Wochenblatt: Herr Beringmeier, rund eine halbe Million schlachtreife Schweine stehen im Stau, bis Jahresende vermutlich mehr als 1 Mio. Wie lässt sich der Überhang an Schlachtschweinen auflösen?
Wir müssen die vorhandenen Kapazitätsreserven heben, vor allem in den großen Schlachtbetrieben. Beispielsweise läuft der Tönnies-Standort in Rheda derzeit nur auf 70 %. Das ist zu wenig. Ich bin dazu im Dialog mit der Unternehmensleitung, aber auch mit den zuständigem NRW-Arbeits- sowie Gesundheitsministerium.
Warum steigen die Schlachtkapazitäten nicht?
Ohne Zweifel: Die Corona-Schutzverordnung ist wichtig und richtig. Und die Schlachter müssen diese 1 : 1 einhalten. Aber mir kommt es so vor, als ob die Kontrolleure des Arbeits- sowie Gesundheitsministeriums derzeit zu scharf vorgehen und das Haar in der Suppe suchen. Dieses Vorgehen verhindert höhere Schlachtkapazitäten. Wir brauchen unbedingt mehr Flexibilität und Verhältnismäßigkeit, sonst droht eine Katastrophe.
Was fordern Sie konkret von der Landespolitik?
Dass sie uns weiterhin mit aller Kraft unterstützt, wie Ministerin Heinen-Esser und Minister Laumann dies in einigen Situationen bereits gemacht haben. Sie muss ermöglichen, dass die Schlachter arbeiten können und nicht mit übertriebenen Auflagen oder Kompetenzgerangel zwischen Land, Kreis und Kommune die Betriebe bremsen.
Leider kann ich diesen Willen nicht immer erkennen. Ich habe den Eindruck, dass die Existenzsorgen vieler Schweinehalter noch nicht in allen Behörden ausreichend ernst genommen werden.
Hubertus Beringmeier ist seit Februar 2020 Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV). Seit September ist er auch Vorsitzender des Fachausschusses „Schweinefleisch“ beim Deutschen Bauernverband (DBV). Gemeinsam mit seiner Familie bewirtschaftet Beringmeier in Hövelhof-Espeln (Kreis Paderborn) einen Betrieb mit Schweinemast und Ackerbau.
Was fordern Sie von der Bundespolitik?
Es ist gut, dass die ursprünglich geplanten Schlussberatungen zum verschärften Arbeitsschutzkontrollgesetz von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in der vergangenen Woche im Deutschen Bundestag von der Tagesordnung genommen wurden. Die Politik hat sich nach Einschätzung vieler Beobachter die Fleischbranche herausgepickt und will hier ein Exempel statuieren.
Meine große Sorge ist, dass dadurch die Kosten für Schlachtung und Zerlegung dauerhaft steigen und wir keine Lösungen mehr für Arbeitsspitzen haben, zum Beispiel für das Grillgeschäft im Sommer oder zu Weihnachten. Gerade mit Blick auf das kommende Weihnachten droht ein Desaster, wenn viele ausländische Schlachthofmitarbeiter über die Feiertage nach Hause fahren, danach in Quarantäne müssen und die Schlachtbänder womöglich zwei Wochen stillstehen.
Ist Sonn- und Feiertagsarbeit die Lösung?
Kaum. In NRW durfte Westfleisch am Feiertag 3. Oktober ca. 5000 Schweine schlachten, musste aber bereits am 11. Oktober nachweisen, dass die Mitarbeiter geleistete Überstunden wieder abgebaut hatten. Das ist praxisfern, denn de facto ist die Zahl der Schlachthofmitarbeiter begrenzt. Wir brauchen mehr Flexibilität, um mehr Arbeitsstunden leisten zu können.
Wie können mehr Netto-Arbeitsstunden gelingen?
Indem die Mitarbeiter beispielsweise jeden Tag eine Stunde länger arbeiten dürfen, die Überstunden aber nicht zeitnah abfeiern müssen, sondern dann, wenn es passt.
Gehen die Corona-Fallzahlen bei den Schlachthofmitarbeitern hoch, droht ein Stopp der Schlachtung – auch kurzfristig. Wie lässt sich mehr Kalkulierbarkeit und Sicherheit erreichen?
Aktuell sind die Kreisveterinäre bei diesen Entscheidungen auf sich alleine gestellt. Das muss sich ändern. Wir brauchen ein bundesweit einheitliches und verlässliches Vorgehen, wenn Corona bei Schlachthofmitarbeitern auftritt. Diese Forderung haben wir unter anderem an Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner gestellt und sehen realistische Chancen, dass ein verbindliches Regelwerk entsteht.
In Gelsenkirchen hätte ein einziger Corona-positiv-getesteter Beschau-Veterinär fast zur Schließung des Schlachthofs geführt. Wie lässt sich so ein Fiasko vermeiden?
