Nach langer Vorbereitungszeit hat die EU-Kommission vergangene Woche ihre Vorschläge zur Reform des EU-Pflanzenschutzrechts vorgelegt. Und die haben es in sich: Neben einer Halbierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln strebt die Brüsseler Behörde ein Komplettverbot von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten an.
Laut dem Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans, sind Reduktionen im chemischen Pflanzenschutz unumgänglich. „Die Wissenschaft ist klar: Der Verlust von Biodiversität bedroht unsere langfristige Ernährungssicherheit“, sagte der Niederländer. Die neue "Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pflanzenschutzmitteln" ist mit dem "Naturwiederherstellungsgesetz" Teil des EU-Umweltpaketes.
Verbot in Schutzgebieten
In sogenannten Natura 2000 Gebieten sieht die Kommission ein komplettes Verbot des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln vor. Darunter fallen sowohl Vogelschutz- als auch Flora-Fauna-Habitat-Gebiete (FFH). In Deutschland sind Vogelschutzgebiete bislang nicht von Einschränkungen, z.B. durch das Insektenschutzpaket, betroffen.
Zentral in der Verordnung ist das Reduktionsziel von 50 % für „Einsatz und Risiko chemischer Pflanzenschutzmittel“ bis 2030, wobei der Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2017 als Basis dienen soll. Dazu will die EU-Kommission die EU-Mitgliedstaaten verpflichten. Ein Kommissionsbeamter erklärte, dass die ausgebrachte Menge von Pflanzenschutzmitteln in kg/ha entscheidend für die Berechnungen sein werden. Ob auch Risikoindikatoren greifen sollen, ließ er zunächst offen.
Im Einzelfall könnten die EU-Mitglieder laut der Pläne vom 50 %-Ziel abweichen. Zum Beispiel dann, wenn sie bereits hohe Reduktionen vorweisen können. Allerdings behält sich die EU-Kommission auch vor, in bestimmten Fällen die Reduktionsziele anzuheben.
Brüssel ist unzufrieden mit Ländern
Bislang regelt eine EU-Richtlinie den Umgang mit Pflanzenschutzmitteln in den Mitgliedstaaten. Mit solchen Richtlinien gibt die EU Ziele vor. Die EU-Mitglieder müssen dann nationale Gesetze erlassen, um diese Ziele zu erreichen. Dabei haben die Mitgliedstaaten in vielen Fällen großen Spielraum. Wie die EU-Mitglieder die Pflanzenschutz-Verordnung bislang umgesetzt haben, sorgte in Brüssel jedoch für großen Unmut: Zu wenig Reduktion, zu laxe Kontrollen, hieß es aus EU-Kreisen.
Deswegen will die EU-Kommission nun eine Verordnung erlassen. Das würde mehr Kontrolle für die EU bedeuten. Eine Verordnung ist ein verbindlicher Rechtsakt, den alle EU-Länder in vollem Umfang umsetzen müssen.
Soester Landwirte schlagen Alarm
Im Kreis Soest sorgen die EU-Pläne für Aufruhr. Denn mit dem Vogelschutzgebiet Hellwegbörde sind allein hier 35000 ha Ackerboden betroffen, bei einer Gesamtgröße des Vogelschutzgebietes von 48000ha. Deshalb haben die Landwirte am Donnerstag einen offenen Brief an ihre Europaabgeordneten Birgit Sippel und Dr. Peter Liese geschickt. Unterzeichnet vom Kreisverbandsvorsitzenden Josef Lehmenkühler schreiben sie:
„Mit Bestürzung haben wir Landwirte im Kreis Soest den gestern veröffentlichten Entwurf der Verordnung über die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln EU-Kommission im Rahmen des europäischen Green Deals gelesen.
Das Vogelschutzgebiet Hellwegbörde wäre hiervon massiv betroffen und die Konsequenz für die Hellwegbörde fatal. Das europäische Vogelschutzgebiet Hellwegbörde erstreckt sich über ca. 48.000 ha entlang der B1 zwischen Unna und Paderborn. Allein im Kreis Soest über 35.000 ha fruchtbarster Ackerboden mit stabiler höchster Ertragserwartung.
Vor dem Hintergrund, der sich abzeichnenden Versorgungskrise, insbesondere mit Getreide, macht uns der Entwurf fassungslos. Ein Verbot von Pflanzenschutzmitteln würde zu einer weiteren drastischen Verknappung von Nahrungsmitteln auf dem Weltmarkt führen, was in der aktuellen Zeit eine Hungerkatastrophe für noch mehr Menschen auf der Welt bedeuten würde. Zudem ist dieser Entwurf für den Vogelschutz in der Hellwegbörde absolut kontraproduktiv.
- Der komplette Verzicht auf Pflanzenschutzmittel würde andere Maßnahmen notwendig machen. Im Bereich des Herbizidersatzes wären das mechanische und thermische Mittel, die besonders für den Gelegeschutz fatal wären. Der Schutz der Bodenbrüter würde damit zunichte gemacht. Zudem würde der Wegfall von Pflanzenschutzmitteln eine Verengung der Fruchtfolge auf hackbare Kulturen wie beispielsweise Mais nach sich ziehen. Für Insekten wertvolle Kulturen wie z. B. der Raps hätten kaum noch eine Chance.
- Die extrem angespannte weltweite Versorgungslage, besonders bei Getreide, verträgt keine weitere Reduzierung. Eine Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent würde die Brotgetreideversorgung auf dem Weltmarkt noch weiter verschlimmern. Aus humanitären Gründen halten wir Landwirte eine künstliche Verknappung für absolut nicht vertretbar. Hier müssen wir in Europa über den Tellerrand schauen und haben auch eine Verantwortung für die armen Regionen der Erde.
- Es gibt intelligentere Methoden der Reduzierung von PS-Mitteln: Integrierter Pflanzenschutz oder Precision Farming sind nur zwei Beispiele, die den Einsatz schon jetzt deutlich reduziert haben und in denen bei weiterer technischer Entwicklung noch weiteres deutliches Potential schlummert.
- Bei der Ausweisung des Vogelschutzgebietes, wie auch der anderen Schutzgebiete, gab es den Konsens aller Beteiligten, dass Pflanzenschutz auch weiterhin nach guter fachlicher Praxis ohne zusätzliche Auflagen möglich sein muss. Politik sollte auch hier Wort halten.
Wir Landwirte sehen in der Versorgung der Menschen mit guten und ausreichenden Nahrungsmitteln unsere wichtigste Aufgabe. Die aktuelle Situation rückt diese Notwendigkeit wieder neu in den Fokus. Gleichzeitig ist für uns, die wir in und mit der Natur leben und arbeiten, der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen essentiell.
Wir appellieren deshalb dringend an Sie, dem Vorschlag nicht zuzustimmen. Unser Anliegen würden wir in einem persönlichen Gespräch gerne erläutern."
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