Verkauf von Finanzprodukten

Finanzbildung an Volkshochschulen ist nicht neutral

Studie zeigt: Finanzbildung an Volkshochschulen ist nicht neutral, sondern mit dem Verkauf von Finanzprodukten verbandelt. Auch an Unis lauern die „Finanzstrukkis“ und gehen auf Beutefang.

Finanzbildung an Volkshochschulen ist nicht neutral, sondern mit dem Verkauf von Finanzprodukten verbandelt. Das zeigt eine aktuelle Studie. Auch an Unis lauern die „Finanzstrukkis“ und gehen auf Beutefang.

VHS-Netz ist weit verbreitet

Tabellenkalkulation mit Excel, Datensicherheit, Englisch für Anfänger oder das Einmaleins der Geldanlage – das kann man an einer Volkshochschule (VHS) lernen. Bundesweit gibt es rund 900 VHS, davon etwa 160 in NRW. Mit rund 9 Mio. Teilnahmen sind die VHS nach eigenen Angaben der größte Anbieter der allgemeinen Erwachsenenbildung in Deutschland und in ländlichen Regionen oft der einzig erreichbare Weiterbildungsanbieter. Ein perfektes Revier für Finanz- und Versicherungsvermittler, um dort auf Kundenjagd zu gehen?

Wer Kurse gibt, will verkaufen

In einer Studie an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen (HWG) unter Leitung von Dr. Hartmut Walz, Professor für Bankbetriebslehre und Finanzierung, prüften Studierende deutschlandweit die VHS-Angebote und untersuchten, ob Finanz- und Versicherungsvermittler als Lehrende an der VHS tätig sind.

Ergebnis: In 24 von 53 Fällen in elf Bundesländern, darunter Bayern, Niedersachsen, NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz, konnten sie ­nachweisen, dass Personen mit klarem Vertriebsinteresse Volkshochschulkurse zu Finanz- und Vorsorgethemen leiten. „Dabei ist dies nur die eindeutig nachweisbare Spitze des Eisbergs“, kommentiert Studienautor Prof. Dr. Hartmut Walz die Ergebnisse.

Öffentliche Zuschüsse für die VHS

Das Pikante: Die VHS erfüllen einen öffentlichen Bildungsauftrag und werden auch durch öffentliche Zuschüsse finanziert. „Finanzbildung ist über ­alle Altersklassen wichtig und sollte auch bei Volkshochschulen im Angebot sein“, betont der Verhaltensökonom und mahnt, „wenn an Volkshochschulen Finanzbildung stattfindet, muss diese neutral, unabhängig und ohne werbliche Aspekte für konkrete Finanzprodukte oder -dienstleister erfolgen.“

Auswahl der Kursleiter

Auch zur Frage nach Qualitätskriterien für die Auswahl von Kursleiterinnen und -leitern recherchierte das Studierenden-Team der HWG. Das Ergebnis hier: Auf Bundesebene ist das nicht der Fall. Lediglich einzelne Landesverbände geben fachliche Empfehlungen und Richtlinien heraus. Diese seien jedoch nur „im Sinne eines nicht weisungsgebundenen, freiwilligen innerverbandlichen Qualitätsmanagements“ zu sehen.“

An den Unis auf Beutefang

Eine VHS ist nicht die einzige Plattform, auf der sogenannte Finanzstrukkis (auf Profit getrimmte Verkäufer) auf Beutefang gehen können. Zusammen mit Dr. Gerhard Schick, Vorstand Bürgerbewegung Finanzwende, weist Walz in seinem Finanzblog darauf hin, dass deutsche Unis schon seit Jahren ein beliebtes Revier für Finanzdienstleister wie MLP, „Akademikerfinanz“, Horbach, Mayflower oder Tecis sind.

Diese Finanzdienstleister würden gezielt Erstsemester ansprechen, welche dann „in falschem Vertrauen auf die durch den Hochschulkontext ,geadelten‘ Finanzvertriebe Produkte oder Produktbündel abschließen“. Das Ticket zum Hochschulgelände ­lösen die Finanzvertriebler nach Walz’ Recherchen oft über ein kleines Sponsoring.

Kostenlose Seminare und teure Verträge

Auf dem Campus angekommen, stellen sie einen Werbestand auf, verteilen Nüsse und Traubenzucker für die gestressten Studierenden oder Büromaterial mit Werbeaufdrucken. Dann laden sie die Erstsemester zu kostenlosen Seminaren und Bewerbungstrainings ein. Meist gehen Finanzdienstleister in zwei Stufen vor.

Sehr beliebt sind Workshops, berichtet Walz. Der erste Teil findet in den Räumlichkeiten der Hochschule statt. Auf dem Programm steht z. B. Bewerbungstraining, Selbstorganisation oder „Wie manage ich mein Auslandssemester?“. Für den zweiten Teil geht es in die Schulungsräume der Finanzdienstleister. Hier referieren die Finanzstrukkis über die Notwendigkeit von Versicherungen und Altersvorsorge und liefern die von ihnen maßgeschneiderten Finanzprodukte gleich mit – inklusive Drinks und Häppchen. Wer will da nicht sofort unterschreiben?

Hier finden Sie Analysen, Einschätzungen und Tipps wie Sie Ihre Finanzen auch in Zeiten von Null- und Negativzinsen fest im Griff behalten.

Der Professor für Bankbetriebslehre und Finanzen warnt: „Die Produkte sind in mehrfacher Hinsicht sehr unvorteilhaft bis schädlich. Sie sind überteuert, unflexibel und provisionsintensiv.“

Widerspruch erzeugt Druck

Kommen nach den „Workshops“, die nichts anderes als eine Verkaufsveranstaltung sind, doch Zweifel auf, gibt es die gesetzliche 14-tägige Widerspruchsfrist. „Wer sie aber nutzt, um aus seinen Verträgen herauszukommen, wird in der Folgezeit noch intensiv mit ­Anrufen und E-Mails ,nachbearbeitet‘“, berichtet der Verhaltensökonom. Aus zahlreichen Erfahrungsberichten von Studierenden weiß er, dass die jungen Menschen sich massiv unter Druck gesetzt fühlen.

Nur der Profit zählt

Nach Walz’ Analysen sind die ­großen Gewinner solcher Aktionen die Finanzvertriebe, die ausschließlich der eigenen Provisionsmaximierung folgen. Kleinere Profiteu-re sind diejenigen Hochschulen,die Sponsorenbeiträge der Finanzdienstleister einnehmen. Die Verlierer sind die Stu­dierenden, dieVerträge für überteuerte und mit versteckten Risiken gespickte Versicherungs- und Vorsorgeprodukte abschließen und dadurch wirtschaftliche Schäden erleiden.

Kein Wunder, dass viele Betroffene ihre Verträge innerhalb der ersten zehn Jahre kündigen oder beitragsfrei stellen und später oftmals auf Eigenvorsorge verzichten. „Fatal“, findet Walz, „wer auf Eigenvorsorge verzichtet, nimmt später vielleicht das Sozialsystem in Anspruch.“

Altersvorsorge mit ETF

Er empfiehlt, mit ETF-Sparplänen fürs Alter vorzusorgen statt mit ineffizienten Vorsorgeprodukten. Für den Wissenschaftler haben Finanzstrukkis weder an VHS noch an Unis etwas zu suchen.

Artikel: Sorge um die Altersvorsorge: Wenn die Gans am Ende nicht fett wird

Transparente Beratung zu Finanzanlagen bieten Verbraucher­zentralen oder Honorar-Finanzanlageberater nach § 34 h Gewerbeordnung (GewO) und unabhängige Honorar-Anlageberater nach §  33 Abs.  3a Satz 1 Wertpapierhandelsgesetz. Bei Versicherungen sind es die Versicherungsberater nach §  34d Abs. 2 GewO.

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