbar machen und wirksame Klimaschutzmaßnahmen durch die Politik einfordern.
Die Klimakrise bedrohe die Existenz der Familienbetriebe durch den Verlust der Wälder und immer größerer Risiken bei den Erträgen im Grünland und Ackerland. Die Kosten, die bereits jetzt durch die Wetterextreme entstehen, seien bedrückend hoch und würden weiter stark ansteigen, wenn es nicht gelinge, die Erwärmung bei maximal + 1,5 Grad Celsius zu stoppen. Allerdings würden die aktuellen Zusagen der Länder auf eine noch zerstörerische Erhitzung von deutlich über 2 Grad Celsius hinauslaufen.
Beteiligt sind bisher diese Verbände:Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft NRW, Biokreis Erzeugerring NRW, Bioland Landesverband NRW,Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (Landesteam NRW), Demeter NRW, Landesvereinigung Ökologischer Landbau NRW, Naturland Nordrhein-Westfalen, Netzwerk Solidarische Landwirtschaft, Öko-Ausschuss des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes