Die Enttäuschung ist Thomas Wiese bei jedem einzelnen Wort anzumerken. „Wir halten unsere Tiere genauso, wie Politik und Verbraucher es fordern. Doch statt Dank und Unterstützung schießt die Regierung gezielt gegen uns“, schimpft der Mutterkuhhalter aus Schmallenberg und spricht damit etlichen Berufskollegen aus der Seele.
Thomas Wiese ist Vorsitzender des „Arbeitskreises Mutterkuhhaltung Hochsauerlandkreis“ (siehe Kasten unten), der sich als Sprachrohr aller rund 6000 Mutterkuhhalter in NRW sieht. Die Mutterkuhhalter ärgert, dass sie zwar die Gemeinwohlleistung „Weidetierhaltung“ bringen, aber bei den Diskussionen zur Zukunft der Landwirtschaft sowie Tierhaltung keine Rolle spielen. Im Gegenteil: Politische Entscheidungen wie die Kürzung der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete bringen sie regelrecht in Existenznot.
Mutterkuhhalter wollen auf sich aufmerksam machen
Kampflos aufgeben wollen die Landwirte aber nicht. „Wir gehen in die Offensive, wollen auf uns aufmerksam machen und uns aktiv in die Debatte einbringen“, sagt Thomas Wiese. Dazu stellen die Mutterkuhhalter die Vorzüge ihrer Wirtschaftsweise in einem Positionspapier klar heraus:
- Tierwohl: Mutterkuhhaltung ist die natürlichste Haltungsform: Die Tiere sind im Herdenverbund, laufen den Großteil des Jahres auf der Weide und überwintern im Strohstall. Dort fressen sie heimische Grassilage und Heu. In der Regel halten die Betriebe robuste Rinderrassen, teilweise auch vom Aussterben bedrohte Rassen.
- Biodiversität: Die Weidehaltung fördert ein arten- und blütenreiches Grünland. Eine intensive Düngung sowie chemischer Pflanzenschutz sind kaum erforderlich. Vom späten Schnittzeitpunkt profitieren Vögel und Wildtiere, von den Kuhfladen Insekten.
- Klimaschutz: Weide fördert die Humusbildung und stärkt die Kohlenstoffbindung. Diese ist höher als auf Ackerland.
- Landschaftspflege: Mutterkühe halten die Landschaft offen. Das erhöht die Vielfalt und prägt das Landschaftsbild. Davon profitiert die Bevölkerung, aber auch die Tourismusbranche mit Gastronomen und Hotels.
Doch der entscheidende Knackpunkt der Mutterkuhhaltung: „Sie rechnet sich nicht. Die Kosten sind höher als die Erlöse“, sagt Andreas Kracht, Mutterkuhhalter aus Sundern. Für nachhaltig bessere Erlöse sieht er kaum Chancen: Die Nachfrage nach regionalem Rindfleisch bleibe trotz des Aufschwungs durch Corona eine absolute Nische – zumal es auch kaum noch regionale Schlachter gebe. Die Mutterkuhhaltung hänge vom normalen Marktpreis ab.
Politik bringt Landwirte in Not
Und das bei steigenden Kosten. Zum Teil liegen diese an nicht planbaren Effekten, wie zum Beispiel dem dritten trocken Sommer in Folge mit knappen Futtervorräten und höherem Aufwand beim Tränken der Tiere. Viel mehr ärgern sich die Mutterkuhhalter aber über die ungleichen Wettbewerbsbedingungen. Und dafür ist nach Meinung der Arbeitskreismitglieder vor allem die Politik verantwortlich. Auf Einladung des Arbeitskreises waren die politischen Agrarsprecher der Parteien auf verschiedenen Mutterkuhbetrieben im Hochsauerlandkreis.
