Im Windschatten der Diskussionen über Eco-Schemes, grüne Architektur und Europäischen Green Deal ringen die Verhandler im Trilog zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) um eine Änderung der Gemeinsamen Marktordnung (GMO). Vor allem auf den Milchmarkt hätten die Änderungen gravierende Auswirkungen:
Das Europaparlament fordert in seinem Gesetzesvorschlag der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) ein neues Interventionssystem sowie Strafzahlungen für Milcherzeuger, die ihre Produktionsmenge im Krisenfall erhöhen würden. Die EU-Kommission und der EU-Agrarministerrat schlagen weniger tief greifende Änderungen vor und möchten das bestehende System lediglich anpassen.
Unter den Vorschlägen der Parlamentarier gibt es viel Unstrittiges. So will es z. B. den Interventionszeitraum von den Sommermonaten auf das ganze Jahr ausweiten. Die drei Trilog-Parteien sind sich ebenfalls einig über die Erweiterung der Produktions-Obergrenze für einzelne Erzeugerorganisationen im Milchsektor. Laut Parlament dürften Erzeugerorganisationen in Zukunft bis zu 4,5 % der europäischen Rohmilchmenge unter sich vereinen. Diese Regelung ist für die deutsche Bayern MeG von besonderer Bedeutung.
Die Gemeinsame Marktordnung
Die Gemeinsame Marktordnung (GMO) ist ein Bestandteil der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union (EU). Die GMO regelt unter anderem die Anwendung der sogenannten Kriseninstrumente. Diese Maßnahmen sollen die europäischen Agrarmärkten im Krisenfall stabilisieren.
In der Vergangenheit enthielt die GMO Abnahmegarantien zu Festpreisen für bestimmte Agrarerzeugnisse oder die Quotenregelungen für Zucker und Milch. Mit der letzten EU-Agrarreform wurde der Umfang der Markteingriffe durch die GMO reduziert. Seit dem Auslaufen der Quotenregelungen beinhaltet die GMO sogenannte Sicherheitsnetze. Es handelt sich dabei um Maßnahmen, die lediglich im Falle einer Marktkrise angewendet werden dürfen. Unter anderem ist die Förderung der Privaten Lagerhaltung oder der Ankauf von Magermilchpulver durch die EU enthalten. Um die Verhandlungsmacht der Erzeuger gegenüber der verarbeitenden Industrie zu erhöhen, wird durch die GMO auch der Zusammenschluss von Erzeugerorganisationen gefördert.
Zündstoff in Verhandlungen
Einige Reformwünsche der Parlamentarier sorgen jedoch für Zündstoff in den Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Agrarministerrat und Europaparlament. Auch die Akteure der Milchbranche diskutieren bereits hitzig über die Vorschläge aus Straßburg.
Zum Beispiel über den Vorschlag des Europaparlaments, das Interventionssystem ganz anders aufzubauen. So fordert das Parlament, den Ankauf der festgelegten Interventionsmenge durch die EU-Kommission zu einem fixen Preis abzuschaffen. Stattdessen soll die Kommission regelmäßig Interventionsmengen ausschreiben. Im neuen Verfahren müssten die einzelnen Molkereien auf die ausgeschriebenen Mengenkontingente bieten. Das günstigste Gebot bekäme den Zuschlag.
Bonus-Malus-System
Der Ankauf von Magermilchpulver und Butter zum Interventionspreis ist eine Reaktion der EU auf Marktschwankungen. Auch die Subvention der Privaten Lagerhaltung dieser Güter ist ein bekanntes Werkzeug aus Brüssel. Lassen sich Marktschwankungen durch diese Maßnahmen nicht beruhigen, kann die EU-Kommission weitere Maßnahmen aus einem großen Werkzeugkasten ergreifen.
Die Parlamentarier möchten diese Regelungen konkretisieren. Das Ausrufen einer Krisensituation soll durch ein europäisches Frühwarnsystem unterstützt werden. Werden bestimmte Warnschwellen erreicht, muss die EU-Kommission binnen 30 Tagen auf die Krise reagieren und das Europaparlament über geplante Maßnahmen informieren.
