Inmitten von Feldern und Wald, direkt an der 100-Schlösser-Route in Everswinkel im Münsterland liegen der Hof und die Brennerei der Familie Gerbermann. In mittlerweile fünfter Generation leitet der 41-jährige André Gerbermann den Betrieb mit seiner Frau Anne.
Seit nunmehr 150 Jahren entstehen in der hofeigenen Brennerei Korn und andere Spirituosen. Vor drei Jahren erlebte die traditionelle Brennerei eine Neuausrichtung zur „gläsernen Brennerei“. Seitdem können Besucher die Kunst der Destillation hautnah miterleben. Und die Landwirtschaft automatisch mit.
Vom Feld bis in die Flasche
Rechts reihen sich die Bullenställe aneinander. Links führt der Weg zur hofeigenen Brennerei: Für die Gerbermanns bilden die zwei Standbeine eine zukunftsfähige Einheit. Von Beginn an war das selbst angebaute Korn die Grundlage der Brennerei. Nach dem Wegfall des Branntweinmonopols im Jahr 2017 wird der selbst hergestellte Alkohol nur noch über die eigene Flaschenvermarktung verkauft.
Bis zu 3 ha Getreide werden nun zu Alkohol veredelt. „Das Abfallprodukt der Destillation, die Schlempe, fließt als fett- und eiweißreiches Futter wieder zurück in die Tierhaltung“, zeichnet André Gerbermann den Kreislauf nach. „Vom Feld in die Flasche“ darf man hier also wörtlich nehmen. Der Betrieb bewirtschaftet rund 100 ha Ackerland. Neben der Brennerei sind auf dem Hof etwa 400 Bullen zu Hause.
Destillieren erlebbar machen
Beim Betreten der Brennerei sticht das Herzstück des Betriebes sofort ins Auge: Die Feinbrandanlage aus glänzendem Stahl und Kupfer, maßgefertigt in Süddeutschland. In der kupfernen Feinbrennblase, aus der ein rosiger Duft aufsteigt, befindet sich gerade Ginmazerat.
Dem Alkohol beigemischt schwimmen verschiedene Kräuter und Früchte, sogenannte Botanicals, in der Brennblase. „Rosenblüten, Aroniabeeren und Zitrus verleihen dem späteren London Dry Gin bei der Destillation seine unverwechselbare Geschmacksnote“, erklärt Anne Gerbermann.
Vor einigen Jahren sah es hier noch ganz anders aus. Die 43-Jährige erinnert sich: „Als Weihnachtsgeschenk flatterte vor vier Jahren die Baugenehmigung für den Umbau der Brennerei auf den Hof.“ Der Startschuss des Projekts der gläsernen Brennerei.
Das Besondere: Alle Bereiche der Brennerei sind seitdem für Besucher einsehbar. An markanten Stationen sind Infotafeln angebracht. Durch große Glasscheiben können Besucher den Mitarbeitern beim Befüllen und Etikettieren der Flaschen zusehen.
Durch den kostenintensiven Umbau über fast anderthalb Jahre hat sich der Betrieb komplett neu ausgerichtet. „Wir haben praktisch alles auf links gedreht“, schmunzelt Anne Gerbermann. Das ging einher mit der Verlagerung des Büros vom Wohnhaus in den Brennerei-Trakt und der Einrichtung eines Verkaufsraums und Online-Shops samt neuer Warenwirtschaft.
Die gelernte Bankkauffrau unterstützt ihren Mann voll im Betrieb und kümmert sich neben der Buchhaltung und dem Hofverkauf auch um die Organisation der Besichtigungen.
Kein Altherren-Gedeck
Mit dem Umbau der Brennerei stand für das Ehepaar fest: Ein neues Produkt- und Marketingkonzept muss her. Weg von der Vielzahl an Flaschenformen, weg vom Korn als Altherren-Gedeck. „Unsere Produkte hatten die buntesten Namen: Rhabar-Bär, Orange-Utan oder Schöne Bescherung. Das war lustig, passte aber nicht zusammen“, meint die 43-Jährige.
Die Natürlichkeit des Produktes sollte wiedererkennbar sein. Nach einem Gespräch mit fünf Werbeagenturen fand die Familie schließlich eine Agentur, mit der sie ihre Ideen und Vorstellungen weiterentwickeln und umsetzen konnte. Seitdem führt der Betrieb vier Produktlinien: „Edle Tropfen“, „Feine Klassiker“, „Echte Spezialitäten“ und „Süße Tropfen“ unter dem Claim „Gerbermann – Ein Tropfen Heimat“.
Ein Konzept, hinter dem viel Mühe steckt: „Von den ersten Logo-Entwürfen bis zum Druck vergingen anderthalb Jahre. Obwohl sich manche Produkte nicht geändert haben“, weiß Betriebsleiter André.
