Sarah Schulte-Döinghaus:
Die 32-Jährige ist auf dem elterlichen Hof in Rietberg-Varensell im Kreis Gütersloh groß geworden. Einer ihrer Brüder bewirtschaftet den Schweinemastbetrieb. Seit 1997 ist sie Mitglied in der KLJB. Von 2014 bis 2018 bekleidete die studierte Lebensmitteltechnologin das Amt der ehrenamtlichen Diözesanvorsitzenden der KLJB im Erzbistum Paderborn.
Seit 2018 ist sie eine der drei hauptamtlichen Bundesvorsitzenden der KLJB, die in ganz Deutschland mehr als 70 000 Mitglieder hat, vor allem in den katholisch geprägten Regionen. Im März kandidiert sie erneut für das Amt. Neben der Landwirtschaft widmet sich die KLJB der ländlichen Entwicklung, der Ökologie und der internationalen Zusammenarbeit.
Stefan Schmidt:
Der 27-Jährige aus Bad Oeynhausen ist Agrarbetriebswirt. Der Ostwestfale ist als Betriebsleiter angestellt. Seit 2014 ist er im Vorstand der Westfälisch-Lippischen Landjugend (WLL), seit 2017 deren Vorsitzender. Seit November 2018 ist er stellv. Bundesvorsitzender und in diesem Amt für Agrarpolitik zuständig. Außerdem ist er stellv. Vorsitzender des WLV in Minden-Lübbeke.
Der Bund der deutschen Landjugend (BDL) ist mit rund 100 000 Mitgliedern der größte Jugendverband im ländlichen Raum und mehr als die Jugendorganisation des Bauernverbandes.
Die Katholische Landjugendbewegung (KLJB) hat im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt, als sie gemeinsam mit Fridays for Future und weiteren Jugendorganisationen forderte, die Gemeinsame europäische Agrarpolitik (GAP) umzubauen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Schulte-Döinghaus: Die Initiative ging von Fridays for Future aus. Denn Klimaschutz kann man ohne Landwirtschaft nicht denken. Wir müssen es schaffen, dass der Green Deal der EU umgesetzt wird und die Pariser Klimaziele eingehalten werden. Wenn die Förderpolitik der GAP das nicht hergibt, muss sie geändert werden.
Was sollte sich in der Förderpolitik ändern?
Schulte-Döinghaus: Beim Klimaschutz und anderen Umweltleistungen muss ein möglichst hohes Niveau erreicht werden. Die Landwirte dürfen das aber nicht aus der eigenen Tasche zahlen. Sie brauchen das EU-Geld. Es ist illusorisch, dass der Markt es ausschließlich machen wird und die Verbraucher mehr zahlen werden.
Nichtsdestotrotz ist die Verteilung per Gießkanne nicht gerecht und das Festhalten an den Direktzahlungen der falsche Weg. Die Gelder müssen besser verteilt werden. Auf Dauer sollte man das gesamte Säulenmodell überdenken. Das muss nicht von heute auf morgen sein. Aber wir müssen jetzt mit dem Umbau beginnen.
Schmidt: Die Direktzahlungen, ob man sie gutheißt oder nicht, sind nun mal einkommenswirksam. Die Landwirte planen zurzeit mit dem Geld. Der Knackpunkt ist, dass wir nicht von heute auf morgen das ändern sollten, sondern gut durchdacht. Langfristig sollten die Direktzahlungen umgestrickt werden. Wir sind auch bereit, Agrarumweltmaßnahmen verstärkt umzusetzen. Es muss nur praktikabel sein. Daran hapert es.
Die Forderung „Nur öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen“ macht nur Sinn, wenn man anerkennt, dass es auch eine öffentliche Leistung der Landwirtschaft ist, dass in Deutschland niemand hungern muss und es bezahlbare und sichere Lebensmittel gibt.
Die Förderung in der Ersten Säule der GAP enthält eine Prämie für Junglandwirte. Wie schätzen Sie die ein?