Der Fall ist beispiellos. Von uns Landwirten werden Krisenpläne verlangt, dann dürfen wir auch Krisenpläne von den Behörden verlangen! In Gelsenkirchen habe ich mich persönlich eingeschaltet und kurzfristig mit dem Kreisveterinär eine Lösung erarbeitet, damit der Schlachtbetrieb weiterläuft.
Die Schweine werden schwerer. Niedersachsen kommt im Schnitt schon auf mehr als 100 kg Schlachtgewicht, NRW liegt knapp darunter. Den Schaden haben die Landwirte mit höheren Futterkosten und Abzügen für Übergewichte. Warum gibt es keine Corona-Masken?
Die Diskussionen über Corona- Masken laufen. Und klar ist auch, dass Landwirte, die ihre schlachtreifen Schweine aufgrund der zu geringen Schlachtkapazitäten durch das Corona-Virus schieben mussten, nicht auf den Kosten sitzen bleiben dürfen. Hierüber müssen wir mit den Schlachtbetrieben verhandeln, auch weil es vor allem die kleineren Betriebe betrifft.
Wir sollten die Masken aber nicht generell öffnen. Das könnte das falsche Signal senden und einige Betriebe dazu veranlassen, ihre Schweine grundsätzlich schwerer zu mästen.
Noch drastischer ist es bei Schlachtgewichten von mehr als 120 kg. Dem Mäster bleibt oft nur der Ferkelpreis, den er vor fünf Monaten bezahlt hat.
In der Tat, diese Tiere kommen in die Sauenmaske, der Mäster bekommt meist weniger als 100 €. Lösungen sind schwer, aber wir fordern, dass auch hier die Kosten nicht bei den betroffenen Landwirten hängen bleiben dürfen. Einige Tiere verkaufen wir aktuell lebend nach Kroatien oder Italien, immerhin ein kleines Absatzventil.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner nimmt die Schweinehalter in die Pflicht: Sie sollen weniger Sauen belegen und weniger Ferkel aufstallen. Ihre Meinung dazu?
Ich teile die Verwunderung und Verärgerung vieler Landwirte über diese Aussagen. Von der Belegung der Sau bis zur Schlachtung vergehen rund 300 Tage. Kurzfristige Reaktionen sind somit nicht möglich.
Ich gehe aber davon aus, dass Anfang kommenden Jahres weniger Tiere am Markt sein werden. Die Sauenschlachtungen sind um 20 % gestiegen, Jungsauen sind kaum gefragt. In Wahrheit sinken die Bestände somit. Wir sind aber strikt gegen eine generelle Quote oder Vorgaben in dem Sinne, dass Mäster jetzt zum Beispiel nur noch 80 % ihrer Ställe belegen sollten. Das würde den Druck auf die ohnehin gebeutelten Ferkelerzeuger zusätzlich erhöhen. Wir appellieren vielmehr an alle Mäster, jetzt keine Ställe leer zu lassen. Wer jetzt nicht einstallt, handelt unverantwortlich gegenüber den Ferkelerzeugern.
Sollten deutsche Schweinemäster auf den Import von ausländischen Ferkeln verzichten?
Es kommen schon weniger Ferkel aus dem Ausland nach Deutschland. Und die Ferkelpreise in Dänemark und den Niederlanden fallen parallel zu denen in Deutschland. Wir können und sollten die Grenzen aber nicht komplett schließen. Schließlich brauchen wir 30 % Ferkelimporte – oder 30 % der deutschen Mastställe bleiben leer. Wenn es irgendwo Druck durch Importferkel gibt, empfehlen wir, Kontakt mit unseren WLV-Kreisgeschäftsstellen aufzunehmen. Diese finden regionale Lösungen.
Der Schweinepreis sowie die Ferkelpreise verharren seit Wochen auf ruinösem Niveau. Wo können Impulse herkommen?
Wir haben noch zwei bis drei extrem schwierige Monate vor uns, vor allem über die Feiertage zum Jahreswechsel. Der Schweinepreis liegt bei 1,27 €, da ist etwas Luft nach oben, einen Sprung erwarte ich aber nicht. Gegen Ende Januar wird es allerdings besser, weil dann absehbar weniger Schlachttiere auf den Markt kommen. Dann können wir wieder ruhiger schlafen.
Das Besondere an der aktuellen Krise ist: Der Preisdruck kommt nicht vom Absatzmarkt, sondern von den Problemen bei der Schlachtung und Zerlegung. Alles steht und fällt damit, wie sich das Corona-Geschehen an den Schlachthöfen entwickelt.
Nach dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest (ASP) in Brandenburg und jetzt auch in Sachsen ist der Export in Drittländer weggebrochen. Welche Ströme haben sich verschoben?
