Josef Lehmenkühler nahm kein Blatt vor den Mund: „Ich bin fassungslos: Weltweit hungern immer mehr Menschen und wir drosseln auf einem Gunststandort die Produktion. Jeder Landwirt will den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren, aber vernünftig – so ist es reine Willkür. Und obendrein Wortbruch, weil uns die Politik immer zugesagt hat, dass wir in Schutzgebieten weiter nach guter fachlicher Praxis arbeiten dürfen.“
Pflanzenschutzmittel halbieren?
Der Vorsitzende des WLV-Kreisverbandes Soest brachte am Donnerstagabend mit klaren Worten auf den Punkt, dass er nichts von den Plänen der EU-Kommission zur Reform des EU-Pflanzenschutzrechts hält. Denn die Vorschläge haben es in sich: Die Kommission will die bisherige Pflanzenschutzrichtlinie in eine Verordnung ändern. Dabei will sie die Mitgliedstaaten gesetzlich dazu verpflichten, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu halbieren. In Schutzgebieten will die Kommission den Pflanzenschutzmittel-Einsatz komplett untersagen (Wochenblatt 26/2022, Seite 16). Oberbau dieser Ideen ist der europäische Green Deal mit der Farm-to-Fork-Strategie.
Das Vogelschutzgebiet Hellwegbörde wäre massiv betroffen. Es umfasst etwa 44200 ha, davon mehr als 34400 ha Ackerland. Hier wäre der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln verboten. Landesweit gibt es nach einer Auswertung von Burkhard Schröer gerade einmal 49900 ha Ackerland in Vogelschutzgebieten. „Knapp 70 % des betroffenen Ackerlandes in Vogelschutzgebieten in NRW ist somit im Kreis Soest, hier greifen die Pläne also am stärksten“, verdeutlichte der Geschäftsführer des Kreisverbandes Soest auf der Informationsveranstaltung.
Soester Landwirte kämpfen weiter
Die Pläne der EU-Kommission sind noch nicht beschlossen, sie gehen jetzt in den sogenannten Trilog mit dem Rat (Mitgliedstaaten) sowie dem Parlament. Die Beratungen sollen im September starten, die Verabschiedung könnte in einem Jahr sein. Die Soester Landwirte wollen diese Zeit nutzen, um die Politiker auf Landes- sowie Bundesebene und insbesondere die EU-Parlamentarier zu überzeugen, diesen Plänen so nicht zuzustimmen. Bereits vergangene Woche haben sie einen offenen Brief an ihre Europaabgeordneten Birgit Sippel und Dr. Peter Liese geschickt, um auf die fatalen Auswirkungen aufmerksam zu machen.
Zudem wollen sie in den kommenden Wochen folgende Punkte angehen:
- Wissenschaft: Gespräche mit der Fachhochschule Soest, um herauszuarbeiten, wo aus wissenschaftlicher Sicht eine Reduktion möglich ist, wo nicht und welche ackerbaulichen Möglichkeiten es gibt.
- Datensammlung: Auswertung, wie sich der Schutzstatus in der Hellwigbörde in den vergangenen Jahren entwickelt hat.
- Politikergespräche: Einladung von vor allem Europaparlamentariern, aber auch Landes- und Kommunalpolitikern auf das Versuchsgut Merklingsen, um die Ergebnisse der Wissenschaft und Datensammlung zu diskutieren und praxistaugliche Alternativen aufzuzeigen.
- Flyer: Neuauflage der Informations-Flyer zur Hellwegbörde, die WLV und LsV 2019 gemeinsam zu den Demos zum „Agrarpaket“ erstellt haben.
- Naturschutzverbände: Gespräche mit den Naturschutzorganisationen, um gemeinsame Positionen auszuloten.
- Vernetzung: Austausch mit anderen betroffenen Regionen in Deutschland und möglicherweise auch Europa, um sich zu verknüpfen.
- Info-Veranstaltung: Eine Versammlung für alle Landwirte in der Region, um sie für die EU-Pläne zu sensibilisieren.
- Klage: Prüfen, welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt, gegen die EU-Pläne vorzugehen.
Vier fatale Folgen
Das strikte Pflanzenschutzmittel-Verbot in der Hellwegbörde hätte für Burkhard Schröer drastische Auswirkungen:
1. Versorgungssicherheit: Zusätzlich zur aktuellen knappen Nahrungsmittelversorgung wird die „Kornkammer Westfalens“ geschwächt: weniger Lebens- und Futtermittel aus der Region, regionale Kreisläufe, z.B. Stroh ins Sauerland, brechen weg; Zusammenbruch des Biomarktes, wenn alle auf ökologische Wirtschaftsweise umstellen
2. Ackerbau: höheres Anbaurisiko bei Raps, Zuckerrüben, Kartoffeln, Gerste, Hafer, Körnerleguminosen; Ertragsrückgänge; mehr Maisanbau; mechanische Unkrautbekämpfung, mehr Pflugeinsatz; Verlagerung/Intensivierung außerhalb des Schutzgebietes
3. Artenschutz und Biodiversität: Striegeln im Widerspruch zum Vogelschutz; engere Fruchtfolge; geringere CO2-Bindung
4. Volkswirtschaft: Wertschöpfungsverluste in Region; vor- und nachgelagerte Bereiche leiden; Versuchsstandorte/Saatgutunternehmen gefährdet
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