Schmidt: Nach dem Wegfall der Hofabgabeklausel muss die Junglandwirte-Förderung Anreiz für die Hofübergabe oder -abgabe schaffen. Die Prämie ist viel zu gering. Es profitieren eher Ackerbaubetriebe mit viel Fläche. Das lohnt sich nicht bei einem 30-ha-Betrieb.
Schulte-Döinghaus: Es braucht mehr Anreize. Für eine außerfamiliäre Hofübernahme oder eine Neugründung ist der Kapitalbedarf unheimlich hoch. Da bringt die gegenwärtige Junglandwirte-Förderung überhaupt nichts. Da muss man nach neuen Modellen schauen, zum Beispiel eine Gründer-Förderung, wie bei Start-ups.
Herr Schmidt, Sie selbst sind angestellter Betriebsleiter. Ist die Hürde zu hoch, in Deutschland einen fremden Hof zu übernehmen?
Schmidt: Ich plane langfristig den Betrieb mit Schweinemast und Ackerbau zu übernehmen. Allerdings ist die Gesetzeslage zurzeit sehr schwierig, außerfamiliär in so einen Betrieb einzusteigen. Da muss der gesetzliche Rahmen angegangen werden. Zum Beispiel bei den 51a-Gesellschaften müsste der Paragraf geöffnet werden, damit auch Agrarbetriebswirte ohne Betrieb in solch eine Gesellschaft eintreten können.
Ich kenne einige Kollegen aus meinem Abschlussjahrgang, die gerade vor der Entscheidung stehen, außerfamiliär einen Betrieb zu übernehmen. In der Politik hat man dieses Thema viel zu lange schleifen lassen. Wir haben viele gute Agrarbetriebswirte und auch studierte Landwirte, die ohne Betrieb dastehen. Wir müssen jetzt schnellstmöglich Lösungen finden, damit das Höfesterben nicht noch zunimmt, weil der Nachwuchs fehlt. Auch wenn gegenwärtig Agrarpolitik und niedrige Erlöse nicht gerade für Interesse sorgen, einen Betrieb zu übernehmen.
Schulte-Döinghaus: Der Beruf des Landwirtes muss attraktiv bleiben. Ich wähle keinen Beruf, in dem ich keine Zukunft sehe. Im Moment gibt es noch viele Hofstellen, die übernommen werden könnten. In zehn Jahren vielleicht nicht mehr. Andere EU-Mitgliedstaaten gehen einen anderen Weg. In Dänemark muss jeder Hofnachfolger den Betrieb abkaufen, auch innerhalb der Familie. Wie ist es mit Flächenabgabe? Wer hat den Vorrang beim Kauf der Flächen?
Muss man das Baugesetz lockern, damit junge Menschen, wenn sie einen alten Hof kaufen, auch die Möglichkeit haben, das Betriebsgebäude grundlegend zu verändern, um den Betrieb zukunftsfähig zu gestalten?
Vielleicht ist das klassische Familienmodell der Hofübernahme auch nicht mehr zeitgemäß, weil junge Menschen sich nicht mehr langfristig darauf einlassen wollen. Sie wollen sich möglicherweise nur zeitweise über eine GmbH oder eine andere Gesellschaft an einen Betrieb binden. Da muss man verstärkt Alternativen diskutieren.
Der Junglandwirtekongress der diesjährigen Grünen Woche drehte sich um Landwirtschaft und Klimawandel. Was haben Sie mitgenommen?
Schmidt: Die Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft liegen in Deutschland bei etwa 10 %. Die Landwirtschaft hat viele Möglichkeiten, Treibhausgase einzusparen. Zum Beispiel bei der Tierhaltung durch moderne Systeme.
Konkret fordern wir eine bundesweite freiwillige Klimaberatung für Landwirte, um überhaupt erst mal rauszufinden, wo die Emissionen auf betrieblicher Ebene entstehen. Was man allerdings nicht vergessen sollte: Bei einer steigenden Lebensmittelmenge sind die Emissionen konstant geblieben, zum Teil auch gesunken.
