Herr Wiese, im September hat der Seeheimer Kreis ein Positionspapier erstellt, in dem die Landwirtschaft eine prominente Rolle spielt. Seitdem überschatten die Corona-Ausbrüche an Schlachthöfen sowie das Auftreten der Afrikanischen Schweinepest (ASP) die agrarpolitischen Debatten. Haben die beiden Viren Ihren Vorstoß ausgebremst?
Corona und ASP bestimmen aktuell zu Recht das Tagesgeschäft. Unser Papier ist aber langfristig und strategisch angelegt. Wir haben es vor der traditionellen Klausurtagung der Bundestagsfraktion Anfang September veröffentlicht. Für die Inhalte bekommen wir viel Zuspruch.
Warum hat sich der Seeheimer Kreis so intensiv mit dem Thema Landwirtschaft beschäftigt?
Der Seeheimer Kreis gilt als Wirtschaftsflügel der SPD und ist pragmatisch ausgerichtet. Und Landwirtschaft mit seiner gesamten Wertschöpfungskette ist ein enorm wichtiger Teil der Wirtschaft. Die Landwirtschaft steht aktuell - wie viele Bereiche der Wirtschaft - vor enormen Herausforderungen und Veränderungen. Gerade die junge Generation der Hofnachfolger braucht eine verlässliche und vor allem planbare Zukunftsperspektive.
"Haben Agrarministerien zu schnell abgegeben."
Hat sich die SPD bis jetzt zu wenig um die Landwirte gekümmert?
Ja und nein. Dass die SPD Landwirtschaft kann, zeigt Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus seit 22 Jahren. Dennoch haben wir bei Landtagswahlen das Agrarministerium zu schnell an die Union und vor allem die Grünen abgegeben.
Was sagt Bundesumweltministerin Svenja Schulze eigentlich zu Ihrem Papier?
Sie sieht es als wichtigen Anstoß, die Landwirtschaftspolitik der SPD sichtbarer zu machen und Verbindendes in den Fokus zu nehmen.
"Kollegen des Koalitionspartner denken zuerst an den eigenen Betrieb"
In Berlin wollen SPD und Union zwar beide die Borchert-Vorschläge umsetzen und den Umbau der Tierhaltung zukunftssicher machen, kommen aber nicht zusammen. Warum gibt es keine Einigung?
Die Borchert-Vorschläge heißen Veränderung, Teile insbesondere der CDU setzen aber aufs Beharren. Man hat schon den Eindruck, dass einige Kollegen des Koalitionspartners bei den Borchert-Vorschlägen zuerst an die Auswirkungen auf ihrem eigenen Betrieb in Weser-Ems oder im Münsterland denken und danach erst ans große Ganze.
Bauernverband sowie Unionspolitiker werfen dagegen der SPD diese Blockadehaltung vor.
Das ist politisches Geplänkel. Wir haben uns direkt hinter die Vorschläge der Borchert-Kommission gestellt. Deren Umsetzung erfordert aber Mut zu Veränderungen und den Willen, die Zukunft der Landwirtschaft aktiv zu gestalten. Das kann ich bei einigen aktuell nicht erkennen.
"Die Fokussierung auf das Baurecht greift zu kurz."
Vor allem beim Baurecht knirscht es aber noch. Was sind die Knackpunkte?
Die reine Fokussierung auf das Baurecht greift zu kurz. Schon die Änderung von entsprechenden Verordnungen könnte das Geld zum Beispiel beim Umbau der Kastenstände schnell in die Fläche bringen. Eine Zementierung der Intensivtierhaltung über das Baurecht, wie es einigen Schweinehaltern vorschwebt, ist aber der falsche Weg. Die 300 Mio. € aus dem Konjunkturpaket hätte man übrigens besser über die AFP-Mittel der Länder verteilt.
Koppeln Sie Ihre Änderungswünsche an eine stärkere Flächenbindung?
Ich bin für eine stärkere Flächenbindung. Die Probleme beispielsweise mit der Düngeverordnung haben wir primär in den Regionen mit mehr als 2 Großvieheinheiten (GV) pro Hektar, also viele Tiere auf wenig Fläche. Hier im Sauerland ist es genau umgekehrt – wenig Tiere auf viel Fläche. Hier gibt es keine großen Probleme. Aber wir werden in Mithaftung genommen für diejenigen, die es über Jahrzehnte übertrieben haben.
Wie sieht Ihrer Meinung nach die Finanzierungsstrategie für den Umbau der Tierhaltung aus?
Kurz und knapp: Es geht ums Geld. In der ersten Säule ist mehr als ausreichend davon vorhanden. Man muss es nur wollen.
Beim Immissionsschutz gibt es mit der novellierten TA-Luft möglicherweise einen Kompromiss. Wie sieht dieser aus?
Die Gespräche hier laufen noch zwischen dem Landwirtschafts- und Umweltministerium. Ein zeitnaher Kompromiss wäre aber für alle Beteiligten so langsam wünschenswert.
"Nur ein einziges Tierwohllabel, das aber verpflichtend."
Beim staatlichen Tierwohlkennzeichen gibt es dagegen wenig Bewegung, trotz Kabinettsbeschluss befasst sich der Bundestag offiziell noch gar nicht. Woran liegt das?