„Wir haben inzwischen einen hohen fünfstelligen Betrag in das Marketing investiert. Design der Etiketten, Verpackungsmaterialien, Hofschild, Webshop und natürlich der Druck der Etiketten und Imagebroschüren waren und sind notwendig, um im Markt als Marke wahrgenommen zu werden“, ergänzt Anne Gerbermann.
André Gerbermann zeigt die Flasche mit dem fassgereiften Dinkel-Korn. Auf dem Etikett ist sehr detailliert und illustriert der verwendete Rohstoff abgebildet, die Getreideähren des Dinkels. Ein Blick durch ein Fenster im Etikett hindurch auf die Innenseite zeigt ein Stück Familiengeschichte: der historische Hof der Familie Gerbermann, gesehen durch sein zeitloses Produkt – den Korn.
Brennereibesichtigungen und Verkostungen bieten die Gerbermanns schon seit 15 Jahren an. Bis zum Umbau gab es dafür aber keine separaten Räumlichkeiten. Ein weiterer Grund für den Umbau. Seitdem verfügt der Hof über einen Verkostungsraum, der Platz für 50 Gäste bietet.
Damals waren sie eine der wenigen Brennereien,die Führungen anboten. „Andere Brennereien ziehen inzwischen nach und folgen dem Trend zu mehr Transparenz“, erläutert Anne. Ob Junggesellenabschied, Radfahrgruppen oder Firmen- oder Familienausflug: Die Vielschichtigkeit der Besucher ist der Familie wichtig. Sie möchte die Besucher auf ehrliche Art von ihren Produkten begeistern und ist überzeugt, dass das ihre Marke stärkt.
Alte Sorten neu entdeckt
Vor einigen Jahren versuchte sich André Gerbermann erstmals am Anbau von Dinkel. „Ich wollte ein Produkt anbieten, das es nicht schon überall gab.“ Dass er den Weizenkorn nicht neu erfinden konnte, wusste er. Deshalb sollte Dinkel – eine der zusätzlich zu den fünf Getreidearten, die zur Herstellung von Korn in Deutschland zugelassen sind – von den eigenen Feldern die Grundlage für den Dinkelkorn sein.
Zunächst noch als Brotgetreide verkauft, fand der Dinkel dann feste Verwendung in der Brennerei. Später kam noch Emmer dazu. Aufwand, der sich gelohnt hat: Der Dinkelkorn gewann den Goldenen DLG- Preis 2019 und der Emmer Korn pur Silber bei den Craft Spirits Awards 2020.
Bullenmast vollautomatisch
Bei einem Rundgang über den Hof wird klar, wie unterschiedlich die beiden Standbeine des Betriebs sind. „In der Landwirtschaft ist man leider meist nur Ablieferer der eigenen Produkte. Ich bin mit Herzblut Landwirt. Aber die Wertschöpfung für die Arbeit muss höher sein, auch in der Bullenmast“, wünscht sich der Betriebsleiter.
In der Brennerei sieht das anders aus. Hier hat man den gesamten Prozess vom Urprodukt bis zur Abfüllung begleitet, kann den Preis selbst bestimmen und verkauft schließlich ein Produkt, das den eigenen Namen trägt.
Die Entscheidung, in die Brennerei zu investieren, bedeutete für den Betrieb, dass die Landwirtschaft vernünftig weiterlaufen muss. Darum investierte die Familie 2015 in eine automatische Fütterung für die Bullen. „Die Investition lag im niedrigen sechsstelligen Bereich. Das muss sich erst einmal bezahlt machen“, meint André Gerbermann.
Aber weil das Paar immer zwei Herren dient – Brennerei und Landwirtschaft – musste mehr Freiraum für die Brennerei geschaffen werden. Früher gingen fürs Füttern Stunden drauf, die heute auf das Zeitkonto der Brennerei gehen. „Wenn die Tiere vor Hunger bölken, weil sich die Brennereibesichtigung um eine Stunde verschoben hat, läuft irgendwas falsch“, sagt der junge Betriebsleiter.
Neben dem Ehepaar sind auf dem Betrieb ein Azubi und in diesem Jahr ein Jahrespraktikant in der Landwirtschaft beschäftigt. In der Brennerei und im Hofverkauf arbeiten eine Vollzeitkraft und drei Teilzeitkräfte.
Der Hof funktioniert nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Das weiß auch Anne Gerbermann, die selbst auf einem Sauenbetrieb aufgewachsen ist. „Eigentlich wollte ich nie einen Landwirt heiraten“, lacht die Mutter von zwei Söhnen. „Aber dann hat es sich so ergeben.“
Sie beide wollen den Betrieb so, wie er ist, mit Herzblut weiterführen. „Wir sind nur Teil der Geschichte unseres Betriebes. Wenn mein Ur-Urgroßvater die Brennerei nicht gegründet hätte, wären wir jetzt nicht da, wo wir sind“, sagt der Betriebsleiter.
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