PRO: Bernhard Krüsken
Landwirtschaft in Deutschland arbeitet im europäischen und internationalen Vergleich mit hohen Standards – aufgrund gesetzlicher Vorgaben und Rahmenbedingungen, aber auch aufgrund von Verbraucherwünschen und Anforderungen der Marktpartner. Gegenüber der europäischen Vorgabe gibt es viele nationale „Extras“ im landwirtschaftlichen Fachrecht und im Veterinär- und Tierschutzrecht. Ebenso gehört vieles aus dem Umwelt-, Bau- und Immissionsschutzrecht, dem Arbeitsschutz und den Sozialstandards mit auf diese Liste.
Ein Teil dieser Vorgaben gehört zwar zur guten fachlichen Praxis. Trotzdem ist das Ganze hochgradig wettbewerbsrelevant und interessiert außer den Landwirten und den Behörden kaum jemand – zumindest dann nicht, wenn es um Kauf- oder Listungsentscheidungen im Lebensmittelmarkt geht.
Die akuten wirtschaftlichen Probleme vieler Betriebe sind maßgeblich in dieser Schere zwischen steigenden Auflagen (sprich Kosten) und einer knallharten Wettbewerbssituation im offenen europäischen Markt begründet.
Auf der anderen Seite steht ein unübersehbar großes und wachsendes Verbraucherinteresse an Informationen über Herkunft, Werdegang und Erzeugungsbedingungen von Lebensmitteln. Auch viele Akteure im Lebensmittelhandel behaupten von sich, diesem Interesse zu folgen. Daraus folgt: Wer hohe Standards honorieren will oder honoriert haben möchte, muss diese zunächst einmal sichtbar machen.
Hier setzt das Konzept eines Deutschland-Bonus an. Unter dieser Überschrift müssen drei Komponenten stehen:
- Ein rechtlicher Rahmen, um Standards und Herkünfte flächendeckend über eine breite Produktpalette kennzeichnen zu können,
- ein durchgängiges, schlankes System zur Anwendung durch Verarbeitung und Vermarktung und
- eine verbindliche Vereinbarung mit der Vermarktungskette über die Bezahlung der ausgelobten höheren Standards.
Wir meinen: Das ist ein Ansatz, der konkretisiert werden muss und der funktionieren kann, wenn alle Beteiligten es ernst meinen.
CONTRA: Achim Spiller, Professor für Agrarökonomie - Universität Göttingen
Ein Deutschland-Bonus? Deutschland First? Soll ein Gemüseproduzent in meiner alten Heimat, dem Niederrhein, einen Bonus vom Handel erhalten, sein holländischer Kollege einige Kilometer hinter der Grenze nicht? Wollen wir ein solches Europa? Nein, das wäre purer Protektionismus.
Ein Nachhaltigkeits-Bonus? Faire Wettbewerbsbedingungen für Landwirte im internationalen Handel? Unbedingt! Produziert der niederländische Gemüseanbauer zu schlechteren Standards, wäre ein Bonus für deutsche Erzeuger richtig. Dies müsste dann aber belegt, daraus folgende Kostenerhöhungen müssten konkret berechnet werden.
Die aktuellen Proteste sollten Einstieg in eine Debatte sein, die als „Level Playing Field“ bezeichnet wird – ein Begriff aus dem Sport: Es geht um faire Spielregeln. Diese werden aber unterschiedlicher, wenn die Landwirtschaft in Deutschland größere Umwelt- und Tierschutzverbesserungen umsetzen wird als andere Länder.
Vor 20 Jahren hat ein Doktorand in Göttingen herausgefunden, dass damals die national höheren Tier- und Umweltschutzauflagen faktisch keine Rolle für die Kostenstruktur der Betriebe spielten. Wenn wir die Vorschläge der Borchert-Kommission umsetzen, sähe das ganz anders aus. Ähnliches gilt für größere Fortschritte bei Natur- und Klimaschutz oder Biodiversität.
Wir benötigen in Deutschland und der EU neue Regeln für faire Wettbewerbsbedingungen trotz unterschiedlicher Standards. Welche Regeln könnten das sein?
Der Vorschlag der Borchert-Kommission, eine neue Verbrauchssteuer einführen und daraus die Landwirte langfristig verlässlich zu bezahlen, ist ein Schritt, ebenso die Initiative Tierwohl. Neue Regeln für Handelsabkommen, wie sie etwa Neuseeland erprobt, ein anderer. Importverbote zum Beispiel für Eier aus Käfighaltung genauso. Verpflichtende Kennzeichnungen – ein Warnlabel – für miese Standards ein nächster. Wichtig wäre auch ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen zwingt, Produzenten mit Kinderarbeit oder Urwaldrodung auszulisten.
An solchen Themen sollten wir arbeiten, nicht an Deutschland First. Deshalb: „Borchert“ jetzt umsetzen.