Der Berufsweg führt manchmal in Sackgassen, nimmt Umwege oder steuert auf ganz neue Ziele zu. So bei Jörn Breuer aus Bünde im Kreis Herford. Der 37-Jährige begann im Jahr 2021 seine Ausbildung zum Landwirt.
Zuvor lernte der Ostwestfale einige andere berufliche „Welten“, wie er es nennt, kennen. Er kochte in einem Restaurant, saß im Panzer und gab Nachhilfe.
Konstante war immer seine Frau Julia, mit der er seit mehr als 13 Jahren verheiratet ist und gemeinsam einen 16-jährigen und einen elfjährigen Sohn hat.
Büro auf den Kopf gestellt
Heute ist seine Berufswelt vor allem der Stall des Betriebes Sobbe in Vlotho-Exter. Sein Ausbilder Jörn Sobbe hat dort 2700 Kälbermastplätze.
Im Stallbüro sitzt Jörn Breuer gerade am Computer und meldet der HIT-Datenbank Ein- und Abgänge des Bestandes. Der Betrieb holt vier Wochen alte Kälber von Milchviehbetrieben im Radius von 100 km ab. Nach etwa acht Monaten Mast verlassen sie den Betrieb in Richtung Schlachthof.
Jörn Breuers Aufgaben im Stallbüro sind nicht typisch für einen Azubi im dritten Lehrjahr. Er erstellt mittlerweile die Stoffstrombilanz und die Düngebedarfsplanung.
Digital führt Jörn Breuer die Daten für die Medikamentengaben an die Kälber. Der Scan eines Barcodes an der Ohrmarke zeigt ihm die Krankenakte und Behandlungen jeden Tieres an.
„Vorher war das Büro eine reine Zettelwirtschaft“, sagt er. Jörn Breuer gab den Anstoß für mehr digitale Organisation und setzte sie auch um.
Selbst haben seine Eltern keinen Hof zu Hause. Sein Vater ist Betriebselektriker, die Mutter gelernte Bauzeichnerin. Jörn Breuer wuchs in Enger zwischen Höfen auf, das Helfen beim Bauern gehörte dazu.
Koch, Soldat, Hausmann
Vor 20 Jahren wäre eine Ausbildung zum Landwirt ohne Hof im Rücken selten gewesen. „Heute hat die Hälfte meiner Berufsschulklasse keinen Betrieb mehr zu Hause“, sagt der Ostwestfale. Damals war ihm gar nicht bewusst, dass dem Beruf Landwirt eine duale Ausbildung vorgeschaltet ist.
Nach der Realschule machte er eine Lehre zum Koch, wollte danach aber nicht mehr in einer Restaurantküche arbeiten. „Ich liebe das Kochen, doch Arbeitsklima und Umgangston störten mich.“
So verpflichtete Jörn Breuer, schon Vater eines Sohnes, sich für drei Jahre bei der Bundeswehr. Er diente bei der Panzertruppe in der Lüneburger Heide und war unter anderem Lade- und Richtschütze eines Leopard 2.
„Beim Bund ist der Ton auch direkt, aber fair“, vergleicht er es mit seinen Erfahrungen in der Gastronomie. In der Zeit sah er Frau und Kind nur am Wochenende.
Sie studierte in Bielefeld Wirtschaftsrecht und stieg danach im Projektmanagement eines Logistikdienstleisters ein – einen Job, den sie bis heute in Vollzeit ausübt.
Nach den drei Jahren bei der Bundeswehr blieb Jörn Breuer zu Hause und kümmerte sich um die inzwischen zwei kleinen Söhne. „Das war einer der glücklichsten Abschnitte meines Lebens“, erinnerte er sich an die Zeit, die in der Intensität viele Väter nicht kennen.
Als beide Söhne vormittags in der Kita bzw. Schule waren, entschied er sich das Abitur nachzuholen. Drei Jahre besuchte er ein Abendgymnasium in Bielefeld, das die Oberstufe auch vormittags anbot. Nachmittags standen für ihn Kochen, Kinder und Putzen auf dem Plan.
Biologie als Hürde
Nach dem Abi, das er mit 1,1 abschloss, fasste er schon mal den Entschluss, eine Ausbildung zum Landwirt zu beginnen. Ihm imponierte die Arbeit mit den Tieren, den Maschinen und der Natur.
Er bewarb sich bei mehreren Höfen und arbeitete zur Probe. Doch es scheiterte daran, dass er auf feste Arbeitszeiten bestand. Denn er wollte sich auch weiter um die Kinder kümmern.
„Zu oft hörte ich: Warum nimmt deine Frau nicht die Kinder? Ein Klischee, das mir auch heute noch bei manchen Mitschülern begegnet“, sagt Jörn Breuer. Das Ehepaar hatte vereinbart, dass sie auf jeden Fall ihre gut dotierte Stelle in Vollzeit behält.
So begrub er den Plan Landwirt zu werden und schrieb sich an der Uni Bielefeld für ein Lehramtsstudium der Fächer Biologie und Geschichte ein.
Während das Geschichtsstudium gut mit zwei Kindern vereinbar war, entwickelte sich das Biologiestudium zur unüberwindbaren Hürde. Das Lernpensum war nicht mehr zu stemmen.
Die Kinder kamen in das Alter, in dem der Vater sie ständig zu Sportvereinen und Freunden kutschieren musste.
„Irgendwann ging es nicht mehr. Motivation und Stimmung waren im Keller“, sagt er. Jörn Breuer zog nach drei Jahren Doppelbelastung die Reißleine und beendete das Studium ohne Abschluss.
Er blieb als Hausmann bei den Kindern und renovierte das gekaufte Haus in Bünde. Irgendwann kam aber der Punkt, wo er etwas hinzuverdienen wollte. Er begann einen 450-€-Job als Nachhilfelehrer. Flexibel unterrichtete er Schüler aller Klassen in Mathe, Deutsch, Englisch und Latein.
Zum Lehrer seiner eigenen Kinder verwandelte er sich im Schul-Lockdown 2020.
Alte Idee wieder belebt
Im ersten Corona-Jahr ploppte eine alte Idee wieder auf. Jörn Breuer stieß auf eine Stellenausschreibung bei einem Kälbermäster in Vlotho-Exter. Er stellte sich bei Betriebsleiter Jörn Sobbe vor. Nach fast vier Stunden Gespräch entschieden sich die beiden Jörns, dass der Bünder eine auf zwei Jahre verkürzte Lehre zum Landwirt beginnt.
Sein Ausbilder nahm sich Zeit zum Erklären und sah in ihm nicht eine billige Arbeitskraft.
Im Herbst 2021 durfte Jörn Breuer schon pflügen und säen. „Mittlerweile fahre ich den neuen 8R von John Deere – ein echter Vertrauensbeweis “, sagt er.
Ein Glücksfall für Jörn Breuer war, dass die Bürokraft gekündigt hatte. So fuchste er sich ins Stallbüro rein. Sein Ausbilder ließ ihm dabei freie Hand.
„Er übernimmt heute schon Aufgaben im Büro, die leistet sonst ein HöLa-Absolvent. Ich bin sehr zufrieden mit ihm “, sagt Jörn Sobbe.
Ein freundschaftliches Verhältnis entstand zwischen den beiden Männern, die keine zehn Jahre trennt. „Wir reden offen miteinander, falls es zu Problemen kommt“, sagt der Ausbilder.
Ausbeute statt Ausbildung
Jörn Breuer hat auch das Gegenteil kennengelernt. Im zweiten Jahr seiner Ausbildung begann er auf einem Milchviehbetrieb mit 400 Kühen. Der Start lief gut. Doch schnell arbeitete er 60 bis 70 Stunden pro Woche. „Als mein jüngster Sohn mich fragte, wann wir uns mal wiedersehen, musste ich das beenden. Das war Ausbeute, keine Ausbildung“, sagt er.
Jörn Breuer ging im November 2022 zurück auf den Betrieb Sobbe. Ab März wird der Auszubildende nun noch mal drei Monate auf einem Biobetrieb mit Schweinemast und Mutterkühen gehen. So lernt er die in der Ausbildungsverordnung vorgeschriebenen Geburten kennen.
Nach der Ausbildung geht es für Jörn Breuer an die Fachschule in Herford. Dort ist er schon angemeldet. Parallel dazu wird er auf dem Betrieb Sobbe in Teilzeit arbeiten. Voraussichtlich wird er später dort als fester Mitarbeiter einsteigen. Dass er dann schon fast 40 Jahre ist, stört ihn nicht. „Wer arbeitete heute noch von der Lehre bis zur Rente im gleichen Job? Außerdem liegen noch mindestens 25 Berufsjahre vor mir“, sagt er.
Das Zickzack in seinem bisherigen Berufsleben war zwar vorher nicht so geplant, doch er bereut keine seiner zahlreichen Erfahrungen, die er in unterschiedlichen „Welten“ gesammelt hat.
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