Schulte-Döinghaus: Die Zahlen zur Emission aus der Landwirtschaft sind ein wenig trügerisch. Manche Emissionen, die aus der Landwirtschaft stammen, werden anderen Verursachergruppen zugerechnet, zum Beispiel der Dieselverbrauch oder der Landumbruch. Daher finde ich es schwierig, zu sagen, die Landwirtschaft macht schon alles richtig.
Man muss auch Strukturen verändern. Gerade im Osten Deutschlands haben wir unheimlich große Flächen. Warum sorgen wir hier nicht für mehr Artenvielfalt und Klimaschutz durch sinnvolle permanente, naturnahe Strukturen wie Hecken oder Agroforstsysteme?
Inwiefern ist der Ökologische Landbau Teil der Lösung?
Schulte-Döinghaus: Ein Teil definitiv, aber nicht ausschließlich. Wir können an sehr vielen Orten in Deutschland gut produzieren. Dabei sollten wir unseren Selbstversorgungsgrad erhöhen und versuchen, weniger Lebensmittel zu exportieren und Futtermittel zu importieren. Dann hätten auch andere Länder wieder eine größere Chance, für ihren eigenen Markt zu produzieren.
Mit 100 % Ökolandbau schaffen wir eine hohe Selbstversorgerquote nicht. Es bleibt die Frage: Wie lässt sich die Landwirtschaft nachhaltiger gestalten ohne hohe Ertragseinbußen?
Schmidt: Das Thema wird zu sehr schwarz-weiß gesehen. Beide Systeme haben ihre Daseinsberechtigung. Wir haben viele konventionelle Betriebe, die zwar nicht auf öko umstellen, aber beide Verfahren kombinieren – eine Hybridlandwirtschaft. Es gibt Zwischenwege, die gut für den Klima- und den Artenschutz sind.
Ein Weg, sich an den Klimawandel anzupassen, können neue Methoden der Züchtung sein wie die Genschere. Die KLJB steht der Gentechnik bis dato aber ablehnend gegenüber.
Schulte-Döinghaus: Da brauchen wir und die Politik einen Neustart. Es kann nicht sein, dass man klassische Züchtungsmethoden erlaubt, nur weil es so schon in den vergangenen 30 Jahren war. Die neuen Methoden, rein wissenschaftlich betrachtet, sind viel weniger Eingriff in die Pflanze. Im Gegenzug glaube ich aber nicht, dass die Genschere alle Probleme löst. Was für mich nicht geht, ist artfremde DNA einzubringen. Auch der Eingriff bei Tieren ist ethisch nicht vertretbar.
Schmidt: Wir stehen der grünen Gentechnik offen gegenüber und sehen viel Potenzial, insbesondere um weniger Pflanzenschutz einzusetzen. Das Klonen von Tieren oder Ähnliches sollte aber verboten bleiben.
Der BDL hat eine Junglandwirte-Studie in Auftrag gegeben. Erste Ergebnisse werden im Frühjahr erwartet. Was war die Motivation?
Schmidt: Die Studie reagiert auf die Proteste von „Land schafft Verbindung“. Uns reicht es nicht, durch irgendwelche WhatsApp-Gruppen und Pressemitteilungen zu hören: „Die Verbände machen nichts.“ Wir wollen als BDL genau wissen, woran es liegt. Was sind die Bedürfnisse und Erwartungen an die Verbände? Was braucht es, damit Menschen sich ehrenamtlich engagieren? Wie schaffen wir es junge Landwirte, die auf der Straße demonstrieren und vorher kaum Engagement gezeigt haben, mit einzubeziehen?
