Das Bundeslandwirtschaftsministerium plant, die Vorgaben für das Töten von Embryos in Hühnereiern zu lockern. Ab 2024 sollte eigentlich eine strengere Regel greifen, die die Tötung bereits ab dem siebten Bruttag verbietet. Das Ministerium will die Frist nun auf zwölf Tage verlängern. Das zumindest berichtete in der vergangenen Woche das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in seiner Onlineausgabe. Demzufolge beruft sich das Ministerium auf eine neue, bei Redaktionsschluss des Wochenblattes noch nicht veröffentlichte wissenschaftliche Studie*, die im Kern besagt, dass Hühnerembryonen bis zum 12. Bebrütungstag keine Schmerzen empfinden können. Bislang bestand Unklarheit, ob ein Hühnerembryo vom 7. bis 15. Tag schmerzempfindlich ist. Gesichert war dies erst für die Zeit nach dem 15. Tag. Ein entsprechender Bericht soll dem Bundestag – wie vom Gesetz vorgesehen – bis Freitag dieser Woche, 31. März, zugehen.
Eingriffe noch erlaubt
Seit Anfang 2022 ist die Tötung von Hühnerküken nach dem Tierschutzgesetz verboten. Allerdings ist bis zum 31. Dezember 2023 nicht geregelt, bis zu welchem Tag der 21-tägigen Brutzeit eine Geschlechtsbestimmung und das Aussortieren der männlichen Bruteier verbindlich durchzuführen ist. Damit sind bis zum Jahresende sämtliche Eingriffe zur Geschlechtsbestimmung im Brutei bzw. der Embryonen faktisch bis unmittelbar vor dem Schlupf noch rechtskonform.
*Aktualisierter Nachtrag: Das BMEL hat die wissenschaftliche Studie inzwischen veröffentlicht. Sie ist hier zu finden.
In die Falle getappt
„Cem Özdemir tappt jetzt in die Falle, die ihm seine Vorgängerin mit einem unzureichenden Gesetzentwurf gestellt hat. Julia Klöckner hat nie die Systemfrage gestellt, sondern wollte lediglich eine technische Lösung, um das tierschutzfeindliche System der Hochleistungseierproduktion zu erhalten. Der grundlegende Fehler dieses Gesetzes war, dass man der Industrie mit der Geschlechtsbestimmung im Ei sowie der Tötung von Embryonen ein Schlupfloch gelassen hat, welches diese nun aus ökonomischen Interessen nutzt.
Tierschutzminister Cem Özdemir muss dem Bundestag rasch einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Problematik des Kükentötens an ihrer Wurzel packt, statt nur die Symptome des Systems einer einseitig spezialisierten Hochleistungszucht zu behandeln. Das Kükentöten, ob im Ei oder nach dem Schlüpfen, ist rigoros zu verbieten. Hingegen muss die Umstellung auf sogenannte Zweinutzungshühner angestrebt und gefördert werden. Alle anderen Alternativen stellen den wirtschaftlichen Nutzen über den Tierschutz und verstoßen somit gegen das im Grundgesetz verankerte Staatsziel Tierschutz.“
Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes
Insel in Europa
„Dieser neue Vorschlag des Bundeslandwirtschaftsministers schafft eine deutsche Insel in Europa. Wir haben das Verbot des Kükentötens seit dem 1. Januar 2022 konsequent umgesetzt. Als einziger Brütereibetreiber in Deutschland wenden wir fast alle unterschiedlichen Verfahren der Geschlechtsbestimmung an. Jetzt schlägt das Ministerium eine dauerhafte Lösung vor, die in dieser Schärfe nirgendwo in der EU zur Anwendung kommt. Deutschland ist viele Jahre Vorreiter in Sachen Tierschutz gewesen, Özdemir ist nun zum Totengräber der besten Nutztierhaltung in Europa geworden. Mit einem neuen Stichtag am 12. Bebrütungstag wird die Chance eines europäischen Standards vertan. Die Brütereipraxis braucht bei unterschiedlichen Herdengrößen Flexibilität bei der Geschlechtsbestimmung.“
Tobias Ferling, Geschäftsführer der Lohmann Deutschland Junghennen GmbH in Ankum
Mehr Bruderhähne
„Sollte die neue Regelung in Kraft treten, hat das konkrete Auswirkungen auf alle aktuell in der Praxis angewandten Bestimmungstechnologien. Das optische Verfahren ,Cheggy‘ von AAT ist weltweit das einzige Verfahren, mit dem große Partien an einem einzigen Tag bestimmt werden können. Wir wissen aus Versuchen, dass die Cheggy-Technologie auch am 12. Bebrütungstag in der Praxis angewandt werden kann, jedoch die Genauigkeit etwas abnimmt. Daher wurde das Verfahren aus Tierschutzgründen bisher am 13. Tag verwendet. Sollte das Gesetz zukünftig den 12. Tag festlegen, wird das Verfahren am 12. Bebrütungstag Anwendung finden. In der Konsequenz müssen deutlich mehr Bruderhähne aufgezogen werden, da die höchste Bestimmungsgenauigkeit erst am Ende des zweiten Brutdrittels herrscht.“
Jörg Hurlin, Agri Advanced Technologies Visbek
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