Hundert Tage in der Ausbildung

Nicht mit Politikern blicken wir auf die ersten hundert Tage im Amt zurück, sondern mit jungen Auszubildenden in der Landwirtschaft. Für sie begann Anfang August ein neuer Lebensabschnitt.

Mitte November kehrt auf vielen Höfen etwas Ruhe ein. Die Maisernte ist zu Ende und die Saat für das nächste Jahr im Boden. Zeit um zurückzuschauen. Denn in der turbulenten Saison zwischen Getreide- und Maisernte beginnen Anfang August die Azubis mit ihrer Ausbildung auf den Höfen. In NRW waren es etwa 540 junge Männer und Frauen. Wir sprachen mit drei Ausbildern und Auszubildenden über die ersten hundert Tage.

Teamarbeit und Trecker fahren

Auf dem Betrieb von Bernd Upmeier zu Belzen in Bielefeld-Jöllenbeck gibt es kein Vieh. Dennoch muss Aron Wiebe jeden Morgen „füttern“: Der Auszubildende schiebt mit Rad- oder Teleskoplader Maissilage, Zuckerrüben und Mist in die beiden Biogasanlagen. Der 16-Jährige macht sein erstes Ausbildungsjahr auf dem reinen Ackerbaubetrieb mit 100 ha.

Anfang August ging es dann gleich in die Vollen. Er half bei der Ernte. Während dieser Zeit schlief er auf dem Betrieb. Sonst wohnt Aron bei seinen Eltern in Bielefeld-Sennestadt. Sie haben dort keinen Hof. Morgens geht es mit Rad und Zug zur Arbeit. „Die ersten Wochen hatten es in sich“, erinnert er sich und blickt dennoch stolz auf diese Zeit zurück. Denn die Tage konnten in der Ernte lang werden.

Dabei war Teamarbeit angesagt. Neben dem Azubi arbeitet noch ein fester Mitarbeiter auf dem Hof. „Aron muss ein Teamplayer sein“, sagt Bernd Upmeier. In der Nachbarschaft liegt der Betrieb seines Vetters. Mitarbeiter und Azubis der beiden Betriebe arbeiten oft zusammen. Im Team zurechtzukommen, ist für Aron aber kein Problem. Zu Hause hat er zehn Geschwister.

Per WhatsApp tauschen sich die Mitarbeiter aus. Weiß Aron mal nicht weiter, ist immer jemand erreichbar. Ende August hatte Aron dann auch den Führerschein für den Trecker in der Tasche. Er grubberte und säte Zwischenfrüchte. „Das Grubbern hat mir besonders Spaß gemacht“, erzählt er. Zunächst saß jemand dabei, dann durfte er immer öfter allein fahren.

Denn auf dem Uphof lernen die Azubis das Meiste bei der praktischen Arbeit. Sie werden überall mit eingebunden: Sie streuen Mist und bringen Gärreste und Gülle aus. Wenn es gut läuft, dürfen sie auf den Mähdrescher und auch drillen – dabei verlangt der Ausbilder den nötigen Respekt im Umgang mit den teuren Maschinen.

„Ein Interesse an Technik muss da sein“, findet Bernd Upmeier, der 15 Auszubildende hatte. Aron hatte vorher ein paar Tage auf dem Betrieb zur Probe gearbeitet. „Das ist für mich wichtiger als die Noten“, sagt der Agraringenieur. In der Schulzeit machte Aron drei Wochen Praktikum auf einem Milchviehbetrieb. Spätestens danach war für ihn klar: Ich werde Landwirt.

Im Alltag ist immer ein stückweit improvisieren angesagt. Teile an den Anlagen und den Maschinen gehen kaputt und müssen getauscht werden. „Darauf muss er sich einlassen“, meint der Ausbilder.

Am Anfang muss man als Ausbilder Geduld mitbringen. Es funktioniert noch nicht alles sofort. „Daher ist es gut, dass sie zunächst noch Ferien in der Berufsschule haben“, sagt Bernd Upmeier. So seien sie die ganze Woche auf dem Betrieb und lernen die Abläufe kennen. In den Wintermonaten bleibt Zeit, die Überstunden abzubauen. Im zweiten und dritten Jahr geht Aron auf Milchviehbetriebe. Später könnte er sich vorstellen, in die russische Landwirtschaft reinzuschnuppern, so wie einst sein Großvater.

Ein Teil der Familie

Oscar Hilge ist ein Überzeugungstäter. „Ich wollte schon im Kindergarten Landwirt werden“, berichtet der 16-Jährige. In Altenberge im Kreis Steinfurt haben seine Eltern einen Gartenbau-Betrieb. Zusätzlich halten sie 500 Hühner und zwölf Mutterkühe im Nebenerwerb.

Um seinem Wunsch ein Stück näherzukommen, lebt er im ersten Jahr seiner Ausbildung auf dem Milchviehbetrieb von Johannes Buschhoff in Drensteinfurt im Kreis Warendorf. Dort ist er Teil der vierköpfigen Familie des 35-Jährigen. Auf dem 120-ha-Betrieb mit 140 Milchkühen sowie weiblicher und männlicher Nachzucht melken sie in zwei Schichten.

