Damit hatte Kreisvorsitzender Hermann Dedert (Herford) nicht gerechnet. Über 100 Landwirte hatten sich am Freitag der vergangenen Woche spontan zu einer Videokonferenz der WLV-Kreisverbände Herford/Bielefeld und Lippe angemeldet. Es ging um die aktuellen Karten zu den nitratbelasteten Gebieten in NRW, die das Düsseldorfer Landwirtschaftsministerium am 29. Dezember 2020 veröffentlicht hat. Dedert: „Wir sind frustriert und stinksauer. Warum sind plötzlich viele Flächen in unserer Region als nitratbelastet ausgewiesen, die nach dem ersten Entwurf des LANUV grün waren?“
Teil-Grundwasserkörper
Schuld daran ist die Binnendifferenzierung mit den allgemeinen Verwaltungsvorschriften (AVV), die das Land NRW bis zum Jahresende 2020 umsetzen musste. Darauf wies Kammerexperte Dr. Horst Gömann hin. Nach den AVV musste das Landesamt für Umwelt (LANUV) nitratbelastete Messstellen in grünen Grundwasserkörpern neu bewerten und dann rote Teil-Grundwasserkörper ausweisen. Das hat laut Gömann die EU-Kommission von Deutschland gefordert.
Fatale Folge der Neubewertung insbesondere in Ostwestfalen-Lippe: Zahlreiche Feldblöcke, vorher noch grün, sind in den aktuellen Karten plötzlich rot geworden.Wie das LANUV die roten Feldblöcke vor Ort genau abgegrenzt hat, warum zum Beispiel eine Ackerfläche, die teils in NRW und teils in Niedersachsen liegt, bei uns rot und im Landkreis Osnabrück grün eingestuft ist, diese und weitere Fragen konnte Dr. Gömann nicht vollständig beantworten.
Kompliziertes Verfahren
Grundsätzlich ist es so: Zuerst schaut sich das LANUV die Werte der Messstellen an. Liegen die Nitratwerte über 50 mg oder über 37,5 mg (bei steigender Nitrattendenz), besteht Handlungsbedarf. Danach stuft das LANUV die Feldblöcke nach hydrogeologischen und hydraulischen Kriterien ein. Dabei kommt es auf die Fließrichtung des Grundwassers, die Bodenart und darauf an, wie viel N-Überschuss der jeweilige Boden (Feldblock) rein rechnerisch verträgt. Dabei werden die Tierbestandszahlen in einer Gemeinde ermittelt und der maximal tolerierbare N-Überschuss für den Standort berechnet.
Als wäre dies nicht schon kompliziert genug, muss das LANUV dann auch noch schätzen, wie viel N-Mineraldünger die Bauern in ihrer Gemeinde ausbringen, um auf den richtigen N-Bilanzwert zu kommen.
Messstelle weit entfernt
Was viele Landwirt in Ostwestfalen-Lippe kaum wissen und bei der Einstufung ebenfalls eine Rolle spielt: Auf schweren bis tonigen Böden wird das Nitrat im Boden weniger abgebaut als auf den gut durchlüfteten sandigen Böden etwa im westlichen Münsterland. Gömann sinngemäß weiter: Vor Ort wird jeder Feldblock einer Messstelle zugeordnet. Je nach Fließrichtung des Grundwassers und der Bodenart kann die Messstelle dann auch mal 6 bis 8 km von der roten Fläche entfernt liegen.
Die Landwirte verstehen auch nicht, wie das LANUV die Grundwasserkörper abgrenzt. Alle 50 km2 (5000 ha) muss eine Messstelle eingerichtet sein, so Gömann. Gemessen werden regelmäßig die Nitratwerte und weitere Stoffe im oberflächennahen Grundwasser. Im Internet kann jeder Bürger nachsehen, welche Werte an jeder Messstelle zuletzt gemessen wurden. Als Zielwerte gelten die genannten 50 bzw. 37,5 mg Nitrat/l Wasser.
Wasserberater Maximilian Meyer zeigte anhand von Karten im Internet anschaulich, wo sich die Messstellen nach der Wasserrahmenrichtlinie in den Grundwasserkörpern etwa im Raum Bünde, Bad Oeynhausen bis Lage befinden. Mitunter ist es so: von etwa sechs Messstellen in einem Grundwasserkörper zeigt nur eine Messstelle erhöhte Nitratwerte (über 50 mg bzw. 37,5 mg). Diese eine Messstelle löst nun aus, dass Flächen in deren Einzugsbereich, wie beschrieben, rot eingestuft werden.
Rat und Auskunft
An wen können sich Landwirte wenden, die Fragen zur Abgrenzung etwa eines Feldblockes oder der Datenerhebung in den Grundwasser-Messstellen haben? Dr. Horst Gömann: „Auskünfte geben die zuständigen Wasserberater der Landwirtschaftskammer, wenn es um die Feldblöcke vor Ort geht. Sie können die genauen Daten im Internet über das Programm „hygris C“ abrufen.Grundsätzliche Fragen zur Abgrenzung der Grundwasserkörper sollte das LANUV beantworten. Sind die Bodenzahlen, die für die Einstufung auch eine Rolle spielen, nicht mehr aktuell, müsste eventuell der Geologische Dienst nachkartieren.“
Alle Bauen in Mithaftung
WLV-Umweltreferent Dr. Jörn Krämer wies auf die offenkundigen Schwächen des Auswahlverfahrens hin. Das LANUV weist die roten Feldblöcke bzw. Flächen nach pauschalen Kriterien aus. Dabei würden alle Landwirte über einen Kamm geschert. So würden jene Bauern bestraft, die seit Jahren gewässerschonend wirtschaften und das, was auf dem Papier steht (Düngebilanz), in der täglichen Praxis zum Beispiel beim Ausbringender Gülle auch umsetzen.
Doch wer oder was verursacht nun die hohen Nitratgehalte in einer bestimmten Messstelle in einem grünen Grundwasserkörper? „Es gibt halt auch Berufskollegen, die immer noch zu viel düngen oder zur falschen Zeit düngen. Sie nehmen ihre Nachbarn jetzt sozusagen in die Mithaftung“, stellte Kammerfachmann Dr. Gömann fest.
"Wie eine Enteignung"
Wilhelm Brüggemeier wollte diesem Hinweis nicht widersprechen. Der WLV-Vizepräsident appellierte in der lebhaften Diskussion jedoch gleichzeitig an das LANUV und die Düsseldorfer Landesregierung, Fehler beim Abgrenzen der Feldblöcke, beim Einrichten und der Datenerfassung der Messstellen und bei Berechnung der Schwellenwerte der Nährstoffüberschüsse auf Gemeindeebene zu korrigieren. Brüggemeier wörtlich: „Die Folgen für die Bewirtschafter, etwa das Düngen 20 % unter dem Bedarfswert, sind drastisch und wirken wie eine Enteignung. Deshalb fordern wir volle Transparenz, Aufklärung und Sachlichkeit.“
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