- Förderung: Bund und Länder fördern vor allem größere Neubauten. Wenn darin dann Umbauten z.B. für mehr Tierwohl anstehen, fördern sie diese auch. Mutterkuhhalter mit ihren kleinen Herden fallen hingegen durchs Förderraster oder scheitern an der Bagatellgrenze. Deshalb fordert Thomas Wiese: „Die Fördersumme pro Großbetrieb muss gedeckelt sein. Im Gegenzug kann die Bagatellgrenze entfallen und mehr Kleinbetriebe bekommen somit Fördergeld.“
- Weideprämie: Das zum Teil deutliche Absenken der Ausgleichzulage für benachteiligte Gebiete hat alle Grünlandbetriebe hart getroffen. Allerdings bekommen Milchviehhalter eine Weideprämie von 55 € pro Kuh und Jahr, Mutterkuhhalter dagegen nichts. Das führt zu Verzerrungen beispielsweise auf dem Pachtmarkt. „Ein Unding“, wettert Thomas Wiese, „wir benötigen dringend eine Weideprämie auch für Mutterkühe. Jedoch reichen 55 € keinesfalls aus.“
Blick nach Bayern
Bei dieser Forderung blickt der Landwirt nach Bayern. Dort gibt es immerhin eine Weideprämie von 50 € pro Großvieheinheit (GV) und Jahr bei 120 Weidetagen – also auch für Mutterkühe. Diesen Wunsch hatten die Arbeitskreismitglieder bereits vor mehr als einem Jahr auch an den Staatssekretär im NRW-Land- und Umweltministerium, Dr. Heinrich Bottermann, herangetreten. „Er wollte sich kümmern, aber bis heute ist rein gar nichts passiert“, sagt Bernhard Völlmecke aus Winterberg.
Kürzlich waren einige Mitglieder des Arbeitskreises mit Unterstützung des Fleischrinder-Herdbuchs Bonn im Landtag und haben nachdrücklich auf die Existenznöte der Mutterkuhhalter hingewiesen. Es gibt durchaus Parallelen zwischen dem Mittelgebirge in NRW sowie den Alpen in Bayern: „Die großen Milcherzeuger können die kleinen und steilen Flächen nicht bewirtschaften, die Landschaft würde verbuschen. Darunter würde die ganze Tourismusregion leiden. Bayern hat das erkannt und fördert die Weidetierhaltung, NRW muss jetzt nachziehen“, sagt Völlmecke.
Gekoppelte Direktzahlungen?
Ein weitreichenderer Wunsch der Landwirte wären gekoppelte Direktzahlungen für Weidehaltung, also für Mutterkühe, Schafe sowie Ziegen. Abwickeln ließen sich diese über einen eigenen Code im Prämientrag, „damit das Geld auch wirklich bei den Mutterkuhhaltern ankommt“, so Thomas Wiese.Politische Unterstützung aus Berlin dürfen die Mutterkuhhalter dafür aber nicht erwarten. Zwar betont Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner in einem Brief an den Briloner SPD-Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese die große Leistung und Bedeutung der Mutterkuhhaltung. Gekoppelte Direktzahlungen würden aber zu Fehlanreizen sowie Wettbewerbsverzerrungen sorgen und nicht zum derzeitigen Fördersystem passen. Gleichzeitig verweist sie darauf, dass im aktuellen Fördersystem die Bewirtschafter von extensivem genutzten Dauergrünland im Sauerland dieselbe Förderung erhielten wie Bewirtschafter von hochproduktivem Ackerland in der Köln-Aachener-Bucht. Für die Mitglieder des Arbeitskreises ein Schlag ins Gesicht.
Besser mit neuer Agrarpolitik?
Sie lassen sich aber nicht entmutigen. Und schöpfen etwas Hoffnung, dass Mutterkuhhalter von der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vermutlich ab 2023 stärker profitieren könnten. Es soll mehr Geld über die Zweite Säule und die sogenannten Eco-Schemes geben – und genau das sind Leistungen, die Mutterkuhhalter erbringen. Klar ist für sie aber auch: „Wir brauchen jetzt erstmal kurzfristig Unterstützung. Sonst sind in drei Jahren schon viele verschwunden, da der Ausstieg gerade für Nebenerwerbslandwirte nur ein kleiner Schritt ist.“
Mutterkühe in NRW
In NRW gibt es rund 65000 Mutterkühe auf etwa 6000 Betriebe. Die meisten Landwirte wirtschaften im Nebenerwerb. Sie halten im Schnitt 11 Kühe, die Besatzdichte liegt meist unter 1 GV/ha. Mutterkuhhalter arbeiten in Regel extensiv, oft auch ökologisch.
Der Arbeitskreis Mutterkuhhaltung Hochsauerlandkreis (HSK) hat sich im Juni 2018 gegründet. Aktuell hat er knapp 160 Mitglieder. Insgesamt gibt es im HSK 516 Mutterkuhhalter. Zum Vergleich: Die Anzahl der Milchviehhalter ist mit 333 deutlich geringer. Noch größer ist der Unterschied im Kreis Olpe: Hier sind es 316 Mutterkuhhalter und 101 Milchviehhalter.