Jens Lönneker, Psychologe und Geschäftsführer des Unternehmens "Rheingold-Salon" in Köln, kommt in einer soeben abgeschlossenen Studie zu dem Ergebnis, dass die Corona-Krise für die Landwirtschaft eine Chance darstellt. Dabei werden Wahrheit und bisherige Wahrnehmung zwar nicht auf den Kopf gestellt, aber es kommt doch Bewegung auf.
Die Ausgangslage stellt sich nach Lönneker so dar, wie er bei der WLV-Vorstandssitzung vor wenigen Tagen erklärte: Die Landwirtschaft hat sich im Laufe der Zeit immer weiter von der Allgemeinheit entfernt und ist in deren Alltagswirklichkeit kaum präsent. Es fehlen Kontaktpunkte, und so leben beide Seiten wie Parallelwelten nebeneinander her. Die Bilder von der jeweils anderen Seite entsprechen nur selten der Realität.
Bauern und Verbraucher im Teufelskreis
Höchst problematisch ist dabei, dass sich Landwirte und Bevölkerung gegenseitig beschuldigen, überholte Bilder von der Landwirtschaft zu haben.
- Bauern werfen den Verbrauchern Naivität vor, weil sie angeblich dem Ideal einer Bullerbü-Idylle nachhängen.
- Verbraucher wiederum klagen die Bauern der Ausbeutung und Zerstörung der Natur an.
Weil die Konsumenten erwarten, dass die Landwirtschaft sich verändert, ohne dass es Nachteile für die Verbraucher gibt, die Bauern aber sich von den Verbrauchern zur „Ausbeutung“ getrieben sehen, schieben sie sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Letztlich glauben beide Seiten, im Recht zu sein, die richtige Sichtweise zu haben. In der Verantwortung stehen stets die anderen.
Auch mit der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fakten lässt sich der Teufelskreis nicht durchbrechen. Schon häufig sind Verbraucher danach gefragt worden, ob und wie viel sie bereit wären, mehr für Lebensmittel auszugeben, wenn im Gegenzug die Produktion nachhaltiger und umweltfreundlicher würde. Die Rheingold-Studie belegt:
- 15 % der Verbraucher sagen schlichtweg „nein“,
- weitere 29 % der Befragten würden höchstens 5 % mehr ausgeben als bisher,
- noch einmal 32 % wäre bereit, 10 % höhere Preise zu bezahlen.
Also drei Viertel der Konsumenten mit höchstens (!) 10 % Zuzahlungsbereitschaft. Das ist ernüchternd.
Um diesen unguten Kreislauf zu durchbrechen, müssen neue „Narrative“ gefunden werden, die verfestigte Bilder erweitern und eine Basis schaffen, die beide Seiten mitnimmt. Als Narrativ (lateinisch: narrare = erzählen) werden sinnstiftende Darstellungen von Zusammenhängen bezeichnet, die Einfluss haben auf die Art, wie die Welt wahrgenommen wird.
Neue Narrative sollten laut Lönneker veraltete Vorstellungen der Verbraucher von der Landwirtschaft modernisieren, den Verbrauchern weiterhin ein attraktives Idyll sowie eine Vorstellung von Lebensqualität vermitteln und die Landwirte als wirtschaftende Manager, ausgezeichnete Experten und somit als Teil der Allgemeinheit anerkennen. Was die Landwirte und ihre Familien tatsächlich leisten und was ihre Aufgaben sind, davon haben sie selbst meist eine klare Vorstellung. Die Verbraucher ebenfalls, aber eben nicht immer dieselbe.
Fünf Aussagen über Landwirtschaft
Lönneker hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen verschiedene Varianten der Narrative entwickelt bzw. herausgefiltert und dafür die Zustimmung bzw. Ablehnung sowohl bei Landwirten als auch Verbrauchern abgefragt. Im Wesentlichen geht es um fünf Modelle. Sie sehen Landwirte als
- Ernährer bzw. Garanten der Versorgungssicherheit,
- Bewahrer der Schöpfung,
- regionalen Identitätsstifter,
- Garanten für Lebensqualität,
- Zukunftsgestalter.
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die „Zukunftsgestalter“ haben bei den befragten Verbrauchern die größten Zustimmungswerte erhalten. Auch die Landwirte konnten sich damit sehr gut identifizieren.
Dahinter stehen folgende Aussagen, die für das Narrativ wesentlich sind:
"Landwirtschaft heißt Zukunft gestalten. Wenn die Zukunft für immer mehr Menschen gesichert werden soll, können Umwelt, Böden und Vieh nicht immer weiter so ausgebeutet werden, dass sie dauerhaft geschädigt werden. Landwirtschaft der Zukunft bedeutet daher mehr als Ertragssteigerung.