Es gibt viele Verschiebungen. Der Exportmarkt China ist lukrativ, er bietet eine hohe Wertschöpfung, vor allem für Nebenerzeugnisse. Vom Exportstopp für Deutschland profitieren unsere europäischen Nachbarn. Zum Beispiel Spanien, wo der Schweinepreis jetzt bei rund 1,70 € liegt, aber auch Dänemark. Beide Staaten beliefern jetzt China, statt den europäischen Binnenmarkt. Genau auf diesem können wir nun das deutsche Schweinefleisch absetzen – Gott sein Dank!
Deutschland drängt auf die Regionalisierung, um weiter Schweinefleisch nach Asien exportieren zu können. Wie ist der Stand?
Die Gespräche laufen. Unsere Forderung ist, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel noch einmal einschaltet. Denn für die Chinesen ist die Regionalisierung absolutes Neuland. Uns würde sie aber extrem helfen. Auch, weil die Chinesen zuletzt vermehrt grob zerlegte Schweinehälften geordert haben. Das würde uns bei den aktuellen Problemen in Schlachtung und Zerlegung entlasten.
Wie gut ist NRW auf ASP-Funde bei Wildschweinen vorbereitet?
Besser als Brandenburg! Wir haben bereits im Januar 2019 unsere Wildtierseuchenvorsorge-Gesellschaft gegründet. Damit sind wir optimal vorbereitet, besser als jedes Bundesland. Wir könnten binnen kürzester Zeit Kernzonen einzäunen.
Aber wir haben eine andere Baustelle in NRW: die hohen Schwarzwildbestände. Die Preise sind zusammengebrochen, Wildbret ist kaum zu vermarkten. Gemeinsam mit den Jägern suchen wir nach Anreizen, damit mehr Wildschweine geschossen werden. In einigen Regionen gibt es eine Abschussprämie für Frischlinge, diesen Ansatz finde ich gut.
Mal angenommen, die ASP würde zum Beispiel in Borken ausbrechen: Welches Unternehmen würde die Schweine aus dem gefährdeten Gebiet dann schlachten?
Diese Frage haben wir mit der Schlachtbranche intensiv diskutiert. Es müsste ein kleiner Schlachthof sein, der die Tiere aus dem gefährdeten Gebiet schlachtet. Die großen Standorte müssten normal weiterlaufen, weil wir diese für den Export brauchen. Konkret lässt sich diese Frage aber erst im Ernstfall beantworten.
Die Viren haben die Schweinebranche im Griff, der Berliner Politikapparat läuft trotzdem weiter. Was erwarten Sie bei der Umsetzung der Borchert-Empfehlungen?
Als WLV und DBV unterstützen wir die Vorschläge der Borchert-Kommission. Aber wir brauchen dringend Antworten auf zwei entscheidende Fragen. Erstens: Wie sieht eine verlässliche Finanzierung aus? Dazu hat Frau Klöckner eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, Ergebnisse erwarten wir für Februar bzw. März 2021. Ich hoffe, dass das Thema nicht in den Wahlkampf 2021 gerät – dafür ist es einfach zu wichtig.
Zweitens: Wie beantworten wir die Genehmigungsfrage? Wir brauchen Klarheit, damit unsere Tierhalter An-, Um- und Ersatzbauten durchführen können.
Und Ihre Forderungen in der Debatte zur neuen TA-Luft?
Der Entwurf der neuen TA-Luft ist immer noch nicht konkret genug! Er nimmt zwar den Tierwohlgedanken auf, definiert diesen aber nicht klar genug, um Rechtssicherheit zu schaffen. So bleibt die TA-Luft Stückwerk. Die Fragen sind im Detail extrem komplex. Ich bin froh, dass wir zwei Fachleute aus dem Münsterland in die Borchert- Gruppe integrieren konnten.
Düsseldorf startet die Anhörung zur Landesdüngeverordnung. Wie positioniert sich der WLV?
Aktuell haben wir noch keine Unterlagen aus dem Ministerium bekommen – obwohl die Landesdüngeverordnung bereits ab 2021 gelten soll und die Anbauplanungen für 2021 bereits abgeschlossen sind. Es ist also schon spät.
Zwei Aspekte sind entscheidend: Zum einen, wie sieht die Gebietsausweisung für Nitrat sowie Phosphat aus? Vor allem, wie transparent und nachvollziehbar ist die Einstufung in „Rot“ oder „Grün“ und was kann ich tun, um von „Rot“ auf „Grün“ zu kommen? Zum anderen, welche Maßnahmen bringt das Land noch auf den Weg, wie Vorschriften zur Analyse von Wirtschaftsdüngern oder Schulungspflicht für Landwirte?
Mehr zum Thema: