Kontrovers: Welternährung und Landwirtschaft

Ist eine Welt ohne Hunger möglich?

In vielen Ländern herrschen Unterernährung und Hunger. Die Corona-Pandemie und Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine haben die Lage verschärft. Wie wird da die Welternährung nachhaltig gesichert?

Es gab in den letzten Jahrzehnten durchaus Erfolge in der Hungerbekämpfung. Zwischen 1950 und 2015 sank der Anteil hungernder Menschen weltweit von 50  auf 8  %. Vor allem die Ertrags­steigerungen in der Landwirtschaft haben das möglich gemacht. Seit 2015 steigt allerdings die Zahl der Hungernden. Derzeit sind es über 800 Mio. Menschen, also mehr als 10 % der Weltbevölkerung. Weitere 3 Mrd. Menschen leiden weltweit an Mikronährstoffmangel, ebenfalls mit schlimmen Gesundheits- und Entwicklungsfolgen.

Für diesen Rückschlag sind mehrere Faktoren verantwortlich, vor allem

  • häufigere Wetterex­tre­me mit entsprechenden Ernteausfällen,
  • Kriege,
  • Corona, aber auch
  • sinkende Ertragszuwächse in der weltweiten Nahrungsproduktion.

Die Weltbevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten von 8 auf über 10 Mrd. Menschen wachsen und sich dann vermutlich in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts stabilisieren. Es werden also über 2  Mrd. zusätzliche Menschen ernährt werden müssen – bei knapper werdendem Flächen- und Wasserangebot.

Allerdings haben wir schon heute einige der planetaren Grenzen deutlich überschritten. So sind Landwirtschaft und Ernährung für ein Drittel aller Klimagasemissionen und für einen erheblichen Teil des globalen Artenschwunds verantwortlich. Der Klimawandel hat bereits negative Folgen für die Landwirtschaft, und diese werden sich verschärfen. Das könnte den Hunger weiter in die Höhe treiben, wenn wir nicht rasch Minderungs- und Anpassungsstrategien entwickeln und umsetzen.

Einfache Tricks reichen nicht

Das von der Weltgemeinschaft gesteckte Ziel einer Welt ohne Hunger bis 2030 wird wohl nicht erreicht werden können. Dennoch haben wir es in der Hand, dieses Ziel innerhalb der nächsten 15 bis 20 Jahre zu erreichen, wenn wir jetzt entschieden handeln. 10 Mrd. Menschen können gesund und nachhaltig ernährt werden, auch inner­halb der planetaren Grenzen. Allerdings ist das eine große Herausforderung, die nicht durch einfache Tricks zu lösen ist. Es bedarf umfassender Veränderungen – mit vielen Ansätzen die gleichzeitig verfolgt werden müssen, sowohl in der Produktion als auch im Konsum:

Die Verteilungsgerechtigkeit muss verbessert werden, was erfolgreiche Armutsbekämpfung voraussetzt. Gleichzeitig muss aber sichergestellt sein, dass ausreichende Mengen produziert werden und für den menschlichen Konsum verfügbar sind.

Die Landwirtschaft muss ertragreicher und gleichzeitig umweltfreund-licher und klimaangepasster werden. Das erfordert agrar-ökologische Maßnahmen in Kombination mit neuen Technologien. Gentechnik und digitale Technologien bieten große Potenziale, die verantwortlich genutzt werden müssen.

Die Landwirtschaft muss viel­fältiger werden. Der starke Fokus auf Getreide, Ölsaaten und Zucker ist zu eng. Vielfältigere Fruchtfolgen sind gut für die Umwelt und erhöhen die Resilienz. Vernachlässigte Kulturarten mit Potenzial sollten durch veränderte Agrarpolitik und spezifische Forschung gefördert werden.

Für gesunde Ernährung werden weltweit sehr viel mehr Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse benötigt, als heute produziert werden.

Landwirtschaft in Gunstregionen

Mit Blick auf die Bekämpfung des Hungers sollten Produktionssteigerungen vor allem in Afrika und Asien stattfinden. Die afri­kanische Landwirtschaft braucht einen starken Impuls mit Investitionen in Infrastruktur, Technologie, Beratung und lokale Institutionen.

Dennoch: Viele Länder Afrikas und Asiens werden auf Nahrungsimporte angewiesen bleiben, weil der Klimawandel vor allem in den Tropen und Subtropen negativ durchschlägt. Deswegen muss die Produktion auch in Gunstregionen wie Europa gesteigert werden.

Zu geringe globale Ertrags­steigerungen bei wachsender Nachfrage führen zu einer weiteren Ausdehnung der Landwirtschaft in Wälder und Naturräume. Genau das ist aber der größte Treiber des Artenschwunds und eine wesent­liche Quelle von Klimagasen. Vor diesem Hintergrund ist der Ökolandbau mit seinen niedrigeren Erträgen nicht die Blaupause für global nachhaltige Landwirtschaft.

Produktionssteigerungen und neue Technologien sind wichtig, werden aber nicht reichen, um nachhaltige Ernährungssicherung zu garantieren. Gleichzeitig müssen die Lieferketten und das Konsumverhalten nachhaltiger werden. Verluste und Verschwendung müssen reduziert und Ernährungsmuster verändert werden.

Den Fleischkonsum verringern

Vor allem bei uns in den reichen Ländern müssen wir den Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten deutlich verringern, weil diese einen viel größeren Umwelt- und Klimafußabdruck als pflanzliche Produkte haben. Aber auch die Nutzung von Biosprit aus Getreide, Zucker und Ölsaaten sollte reduziert werden, denn sie trägt nicht zum Klimaschutz bei und konkurriert direkt mit dem Ziel der Ernährungssicherung.

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Unser Gastautor Matin Qaim ist Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn. Der Beitrag beruht auf einer Stellungnahme Qaims im Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am 30. November 2022.