"Manchmal“, ist sich Maria Terwey sicher, „manchmal ist es einfach Kopfsache.“ Die 66-jährige Coesfelderin lehnt sich zurück. Um sie herum Ruhe und Idylle wie in einem schwedischen Kinderbuch: Vögel zwitschern, Rosen duften, im Kühlschrank wartet ein frischer Obstkuchen. „Man muss Situationen annehmen, um damit zu Recht zu kommen.“
Die Situation annehmen – das musste Maria Terwey in ihrem Leben häufig: Als ihr Vater verunglückte und sie mit 17 als älteste von vier Schwestern den elterlichen Milchviehbetrieb schmeißen musste. Als ihr Mann erkrankte und sie mit fünf kleinen Söhnen und zunehmend pflegebedürftigen Altenteilern den Betrieb übernahm. Aber auch, als sie nach ihrem Schulabschluss eine landwirtschaftliche Lehre beginnen wollte und ihr die Borkener Landwirtschaftskammer dies nicht gestattete.
Komplette Stallarbeit bis hin zu Haushalt und Garten
Doch der Reihe nach. Maria Terwey lebt mit Mann, Sohn, Schwiegertochter und zwei Enkeln auf ihrem ehemaligen Bullenmastbetrieb am Rande Coesfelds. 30 Jahre hat sie diesen geführt. Momente, in denen sie inmitten von Vogelgezwitscher und Rosenduft verweilen konnte, waren rar gesät. „Es war ein Programm“, sagt sie. „Man stand morgens auf und dann lief das.“
In der Praxis erstreckte sich dieses Programm von der Versorgung der Kinder und Altenteiler über nahezu die komplette Stallarbeit bis hin zu Haushalt und Garten. Mitarbeiter gab es keine, nur eine Bügelhilfe unterstütze einen Tag in der Woche. Marias Tag müsse wohl 36 Stunden haben, stellt eine gute Bekannte fest.
„Ich habe es gern gemacht“, bringt sie es selbst auf den Punkt. Denn die Organisation ist das Eine, was Maria Terwey beherrschte. Ohne das Andere, ihre Liebe und Hingabe für die Landwirtschaft, wäre ihr ‘Programm’ nicht zu stemmen gewesen.
Nichts für Töchter
Schon von Kindesbeinen an hat Maria Terwey ihren Vater auf dem heimischen Betrieb unterstützt. Mit Rückhalt ihrer Eltern trat sie in den 1970er Jahre mit dem Wunsch an die Borkener Kammer heran, eine landwirtschaftliche Ausbildung zu machen. Die Ernüchterung folgte prompt: Der Ausbildungsleiter winkte ab. „Da tun sie ihrer Tochter keinen Gefallen“, gab er gegenüber dem Vater zu verstehen.
„Ich habe dann eine hauswirtschaftliche Ausbildung gemacht“, sagt Terwey. „Mir blieb ja nichts anderes übrig.“ Ein Schicksalsschlag holte sie jedoch wieder auf den elterlichen Hof. Bei einem Autounfall verunglückte ihr Vater tödlich, ihre Mutter wurde ein halbes Jahr im Krankenhaus behandelt.
Maria Terwey bewirtschaftete den Betrieb größtenteils alleine. Sie war damals 17. „Es ging relativ gut, weil ich mit Hof und Stall sehr vertraut war“, sagt sie heute. „Und, weil die Nachbarn mit anpackten, wenn doch einmal Hilfe nötig war.“ Später wurde ein landwirtschaftlicher Facharbeiter eingestellt, der Terweys Schwester heiratete und mit ihr den Betrieb weiterführte.
Jeder ein Standbein
Maria Terwey indes besuchte die Wirtschafterinnenklasse der Landwirtschaftsschule in Coesfeld, lernte dort ihren Mann kennen. Mit 20 hatte sie ihren Hauswirtschaftsmeister in der Tasche. Nach zwei Jahren in der Betriebshilfe heiratete sie und zog zu ihrem Mann nach Coesfeld auf einen Gemischtbetrieb mit Schweinen, Bullen und Kälbern.
Kurz nachdem Terweys Mann den Betrieb in der 1980ern übernahm, folgte der nächste Schicksalsschlag: Ihr Mann erkrankte, durfte keinen Trecker mehr fahren, später auch nicht mehr in den Stall. „Wir haben dann entschieden, dass ich die Arbeit auf dem Hof übernehme und er auswärts arbeiten geht. Jeder ein Standbein.“
Vertreter mit Vorurteilen
Für die Terweys eine pragmatische Entscheidung – für Andere ein Tabu. Warum man es nötig habe, auswärts zu arbeiten? Wie eine Frau die Arbeit allein schaffen könne? „Es hat eigentlich sehr gut funktioniert“, entgegnet Terwey heute den vergangenen Bedenkenträgern. Sie könne sich nur an zwei Situationen erinnern, in denen sie nicht ernst genommen wurde, beide mit Vertretern, beide inhaltlich gleich: Wo denn ihr Mann sei, fragten beide. Mit einer Frau wollten sie nicht sprechen – es seien doch die Männer, die bestimmen. Gekauft hat Maria Terwey bei beiden nie etwas.
Großen Rückhalt dagegen erfuhr sie aus dem Familienkreis. Ohne die Familie auf dem Hof, die bei der Kinderbetreuung, Ernte und Stallarbeit unterstützte, wäre die Arbeit nicht zu schaffen gewesen. Auch in der Betriebsentwicklung wurde ihr volles Vertrauen entgegengebracht: Sie erweiterte die Bullenmast und spezialisierte sich auf die Fresseraufzucht. 150 Mastbullen und zwischen 250 und 350 Fresser umfasste ihr Betrieb, zudem 35 ha Acker und 17 ha Wald.
2006 übernahm Terweys zweitältester Sohn den Betrieb, gab die aktive Landwirtschaft nach einigen Jahren jedoch auf. Heute arbeitet er als Angestellter im Tiefbauunternehmen seiner Frau. Eine Entscheidung, die Terwey nachvollziehen kann – und die von Größe und gelebter Gleichberechtigung zeugt
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