Arno Geffes Mutter muss entsetzt gewesen sein, als sie nach dem Krieg das Emsland betrat. „Oh Gott! Wo sind wir hingekommen“, erinnert sich ihr Sohn an die überlieferten Worte der 2018 verstorbenen Mutter. Ihre Wiege stand in Bessarabien nahe der Schwarzmeerküste im heutigen Moldawien. Sein Vater stammte von einem Hof in Pommern, heutiges Polen.
Er selbst erblickte 1961 in Meppen das Licht der Welt und ist damit der erste waschechte Emsländer der Familie. Seine Eltern flohen nach dem Zweiten Weltkrieg aus den ehemaligen deutschsprachigen Gebieten. Sie fanden in Moormitte, das zu Groß Hespe in der Gemeinde Geeste gehört, eine neue Heimat. Das erzählt der Landwirt auf seinem 60-ha-Betrieb mit etwa 100 Kühen. Vor 70 Jahren endete hier nur ein Sandweg im Moor.
Aus dem Nichts entstanden
Die Siedlung Moormitte und der Hof der Familie Geffe entstanden im Zuge des Emslandplanes. Beschlossen wurde das größte Infrastrukturprojekt Europas 1950 vom Bundestag, um das Elend des Emslandes zu beenden. Außerdem schielten nach dem Krieg die Niederlande auf das Gebiet westlich der Ems, wo in den 1930er-Jahren Öl und Gas entdeckt wurden.
Vor allem sollte aber den Geflüchteten ein neues Zuhause in der dünn besiedelten Region geboten werden – aber erst nach der Kultivierung. Diese steuerte ab 1951 die extra eingerichtete Emsland GmbH mit Sitz in Meppen. Sie setzte Bundes- und Landesmittel sowie Geld aus dem Marshallplan ein und konnte an den damaligen Landräten und Bürgermeistern vorbeiregieren.
„Die Emsland GmbH legte die Flächen fest, die die Torfindustrie abzutorfen hatte. Im Anschluss rissen Firmen wie Ottomeyer mit dem Tiefpflug den Grund auf“, erzählt Dr. Michael Haverkamp, Leiter des Emsland Moormuseums in Geeste. Das brach den betonharten Ortstein im Untergrund. Das Wasser entwich.
Auf den urbar gemachten Flächen ließ die Emsland GmbH Höfe errichten. Die Bauern bezogen meist im Frühjahr ihr neues Heim. Nur die Möbel mussten sie mitbringen. Zum Teil hatte die Moorverwaltung die Felder schon bestellt. „Der Bauer brauchte nur die Feldpflege übernehmen. Die erste Ernte diente als Startkapital“, erzählt Michael Haverkamp.
„Der neue Acker ist nicht schlecht. Meist besser als der umliegende Sandboden“, sagt Arno Geffe. Vor allem die vergangenen Dürrejahre hielt er das Wasser besser. „In nassen Jahren war es aber manchmal schwierig“, sagt der Milchviehhalter. In den ersten Jahren trugen die Pferde beim Ackern große Holzschuhe, um nicht im einstigen Moor zu versinken.
Steine beim Kirchgang
1955 bezog das Ehepaar Geffe, das sich im Emsland kennengelernt hatte, seinen neuen Hof. Beide stammten ursprünglich von größeren Betrieben und waren aus ihrer Kindheit etwas anderes gewohnt.
Die neuen Hofstellen entsprachen alle einem ähnlichen Muster: Wohnhaus mit einem Tiefstall für bis zu zehn Kühe sowie Platz für bis zu 15 Sauen. Hinzu kamen 15 bis 20 ha Land arrondiert um den Hof. Die Neusiedler bekamen das „Gesamtpaket“ für einen zinsgünstigen Kredit. „Es wurde ihnen nicht geschenkt, damit sie auch bleiben“, sagt Ansgar Becker vom Emsland Moormuseum.
