PRO: Viola von Cramon-Taubadel, Diplom-Agraringenieurin und Abgeordnete im EU-Parlament (Bündnis 90/Die Grünen)
Seit Beginn der Kultivierung von Pflanzen haben die Menschen versucht, diese zu optimieren und ihren eigenen Bedürfnissen anzupassen. Niemand käme mehr auf die Idee, das Ur-Korn auszusäen oder eine Ur-Möhre zu verzehren. Heute müssen sich Wissenschaft und Landwirtschaft neben dem Ernährungsziel allerdings vielen weiteren Fragen stellen. Die größten Herausforderungen stellen Klimawandel und Artenschwund dar, damit vor allem die Wasserverknappung und der Verlust fruchtbarer Böden.
Für eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen wird es immer stärker auch auf Sprunginnova-tionen ankommen. Angepasste Sorten mit konventioneller Züchtung zu entwickeln, braucht in der Regel zehn Jahre. So viel Zeit hat man nicht.
Nach dem wissenschaftlichen Stand sind die neuen Züchtungsformen präziser als die bereits im Markt zugelassene und deutlich ungerichtetere Mutagenese, die mit Bestrahlung oder Chemikalien arbeitet. Diese weit verbreitete Methode, seit Langem eingeführt, wird nicht infrage gestellt und ist auch in der ökologischen Züchtungsforschung gängige Praxis. Handelsüblicher Hartweizen oder Braugerste sind Produkte dieser Züchtungsforschung. Diese Inkohärenz sollte aus wissenschaftlicher Sicht und nach Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 25. Juli 2018) gesetzlich bereinigt werden.
Neben einer neuen Gentechnikverordnung auf europäischer Ebene, bei der wissenschaftliche Fakten entscheidend sein sollten und ähnlich wie bei der Zulassung von Impfstoffen die Sicherheit eines Produkts bewertet werden sollte, müssen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen im Sinne eines starken Sortenschutzrechts so reformiert werden, dass die Erforschung und Patentierung neuer Sorten nicht nur für wenige Großkonzerne der Agroindustrie leistbar sind.
Wir brauchen klare gemeinsame politische Ziele, um fair und gemeinwohlorientiert auch die Menschen und die Regionen von der Züchtungsforschung stärker profitieren zu lassen, die bislang keinen Zugang zu neuen und angepassten Sorten hatten. Angesichts des Klimawandels müssen wir global an der Verbesserung von ökologisch angepassten Sorten arbeiten.
CONTRA: Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW)
Als Biobauer werde ich oft gefragt: „Warum wollt ihr nicht mit Gentechnik Pflanzenkrankheiten bekämpfen, Erträge steigern oder den Klimawandel bewältigen?“ All das wird seit Jahrzehnten versprochen – erst mit „alter“, jetzt mit „neuer“ Gentechnik. Nur dass selbst dort, wo Gentechnik kaum reguliert wird, die Versprechen nie eingelöst wurden.
Der wichtigste Grund: Zur Bewältigung so komplexer Herausforderungen kann die – ohne Zweifel wichtige – Pflanzenzüchtung nur kleine Lösungsbeiträge leisten. Entscheidend ist das Zusammenspiel von Bodenfruchtbarkeit, Vielfalt der Pflanzen, Bodenbearbeitung, Nährstoffkreisläufen usw. Wir beginnen gerade erst, zu lernen, wie wichtig das Zusammenwirken von Mikroorganismen in Boden, Pflanzen oder in unserem Organismus ist.
Wenn von CRISPR die Rettung des Bananenanbaus erhofft wird, ohne zu hinterfragen, ob es sinnvoll ist, weltweit nur einen einzigen Klon in Monokultur anzubauen, führt das zur falschen Antwort. Oder wenn man das Abschalten von Pilzresistenz-Genen in Weizen gentechnisch verhindern will, ohne zu untersuchen, ob nicht genau dieses Abschalten für Zersetzungsvorgänge nach der Ernte wichtig ist.
Der Ökolandbau versucht, Funktionsprinzipien natürlicher Systeme zu nutzen, statt sie ohne Rücksicht auf die Folgen außer Kraft zu setzen.
Dass Zukunftskrisen wie Klimawandel oder Artensterben ausgelöst wurden, weil solche Funktionsprinzipien ignoriert wurden, bestärkt uns in diesem Vorsorgeprinzip. Und dass die Medizin, die große Hoffnung in die Genschere setzt, eindringlich warnt, sie in der Keimbahn einzusetzen, bestätigt unsere Forderung, nicht mit Hurra und ohne Regulierung eine neue Technologie bei vermehrungsfähigen Organismen im offenen System der Natur einzusetzen, aus dem sie nicht mehr rückholbar sind.
Auch nicht unwichtig: So wie Bio ist gentechnikfrei eine wichtige Möglichkeit zur Wertschöpfung. Warum sollten wir den Landwirten diese Chance nehmen, nur um Gentechnik-Importe aus Drittstaaten zu erleichtern?