Auf mindestens 30 % veranschlagt die Bundesregierung die künftige Ausdehnung der nitratbelasteten roten Gebiete in Deutschland. In Berlin kursiert die Zahl von einer halben Million Hektar mehr roten Gebieten. Diese sollen künftig allein auf der Grundlage der Nitratkonzentration in Grundwassermessstellen erfolgen. Einen entsprechenden Vorschlag hat das Bundesumweltministerium (BMU) der EU-Kommission am vergangenen Freitag (18. Februar 2022) übermittelt.
EU fordert Nachbesserungen
Damit hält das BMU eine von der EU-Kommission gesetzte Frist ein. Diese hatte bereits vergangenen Sommer das von Deutschland ab 2021 angewandte Verfahren zur Neuausweisung der roten Gebiete als nicht vereinbar mit der EU-Nitratrichtlinie kritisiert. Dabei bemängelte die EU vor allem, dass die Bundesländer kein einheitliches Vorgehen, sondern drei verschiedene Modelle wählten. Zudem zeigte sich die EU-Kommission unzufrieden mit der in manchen Ländern angewandten Modellierung, also der rechnerischen Herleitung der potenziellen Nitrataustragsgefährdung.
Zwar haben die Ministerien in den vergangenen Wochen eingehend mit der Generaldirektion Umwelt der Kommission darüber verhandelt, wie deren Bedenken gegen das bisherige Verfahren Rechnung getragen werden kann. Ob die Kommission den nunmehr präsentierten Vorschlag akzeptiert, ist allerdings offen. Mögliche Strafzahlungen für Deutschland von rund 850.000 € am Tag stehen damit weiter im Raum.
Die Brüsseler Kommissionsbeamten hatten dem Vernehmen nach unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie die sogenannte „Emissionsmodellierung“ bei der Gebietsausweisung als nicht vereinbar mit der EU-Nitrat-Richtlinie ansehen und nicht mehr akzeptieren wollen. Diese Haltung sei als klar und nicht verhandelbar gegenüber der deutschen Seite kommuniziert worden, hieß es.
Wo werden Gebiete größer?
Starke Veränderungen bei den roten Gebieten werden daher vor allem in Bundesländern auftreten, die 2021 stark auf eine Modellierung der Nitratgebiete gesetzt haben, wie etwa Niedersachsen. Die Emissionsmodellierung berücksichtigt landwirtschaftliche Emissionen bei der Gebietsausweisung und sollte so für mehr Verursachergerechtigkeit bei der Abgrenzung der belasteten Gebiete sorgen. Die Anwendung hat dazu geführt, dass sich die roten Gebiete in Deutschland insgesamt mehr als halbiert haben. Derzeit sind bundesweit rund 2 Mio. ha als rote Gebiete ausgewiesen.
Nicht in Frage gestellt wird von der EU-Kommission hingegen die Binnendifferenzierung der roten Gebiete.
„Unmut bei Bauern“
Der Deutsche Bauernverband sieht in dem jetzigen Vorgehen der Bundesregierung „das Gegenteil von Klarheit“. Generalsekretär Bernhard Krüsken spricht von „massivem Unmut bei den Bauern“. „Für die Ausweisung riesiger roter Gebiete nur auf der Basis von statistischen oder mathematischen Verfahren und vor allem ohne Berücksichtigung des Verursacherprinzips haben wir kein Verständnis“, sagte er.
Solche weitreichenden Einschränkungen ohne Berücksichtigung wasserwirtschaftlicher Zusammenhänge seien nicht verhältnismäßig und würden vermutlich noch die Gerichte beschäftigen, warnte er. Basis für eine genaue und differenzierte Gebietsabgrenzung müsse ein breites Messstellennetz sein, forderte der Generalsekretär.
Wenn mit der neuen Gebietsabgrenzung Landwirte ungerechtfertigt in großen pauschalen Gebieten mit zusätzlichen Auflagen überzogen würden, sei dies die Verantwortung der Länder, zu wenige Messstellen für eine genaue Binnendifferenzierung eingerichtet zu haben. „Eine enge räumliche Abgrenzung von Grundwasserkörpern ist wasserwirtschaftlich geboten, vermeidet Übermaßregelungen und ist auch von der EU-Kommission ausdrücklich unterstützt worden“, sagte Krüsken.
Union kritisiert Ampel
Der Agrarsprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Albert Stegemann, rief Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, sich bei den roten Gebieten vor die Landwirte und nicht hinter das Bundesumweltministerium zu stellen. „Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir ist aufgefordert, gegenüber dem eigenen Bundesumweltministerium aber auch gegenüber der EU-Kommission deutlich zu machen, dass das aktuelle Verfahren der Modellierung ein fachlich und wissenschaftlich nachvollziehbares ist“, sagte Stegemann. Der viel beschworene Schulterschluss zwischen Bundesumweltministerium und Bundeslandwirtschaftsministerium dürfe sich nicht zum einseitigen Nachteil der Landwirtschaft bemerkbar machen.
Kritik übt Stegemann auch an der FDP. „Vollkommen abgetaucht scheint in dieser für die Landwirtschaft wichtigen Frage die FDP zu sein“, sagte er. Die FDP-Bundestagsfraktion habe sich als Opposition in der vergangenen Legislatur noch für eine europarechtswidrige Aussetzung der Düngeverordnung lautstark eingesetzt, monierte er.
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