Die niedersächsische Landgesellschaft verteilte die Höfe. „Dabei musste manchmal das Los entscheiden“, sagt Michael Haverkamp. Die finanzielle Hilfe und der nagelneue Hof ließ manchen Altbauern neidisch werden. Bei der Vergabe gab es manchmal handfesten Streit. „Es wurden Aussiedler beim Kirchgang mit Steinen beworfen.“ Die Bauern vor Ort wollten auch das neu gewonnene Land nutzen. So bekamen schließlich nicht nur Geflüchtete, sondern auch einige der zweitgeborenen Alteingesessenen eine der begehrten Neusiedlerstellen.
Der Makel des „Zugezogenseins“ hielt sich bis in die 1970er-Jahre, erinnert sich Arno Geffe. Viele der Geflüchteten stammten nicht nur aus der Fremde, sondern brachten den evangelischen Glauben mit – damals ein regelrechter Kulturschock im katholischen Emsland.
Weitere Flurbereinigung
Allein in den ersten zehn Jahren gewann man 54 200 ha Neuland und stellte fast 500 km Straßen sowie über 2000 km Wirtschaftswege fertig. Rund 1250 Neusiedlerhöfe sowie etwa 5000 Nebenerwerbsstellen wuchsen aus dem Boden. Ganze Siedlungen wie Moormitte mit seinen heute 100 Haushalten entstanden. Hinzu kamen Wasserversorgung, Kanalisation und Stromleitungen sowie Schulen.
In der zweiten Phase des Emslandplanes ab Mitte der 1960er-Jahre förderte man verstärkt den Ausbau von Industrie und Gewerbe. Parallel kam es zu einer weiteren Flurbereinigung. Die neu geschaffenen Höfe erhielten zusätzliches Ackerland.
Für die Agrarpolitik der 1960er- und 1970er-Jahre waren sie anfangs zu klein konzipiert und konnten im Wettbewerb nicht bestehen. Es entstanden größere Betriebe mit einer Fläche von bis zu 75 ha. Die einstigen Gemischtbetriebe spezialisierten sich und wendeten sich verstärkt der Veredlung zu.
Die Geffes entschieden sich fürs Milchvieh. Nachdem Senior Geffe 1975 verstarb und der Betrieb vorübergehend verpachtet wurde, holte Arno Geffe den Hof nach dem Ende seiner Lehrzeit 1980 zurück und begann mit 25 Kühen. 1982 kam ein Boxenlaufstall hinzu, 2010 ein weiterer Stall. Damit bewies er ähnlichen Pioniergeist wie seine Vorfahren.
Jetzt steht die nächste Generation in den Startlöchern. Einer seiner Söhne übernimmt den Betrieb. Er ist dann die zweite Generation, die im Emsland geboren wurde.
Mit Pflügen aus OWL
Bei der Kultivierung des Moores kamen gigantische Dampfpflüge zum Einsatz. Der größte Mietpflugbetrieb war Ottomeyer, der ursprünglich aus Lippe stammte. Insgesamt waren zwölf solcher Lohnunternehmer an der Urbarmachung beteiligt.Die Kraft fürs Pflügen stammte meist von zwei Lokomobilen. Der große Mammut-Pflug wurde sogar von vier Lokomobilen gezogen.
„Das waren stationäre Kraftquellen vergleichbar mit Dampfmaschinen, die mit Steinkohle betrieben wurden“, sagt Ansgar Becker vom Emsland Moormuseum. Kolonnen von bis zu 15 Mann bedienten die Gespanne aus Pflug und Lokomobilen. „Die meisten der Ottomeyer-Besatzung stammten aus Ostwestfalen-Lippe. Sie arbeiteten wie auf Montage vom Frühjahr bis in den Herbst im Moor“, erzählt Ansgar Becker.
Nachdem der Torf abgeräumt war, brach der Tiefpflug den Ortstein, die undurchlässige Stauschicht. Zusätzlich gelangten so mineralische Schichten nach oben. Ein Erdhobel schüttete die Furche zu. 1972 arbeitete man zuletzt mit dem Großpflug.
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