Schon jetzt produziert die Landwirtschaft erneuerbare Energien, entwickelt zum Beispiel Kartoffelzüchtungen für Salzböden oder arbeitet an Steigerungen der Bodenqualität mit dem Ziel, weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen zu müssen.
Landwirtschaft war schon immer aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien. Die Kombination alten Wissens und moderner Technik kann Nachhaltigkeitsaspekte stärken und Umwelt bewahren, ohne dass diese zulasten der Produktionsmengen gehen muss. Technik und Landwirtschaft könnten also in der Zukunft mehr denn je miteinander harmonieren.“
Der Sozialforscher Jens Lönneker erklärt, warum Bauern und Verbraucher, wie er es nennt, auf einen gemeinsamen Nenner kommen können: Die Landwirte fühlen sich in einem attraktiven Bild erkannt, das über die veraltete Bullerbü-Vorstellung hinausgeht. Und sie sehen sich als Experten und Ernährer angenommen.
Zum Hintergrund der Studie: Wer hat wen befragt, wer finanziert?
Die Studie „Wertschätzung für die Landwirtschaft nach dem Corona-Schock“ wurde durchgeführt von der „Lönneker & Imdahl rheingold salon GmbH & Co KG“ in Köln.
Wesentliche Bestandteile der Untersuchung waren Online-Gruppen- und Einzelinterviews sowie Online-Befragungen von 500 Verbraucher(inne)n (repräsentativ) sowie mehr als 100 Landwirt(inn)en im Sommer dieses Jahres.
Finanziert wurde die Untersuchung von der Stiftung Westfälische Landschaft, vom Deutschen Bauernverband sowie von der Stiftung LV Münster des Landwirtschaftsverlages.
Ein neuer Ansatz
Die Verbraucher erkennen an der Landwirtschaft eine neue Seite, die ihnen bisher nicht bewusst ist. Technische Entwicklung eröffnet die Möglichkeit, nachhaltig und schonend zu wirtschaften, ohne dass Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit gefährdet werden.
Nicht nur das Wortspiel, das hinter dem Begriff Zukunft-Bauer hervorlugt (Wir bauen die Zukunft/Wir sind die Bauern der Zukunft), gefällt den Landwirten. Sie fühlen sich in ihrem Selbstverständnis bestätigt. Die Verbraucher wiederum werden von neuen Aspekten der Landwirtschaft überrascht und nicht immer wieder in die Rolle der Bullerbü-Liebhaber gedrängt. Deshalb, so Lönneker, bietet dieses Narrativ das Potenzial, das Bild der Landwirtschaft weiterzuentwickeln.
Das ist ein neuer Ansatz. Vergessen darf man bei der Diskussion über das Verhältnis von Landwirten und Verbrauchern jedoch nicht, dass der Absatz der erzeugten Lebensmittel zum ganz überwiegenden Teil nicht direkt erfolgt, sondern über Weiterverarbeiter (Schlachter, Fleischwarenhersteller, Molkereien, Mühlen, Bäckereien usw.) sowie letztlich über den Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Wichtigstes Kriterium beim Einkauf ist für den LEH immer noch der Preis, danach kommt lange nichts. Jedoch werden immer mehr auch Ökologie, Nachhaltigkeit, Regionalität usw. in den Vordergrund gestellt. Dabei geht es dann um neue Angebotsformen oder Zukunftstechnologien.
Lönneker und seine Mitstreiter empfehlen den Organisationen der Landwirte,
- zunächst sozusagen intern ihre Kräfte zu bündeln, um das Bild der Zukunfts-Bauer erfolgreich umsetzen zu können.
- Im zweiten Schritt müsste die Öffentlichkeitsarbeit strategisch darauf abgestimmt und koordiniert werden.
- Als Drittes sollte ein Zentrum für die Beziehung und die Kooperation mit dem LEH bzw. den Weiter- und Zwischenverarbeitern eingerichtet werden,
Raus aus der Defensive
Klar ist, dass der LEH nicht umgangen werden kann. Aber wenn die Landwirtschaft mit der Verbraucherschaft ordentlich kommuniziert und dort Themen setzt, auf die der Handel reagieren muss, dann wird man auch dort Kooperationsbereitschaft finden, meint Lönneker. Das schafft eine andere Verhandlungsposition.
Ohne Verbündete wird das Konzept der Zukunft-Bauer nicht funktionieren. Idealerweise wäre eine Verbraucherorganisation mit im Boot. Dafür müssten aber noch einige Vorbehalte oder Vorurteile abgebaut werden.