„Zu Beginn war es ­eine Herausforderung, sich die Abläufe im Doppel-Zwölfer-Fischgräten-Melkstand zu merken“, gesteht Oscar. Andere Arbeiten kannte er aber von zu Hause und einem dreiwöchigen Schulpraktikum auf einem Hof. Er mischt das Futter fürs Jungvieh und reinigt die Kälber­eimer. „Das nervt etwas. Muss aber gemacht werden“, sagt er.

Zusammen kontrollieren Johannes Buschhoff und Oscar Hilge das Futter für das Milchvieh. (Bildquelle: Otte )

Oscar stieg im August zur Weizenernte ein und half beim vierten Schnitt des Grünlandes. „Hier arbeiten wir mit viel größeren Maschinen und auf größeren Flächen als zu Hause“, erzählt Oscar. Deshalb stellt sein Ausbilder deutlich klar: „Obwohl es im August stressig ist, gehen wir es zum Beginn der Lehre ruhig an.“ Oscar ist der achte Azubi des staatlich geprüfte Landwirts. Der Azubi muss sich alles anschauen können und Zeit zum Aufnehmen haben. „Ich kann nicht gleich 100 % erwarten.“

Oscar macht gerade seinen Führerschein für Auto und Trecker. Auf den arrondierten Schlägen, knapp 30 ha, durfte er schon fahren. Er streute Dünger und säte Zwischenfrüchte. Auf Dauer soll aber jeder Mitarbeiter alles können – egal ob im Stall oder auf dem Acker. „Wenn die Lehrlinge wollen, können wir ihnen alles beibringen“, meint Johannes Buschhoff.

Die neuen Azubis sind oft das erste Mal länger von ihren Familien weg. „Manche haben Heimweh“, weiß der Ausbilder. Heimweh spürt Oscar aber nicht. Auf dem Hof hat er ein Zimmer samt Bad, Tür an Tür mit den Kindern. „Das kenne ich von zu Hause. Dort habe ich zwei jüngere Geschwister“, sagt er. Oscar hat auch schon mal auf die Töchter aufgepasst. Abends macht er die Aufgaben für die Schule oder füllt das Berichtsheft aus.

Dabei nimmt sich Johannes Buschhoff Zeit, Abläufe zu erklären. Beide diskutieren auch über konventionelle und ökologische Landwirtschaft. Denn Oscars Eltern wirtschaften nach Bioland-Richtlinien. Einig sind sie sich, dass jeder Azubi mal in beide Richtungen reinschauen sollte. Oscar absolviert das zweite und dritte Jahr auf Ökobetrieben.

Begeistert von der Vielfalt

Leonie Jung kommt nicht aus der Landwirtschaft. Aber in den ersten hundert Tagen ihrer Ausbildung hat sie noch keinem Moment bereut, diesen Beruf gewählt zu haben. Seit Anfang August erlernt die 18-Jährige auf dem Hof von Georg und Gabriele Tewes in Willebad­essen-Altenheerse alles, was man als künftige Landwirtin können muss. Dort werden rund 60 Milchkühe plus Nachzucht betreut. Der Betrieb wirtschaftet seit Jahren nach den Regeln des Ökologischen Landbaus, vermehrt Saatgut und baut neun verschiedene Ackerfrüchte sowie Feldgemüse an.

Der Anbau und die Pflege von Kleegras nimmt im Biobetrieb eine zentrale Rolle ein, wie Georg Tewes Leonie Jung erklärt. (Bildquelle: Waldeyer)

Es ist vor allem die enorme Vielfalt, welche die aus dem Nachbarort stammende, junge Frau begeistert: „Die Arbeit mit den Tieren, der Umgang mit den verschiedenen Maschinen und das Gefühl, ein Teil des sich drehenden Gesamtkreislaufs zu sein – auf dem Hof wird es nie langweilig“, freut sich Leonie, den Schritt in die Ausbildung gewagt zu haben.

Diesen hat sie sich vorab gut überlegt. Sie hat ausgiebig mit ihrer Familie, Freunden und Bekannten aus der Landwirtschaft über ihren Plan gesprochen. Und im Mai dieses Jahres war Leonie für drei Tage zum „Schnupper-Praktikum“ auf dem Hof. „Bei diesem Probe­training merken beide Seiten schnell, ob man zusammenpasst“, erklärt Georg Tewes. Er bildet seit fast 20 Jahren Lehrlinge aus und hat mit den Schnupper­tagen stets gute Erfahrungen gemacht: „Der persönliche Eindruck ist viel wichtiger als beispielsweise das Schulzeugnis“, weiß der erfahrene Ausbilder.

Er versucht immer, die Stärken seiner Auszubildenden auszubauen, ohne die noch nicht so perfekten ­Bereiche zu vernachlässigen. Schließlich sollen die künftigen Agrarier später überall zurechtkommen – fachlich und menschlich!
Bei Leonie ist Tewes da unbesorgt. Die junge Frau nimmt bislang alle Herausforderungen an. Sie hat nicht nur viel Freude an der Arbeit mit den Kühen und Kälbern.

Auch das Schlepperfahren ist nach kurzer Einweisung kein Problem, weil sie sich grundsätzlich für Technik interessiert. Und dass das tägliche Abdecken des Futtersilos nicht unbedingt Begeisterungsstürme auslöst, kennt der Milchviehhalter von zahlreichen Vorgänger-Azubis. Landwirtschaft ist halt vielfältig: Es gibt beliebte und nicht ganz so beliebte Aufgaben. Erledigt werden müssen sie aber alle.

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