In den vergangenen Tagen überschlugen sich die Ereignisse nur so: Bundesweit demonstrierten Landwirte zu Beginn der vergangenen Woche vor Filialen des Lebensmitteleinzelhandels und blockierten einzelne Lager. Sie forderten faire Preise und ein Ende der Billigpreispolitik.
Leere Supermarktregale
Schwerpunkt der Blockaden war das Lidl-Zentrallager in Cloppenburg. Hier hatten die Landwirte seit Sonntagabend (29. November) die Lkw-Zufahrten blockiert. Nichts ging mehr, es bildeten sich lange LKW-Staus und in einzelnen Supermärkten in Niedersachsen waren die Regale leer gefegt, weil Nachschub fehlte.
Am Dienstag vergangener Woche plötzlich die Wende: Die etwa 250 Landwirte vor dem Zentrallager in Cloppenburg telefonierten über Lautsprecher mit dem Chef des Lidl-Mutterkonzerns Klaus Gehrig. Dieser versprach schriftlich, dass er in den nächsten Tagen auf die anderen Handelsunternehmen, die Politik und Verbände zugehen werde. Gehrig wolle sich dabei für eine Verbesserung der Situation der Landwirte stark machen.
Die Landwirte werten die Zusage zwar nicht als Durchbruch, aber als Teilerfolg im Kampf um fairere Preise. Im Gegenzug beendeten sie ihre Blockade. Sie wollten bis Freitagabend vergangener Woche abwarten, welche Vorschläge kommen und machten deutlich, erneut Lager zu blockieren, wenn sie nicht einverstanden seien.
Lidl kündigt „Dringlichkeitsgipfel“ an
Am Mittwochnachmittag vergangener Woche teilte Lidl mit, dass der Discounter einen „Dringlichkeitsgipfel“ einberufen wolle. Dieser sollte konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der deutschen Landwirtschaft auf den Weg bringen. In einem Schreiben an Branchen- und Verbandsvertreter des Handels und der Landwirtschaft sowie an Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner schlug Gehrig vor, pragmatische und unbürokratische Lösungen zu verfolgen, um für Landwirte eine Verbesserung der Situation zu erzielen. Gehrig machte deutlich, dass nur ein gemeinsames Vorgehen von Produktion, Verarbeitung, Handel und Politik zum Erfolg führen kann.
Am vergangenen Donnerstag drehte es sich bei einer Videokonferenz mit Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner um konkrete Hilfen für die von Corona und Afrikanischer Schweinepest (ASP) gebeutelten Tierhalter. Nach Klöckners Überzeugung ging es bei den Blockaden von Warenlagern und Demonstrationen von Landwirten letztlich um mehr Wertschätzung für die Lebensmittel und um Preise, die den Bauern eine entsprechende Wertschöpfung ermöglichen. Die Ministerin setzt deshalb auf eine unmittelbare Verständigung zwischen Handel und Landwirtschaft. Eine Möglichkeit hierfür sieht sie in der Einführung eines Verhaltenskodexes, mit dem sich der Handel eigene Regeln für ein faires Miteinander gibt. Diesen Ansatz schlug Klöckner auch den Teilnehmern der Videokonferenz vor. Darüber hinaus hält die CDU-Politikerin es aus Verbrauchersicht für sinnvoll, wenn auf den Verpackungen der Anteil vermerkt wäre, der vom Verkaufspreis an die Bauern geht. „Solche Initiativen gibt es bereits. Diese sollte der Handel breiter aufgreifen“, empfahl die Ressortchefin.
50 Mio. € für ITW
Kurz nach dem Gipfeltreffen verkündete Gehrig am Donnerstagabend, dass die Schwarz Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören, im Laufe des Jahres 2021 über die Initiative Tierwohl (ITW) 50 Mio. € zur Unterstützung der Landwirte zur Verfügung stellen will. Gehrig käme damit seiner Anfang der Woche gegebenen Zusage nach, pragmatische und schnelle Hilfen für Landwirte zu leisten. Ihm sei es wichtig, dass die Hilfe die Höfe direkt und schnell erreicht: „Über die Initiative Tierwohl ist sichergestellt, dass das Geld direkt an die Landwirte in Deutschland verteilt wird. Außerdem unterstützen wir damit die Landwirte, die sich zur Förderung des Tierwohls verpflichtet haben.“ Wie die Gelder konkret verteilt werden können und wie eine Auszahlung im einzelnen geregelt werden kann, soll jetzt gemeinsam mit der ITW ausgearbeitet werden.