Das muss ja nicht immer gleich in Ämtern sein. Man muss das als Verband offener denken, vielleicht auch projektbezogene Themen zu schaffen, wo Junglandwirte zum Beispiel sagen: „Ich habe Interesse, die Sauenhaltung zu diskutieren und mache für eine Zeit mit.“
„Fridays for Future“ und „Land schafft Verbindung“ sind beides Bewegungen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind und an Zulauf gewonnen haben. Sehen Sie in ihnen eine Konkurrenz?
Schulte-Döinghaus: Es ist eine ganz andere Form des Engagements, die sich hauptsächlich in Protest und Aktionen zeigt. Die Jugendverbände haben demokratische Strukturen. Dadurch sind sie ein wichtiger Lernort für junge Menschen und haben auch eine starke Legitimation. Viel Aufmerksamkeit haben die Proteste schon auf sich gezogen. Wenn ich aber langfristig etwas verändern will, dann gelingt mir das innerhalb des Systems – entweder in einer Partei oder einem Verband.
Die Verbände müssen das aber auch als ein Weckruf sehen. Es gibt bei uns manchmal zu starre Strukturen, die nicht mehr zu dem heutigen Selbstverständnis von jungen Menschen passen. Manche wollen sich nur für einen Zeitraum für etwas Bestimmtes engagieren. Da müssen die Landjugendverbände schauen, wie sie die bisherigen Strukturen aufbrechen, ohne den demokratischen Hintergrund völlig zu vernachlässigen. Manche gewinnt man durch themenbezogene Arbeit auch für weitere Ämter.
Schmidt: Viele unserer Mitglieder machen bei Aktionen von LsV mit. Wir sind so lange dabei, wie die Proteste friedlich und gesittet ablaufen. Die Abspaltungen im LsV befürworten wir nicht. Die große Mehrheit der LsV-Teilnehmer ist uns gegenüber auch nicht kritisch. Es sind häufig die wenigen Lauten, die öffentlichkeitswirksam Stimmung machen. Diese Bewegungen fordern mehr Demokratie. Aber sie sind selbst nicht gewählt.
Trotzdem sollten wir mehr voneinander lernen und Synergien nutzen. Die Blockaden vor Aldi kann ich gut nachvollziehen. Das hätten wir als Verband aber nie machen können. Wir wären direkt in Regress genommen worden.
Insgesamt ist aber durch LsV und Fridays for Future ein Umdenken bei jüngeren Menschen entstanden, dass man aktiv werden muss, um seine Positionen zu vertreten.
Wie wichtig ist die Landjugend, um die Position der Landwirtschaft auf dem Land zu vertreten? Nimmt sie eine Rolle als Brückenbauer ein?
Schmidt: Dadurch dass wir höchstens noch ein Drittel Landwirte in unseren Reihen haben, sind wir unter der jungen Generation auf dem Land jetzt schon Brückenbauer. Das merken wir auch innerhalb des Verbandes in den Diskussionen: Landwirtschaftliche Themen werden viel breiter diskutiert und auch nicht nur aus landwirtschaftlicher Sicht.
Das unterscheidet uns vom Bauernverband, der mehr oder weniger nur durch die Landwirtsbrille schaut. Wir legen auch gerne mal den Finger in die Wunde und hinterfragen Positionen. Auch in puncto Öffentlichkeitsarbeit können wir sehr gut Brücken bauen, auch gegenüber der älteren Generation.
Schulte-Döinghaus: Grundsätzlich sind wir als Landjugend mutiger oder kreativer, Strukturen zu hinterfragen. Ich fände es sehr spannend, wenn die Landjugend noch mal mehr eine Rolle als Brückenbauer einnimmt. In vielen Punkten tut sie das aber schon. So erstellen wir gerade ein umfangreiches Positionspapier zur Landwirtschaft der Zukunft.
Worauf kommt es uns denn eigentlich an in der Landwirtschaft und was sind Dinge, wo wir selbst etwas verändern können? Viele Hofnachfolger sind diejenigen, die neue Perspektiven spinnen, die sagen, sie möchten ihren Hof verändern, denn sie erkennen den Wandel in der Gesellschaft.
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