Aus dem Parlament kommt die Forderung nach einer Prämienzahlung für Erzeuger, die ihre Produktionsmenge im Krisenfall im Vergleich zum Vorjahr reduzieren. Noch brisanter ist der Vorschlag, die Erzeuger, die ihre Produktionsmenge im selben Zeitraum ausweiten, mit einer Strafzahlung zu belegen.
Allerdings hat das Europaparlament bisher weder die genauen Warnschwellen des Frühwarnsystems noch die Höhe der Prämien- oder Strafzahlungen in dem Gesetzesvorschlag definiert.
Lieferbeziehungen
Um die Lieferbeziehungen zwischen Milchviehhaltern und Milchverarbeitern zu standardisieren, bietet die GMO den Artikel 148.
Dieser Passus soll nach den Vorstellungen der Parlamentarier erweitert werden. In Lieferverträgen, die nach Artikel 148 gestaltet sind, soll in Zukunft der Milchpreis vor der Lieferung geregelt werden. Alternativ dazu planen die Parlamentarier, einen Mechanismus in den Lieferverträgen zu verankern, in dem der Milchpreis anhand verschiedener Indikatoren bestimmt wird. Als Grundlage dieser Berechnung sollen unter anderem auch die Produktions- und Vermarktungskosten von Milch dienen.
Die Bundesrepublik wendet Artikel 148 bis dato nicht an. Seit dem Milchgipfel 2018 droht Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner mit der Überführung des Artikels 148 in deutsches Recht. Von der Milchbranche fordert sie eine wirksamere Planung und Steuerung der Milchmengen. Dies soll durch detaillierte Lieferverträge erreicht werden.
Die aktuelle Milchmarktpolitik
Seit dem Auslaufen der Milchquote 2015 bewegen sich die europäischen Milcherzeuger auf einem freien Markt. Durch Angebot und Nachfrage werden die Preise bestimmt. Auf dem Weltmarkt führt das zu großen Preisschwankungen. Um solchen Schwankungen und daraus resultierenden Krisen auf dem europäischen Milchmarkt zu begegnen, stehen in der EU mehrere Instrumente zur Verfügung:
Der Ankauf von Butter und Magermilchpulver durch öffentliche Stellen und die Subventionierung Privater Lagerhalterung (zum Beispiel bei Molkereien).
Lässt sich der Milchmarkt durch diese beiden Maßnahmen nicht ausreichend beruhigen, kann die EU-Kommission auf weitere Krisenvorschriften in der Gemeinsamen Marktordnung zurückgreifen. In den Regelungen für außergewöhnliche Maßnahmen in Krisenzeiten wurde der EU-Kommission ein breiter Rahmen für Interventionen gesetzt. Zur Bewältigung der Krise 2015/16 führte die EU-Kommission ein EU-weites Milchmengenverringerungsprogramm durch. Landwirte erhielten eine Prämie von 14 Cent/kg Rohmilch, um die sie ihre Produktion im Vergleich zum Vorjahr reduziert hatten. In Deutschland wurden die Maßnahmen um ein nationales Liquiditätshilfeprogramm für Milcherzeuger ergänzt und durch Bundesmittel aufgestockt.
Was kommt wirklich?
Brüsseler Kreise erwarten, dass die Vorschläge des Europaparlamentes zu Knackpunkten im Trilog zur Gemeinsamen Marktordnung werden. Unter vorgehaltener Hand spricht man in Brüssel jedoch davon, dass das Europaparlament mit den großen Forderungen Verhandlungsmasse für den Trilog aufbauen wollte. Im Trilog wird stets der Kompromiss gesucht. Daher gehen Brüssel-Kenner nicht davon aus, dass die Reformvorschläge der Parlamentarier genauso in geltendes EU-Recht übergehen werden.
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