Stellen Sie sich vor, Ihr Auszubildender steht Anfang April bei Ihnen im Büro und sagt: „Heute ist mein letzter Arbeitstag.“ Angeblich hat er mit dem restlichen Urlaub und den gesammelten Überstunden genug freie Tage zusammen, um bis Ende Juli, dem Vertragsende, nicht mehr auf den Betrieb zu kommen.
Fein säuberlich hat er seine Überstunden dokumentiert. Sie als Ausbilder hat er vorher aber nicht über die Menge an Mehrarbeit informiert. Selbst haben Sie sich die Überstunden des Lehrlings nicht notiert. Zwar kommt der Azubi damit nicht so einfach durch, doch das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Azubi ist nachhaltig gestört.
Was Überstunden überhaupt sind und worauf man in der Lehre achten soll, erklärt Ausbildungsberaterin Eva Niederdalhoff von der Landwirtschaftskammer NRW.
Wochenblatt: In der landwirtschaftlichen Ausbildung fallen vor allem jetzt in der Ernte Überstunden an. Wann noch?
Niederdalhoff: Es gibt immer Phasen, in denen Arbeiten mit Termindruck zusammenfallen, so etwa bei den Aussaaten im Frühjahr und im Herbst. Hier lassen sich viele Tätigkeiten auf dem Feld nur bei bestimmten Witterungs- und Bodenverhältnissen erledigen. Da ist oft nicht viel Zeit. Auch bei Stallarbeit kann es zum Beispiel beim Ein- und Ausstallen zeitlich eng werden.
Die Übergänge zwischen Frei- und Arbeitszeit können fließend sein. Wie genau definieren Sie Überstunden?
Niederdalhoff: Rechtlich leistet ein Arbeitnehmer Überstunden, wenn die vertraglich oder tariflich festgelegte Arbeitszeit überschritten wird. In der Landwirtschaft ist es generell schwer, Arbeitszeiten klar einzugrenzen. Ist das Gespräch am Tisch, wenn es um die Planung der nächsten Arbeitsschritte geht, Arbeitszeit? Ist es Arbeitszeit, wenn der Landwirt einen Nachbarn oder Berufskollegen trifft und man sich über aktuelle Themen austauscht?
Das ist ein Geben und Nehmen. Habe ich einen Ausbilder, der sich Zeit nimmt, zu erklären und Zusammenhänge zu beleuchten, kann es schon mal länger dauern und trotzdem müssen die anfallenden Aufgaben erledigt werden. Wer etwas lernen möchte, fährt natürlich auch mit zur Messe, auch wenn dann der Tag mal zwei oder drei Stunden länger wird. Dies empfinden viele Auszubildende auch als sehr wertschätzend, da sie den Ausbilder zu wichtigen Terminen begleiten dürfen.
Wer in der Landwirtschaft ausgebildet wird, der sollte für den Beruf Begeisterung aufbringen. Wer aber einen klar definierten Arbeitstag mit acht Stunden möchte, der sollte eine Ausbildung in der Landwirtschaft überdenken.
Schwierig ist es doch vor allem für diejenigen, die auf dem Betrieb wohnen, genau zwischen Frei- und Arbeitszeit zu unterscheiden?
Niederdalhoff: Ja, das stimmt. Es wohnen zwar viele Auszubildende nicht mehr auf den Betrieben, aber für die, die sich dafür entschieden haben, sind die Übergänge noch fließender. Hier ist die Erfassung der Zeiten oftmals aber kein Thema, der Auszubildende läuft als Teil der Familie mit und ist noch stärker involviert.
Macht es Sinn, die Überstunden zu dokumentieren? Wenn ja, wie?
Niederdalhoff: Hier sollten die beiden Seiten gemeinsam überlegen, wie sie vorgehen möchten. Ich kann nur empfehlen, sich regelmäßig miteinander auszutauschen und gemeinsam festzuhalten, wann und wo Überstunden aufgetreten sind.
Werden Überstunden nicht schriftlich festgehalten, sollte der Azubi diese dennoch für sich selbst notieren.
Grundsätzlich gilt das Arbeitszeitgesetz: Demnach ist der Arbeitgeber verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit eingewilligt haben. Die Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren.
Sollen Überstunden eher vergütet werden oder soll der Azubi einen zeitlichen Ausgleich bekommen?
Niederdalhoff: Auch hier sollten die Beteiligten im Vorfeld besprechen, wie es geregelt werden kann. Hingegen ist es bei minderjährigen Azubis eindeutig: Bei ihnen muss ein zeitlicher Ausgleich erfolgen.
An wen können sich Azubis wenden, wenn es zu viele Überstunden werden?
Niederdalhoff: Für das Einhalten des Jugendarbeitsschutzgesetzes ist der Arbeitgeber verantwortlich. Die Aufsicht über die Ausführung des Jugendarbeitsschutzgesetzes obliegt der Bezirksregierung. Die Ausbildungsberaterinnen und -berater der LWK sind für generelle Fragen zuständig.
Werden wir in Einzelfällen involviert, können wir nur schwer beurteilen, was in den Betrieben geschehen ist, aber wir können neutral moderieren. Wichtig ist, zeitnah das Gespräch mit dem Chef oder dem Ausbilder zu führen und gemeinsam Lösungen zu finden.
Checkliste durchgehen
Bevor es mit der Ausbildung losgeht bzw. in den ersten Tagen, sollten beide Seiten noch mal eine Checkliste durchgehen, sie mit den Eltern des Azubis abstimmen und gegebenenfalls das Besprochene protokollieren und beidseitig unterschreiben.Sonst kann es während der Ausbildung zu einem bösen Erwachen kommen.
Einen Leitfaden finden Sie auf der Homepage der Landwirtschaftskammer. Hier werden Themen für das Gespräch vorgeschlagen. Wichtige Punkte dabei sind die Arbeitszeiten in der Ernte und nach der Berufsschule, der Ausgleich und die Dokumentation von Überstunden, aber auch die Vergütung sowie Zeiten zum Führen des Berichtsheftes.
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