Kritik von WLV und DBV
Auf scharfe Kritik stößt er damit beim Präsidenten des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV): „Das ist eine reine Beruhigungspille“, urteilt Hubertus Beringmeier und fordert. „Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen und eine gerechte Verteilung der Wertschöpfung.“
In das gleiche Horn stößt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied: „Das ist zwar eine nette Geste und ein Zeichen der Wertschätzung für die Initiative Tierwohl. Aber wegen des andauernden Preiskampfs verlieren unsere Bauern diesen Betrag fast wöchentlich. So ein Trostpflaster reicht bei Weitem nicht aus, um die grundsätzlichen Probleme zwischen Landwirtschaft und dem gesamten Lebensmitteleinzelhandel zu lösen. Wir brauchen eine grundlegende Veränderung in der Zusammenarbeit.“ Dazu gehören aus Sicht des DBV:
- Klare Selbstverpflichtung des Handels zum Ausstieg aus der „Dauerniedrigpreiskultur“,
- das Kartellrecht darf nicht länger Landwirte und ihre Vermarkter daran hindern, Gegengewichte zum Handel zu bilden,
- Förderung der heimischen Landwirtschaft in der Einkaufspolitik,
- Transparenz durch eine flächendeckende Herkunftskennzeichnung,
- angemessene Bezahlung für höhere Qualitätsstandards,
- Aufbau langfristiger und verlässlicher Lieferbeziehungen,
- Anwendung der UTP-Regel für alle erzeugergetragenen Vermarktungsunternehmen.
Aldi reagiert, Lidl baut Zaun
Am Donnerstag haben parallel Landwirte der Initiative Milchdialog „Schluss mit lustig“ zum dritten Mal binnen drei Wochen Molkereien und Schlachthöfe besucht. Während sie beim ersten Besuch einen konkreten Maßnahmenplan für bessere Preise von den Verarbeitern forderten und dieses Papier beim zweiten Besuch abholten, lautete ihre Botschaft nun: „Antworten ungenügend – Nachsitzen!“ Sie forderten die Verarbeiter auf, den Rückenwind durch die Aktionen beim Lebensmitteleinzelhandel zur Durchsetzung deutlich höherer Preise zu nutzen.
Unterdessen sprachen die Unternehmensgruppen Aldi Nord und Aldi Süd am Samstag mit Julia Klöckner und gaben am Sonntag bekannt, sich umfassend zu fairen Handelspraktiken im Umgang mit Lieferanten, Herstellern und Landwirten zu bekennen. Zugleich wollen sie die Idee der Bundeslandwirtschaftsministerin unterstützen, einen darüber hinausgehenden Verhaltenskodex für den Handel zu etablieren. Auch befürworten beide Händler, mit Vertretern der Landwirtschaft ein „FairTrade für die heimische Landwirtschaft“ sowie angemessene Bezahlung bei höheren Qualitätsstandards.
Ob es in den nächsten Tagen zu erneuten Protesten sowie Blockaden vor Lagern des Handels kommt, ist derzeit noch offen. Zumindest aber diskutierten das einige Landwirte in ihren Gruppen in den sozialen Netzwerken. Dort kursierten am Wochenende auch Fotos die zeigen, dass Lidl einige seiner Standorte mit Bauzäunen umstellt. Offenbar schließt auch der Discounter weitere Blockaden nicht aus.
Und offenbar befürchtet er einen Imageschaden: Denn zu Wochenbeginn schaltete Lidl in etlichen regionalen sowie überregionalen Zeitungen Imageanzeigen und erläuterte darin, dass sich das Unternehmen für die Landwirte einsetze.
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