Ganz ehrlich, ich ärgere mich generell über die Vielzahl an Tierwohllabeln am Markt. Da blickt doch niemand mehr durch. Am liebsten würde ich bei Null anfangen und es gibt von jetzt an nur ein einziges Tierwohllabel, das aber verpflichtend. Die Auffassung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, dass rechtlich nur ein freiwilliges Label möglich ist, teile ich übrigens so nicht.
Erwarten Sie, dass die Tierzahlen in Deutschland sinken?
In einigen Regionen wird es nicht ohne eine Reduzierung gehen.
Warum?
Zu viele Tiere auf zu wenig Fläche ist ja Ursache für viele der aktuellen Probleme und damit auch Gesetzesverschärfungen. Eine angepasste Zahl der Tiere würde uns im Sauerland auch nicht vor das Ärgernis der stetig steigenden Gülletransporte stellen. Die Legitimation für die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik mit den entsprechenden finanziellen Unterstützungen war und ist die Lebensmittelsicherheit und -versorgung, nicht die stetige Erhöhung des Weltmarktanteils.
Welche Rolle spielt die Landwirtschaft beim Klimaschutz?
Eine entscheidende. Zunächst: Landwirte haben ein ureigenes Interesse, die Folgen des Klimawandels einzudämmen. Denn sie spüren die Folgen in aller Härte, beispielsweise wenn sie aufgrund der niedrigeren Erträge teures Futter zukaufen müssen. Viele Landwirte sind absolut offen, Maßnahmen für den Klimaschutz zu erfüllen. Aber sie verlangen zurecht verlässliche und realistische Bedingungen – und wollen nicht als Detmolder Freilichtmuseum enden.
"Anton Hofreiter als Landwirtschaftsminister wäre nicht gut."
Werden Themen wie Tierhaltung, Klimaschutz usw. zum Wahlkampfthema 2021?
Mit Sicherheit. Und ich habe große Sorge vor einer Schwarz-Weiß-Diskussion zwischen den Beharrern in der Union und den Bevormundern bei den Grünen. Wir als SPD wollen die Landwirtschaft eng in den Diskurs einbinden und mitnehmen, wir wollen Hofnachfolgern eine Zukunftsperspektive geben und für vernünftige Einkommen auf den Höfen sorgen. Ich sehe uns als Vermittler zwischen den Extremen und stehe an der Seite der Landwirte. Denn mal ehrlich: Eine schwarz-grüne Regierung mit Anton Hofreiter als Bundeslandwirtschaftsminister wäre nicht gut für die Landwirtschaft. Teile der Grünen verschleiern das aber gerade und machen den Remmel im Schafspelz.
"Würden alle so wirtschaften wie im HSK, hätten wir viele Probleme nicht."
Blicken wir in Ihren Wahlkreis Hochsauerland: Dort fühlen sich viele Landwirte mit den Auflagen z.B. bei der Düngeverordnung in Geiselhaft genommen, weil sie extensiver wirtschaften als Berufskollegen in anderen Regionen, aber trotzdem strengere Auflagen erfüllen müssen. Was sagen Sie ihnen?
Dass ich ihre Kritik für berechtigt halte. Würden alle Landwirte in Deutschland so verantwortungsvoll wirtschaften wie bei mir zu Hause, hätten wir viele Probleme nicht. Allerdings sind Landwirte aus den Intensivregionen in vielen Verbänden in der Mehrzahl und somit stimmgewichtiger.
Die kleinstrukturierten und steilen Flächen bewirtschaften oft kleinere Betriebe bzw. Nebenerwerbsbetriebe, die ums wirtschaftliche Überleben kämpfen. Wie wollen Sie erreichen, dass die Landschaft offenbleibt – schließlich profitiert davon u.a. die Tourismusbranche?
Wir müssen die Spielräume, die das Agrarfördersystem bietet, vollständig ausnutzen. Also weg von der reinen Flächenprämie – davon profitieren vornehmlich Großbetriebe in den Gunstregionen. Wir brauchen weniger Mittel in der ersten Säule, dafür mehr Mittel in der zweiten Säule für bestimmte Leistungen und gekoppelte Zahlungen, zum Beispiel für die extensive Mutterkuhhaltung.
"Die Waldhilfen müssen schnell vor Ort ankommen."
Sie kommen aus Brilon – der „Stadt des Waldes“. Der Wald stirbt aktuell flächendeckend ab. Viele Waldbesitzer sind resigniert. Was muss jetzt kurzfristig passieren?
Der Bund hat im Konjunkturpaket nochmal 700 Mio. € Hilfe zugesagt. Das Geld muss jetzt schnell vor Ort ankommen. Gerade habe ich mit Gitta Connemann (MdB, CDU) einen denkbaren Lösungsweg verhandelt. Diesen müssen das Landwirtschafts- sowie Umweltministerium jetzt beschreiten. Zeit ist schon genug verloren gegangen.
Und langfristig? Wie sieht der Wald der Zukunft aus?
Anders als heute. Es wird mehr Mischwald geben. Wichtig ist mir, dass es Nutzwald ist und Forstwirte diesen bewirtschaften. Denn bewirtschafteter Wald speichert nachweislich mehr CO2 als stillgelegter Wald.
Mehr zum Thema: