Kilometerweit Felder, Wiesen und Waldstücke: Bei der Anfahrt von Osten her wirkt es, als liege Gut Steuwen einsam inmitten der Natur. Doch der Eindruck täuscht. Keine 50 m westlich vom Hof beginnt die Bebauung: Gut 16.000 Menschen wohnen hier im Stadtteil Krefeld-Hüls. „Unser Betrieb liegt zwischen Wohnbebauung und Naherholungsgebiet. Da ist es gut, dass unsere Rindergülle nach der Vergärung in der Biogasanlage kaum noch riecht“, sagt Toni Geurden.
Zusammen mit seinem Bruder Peter hält der Landwirt 340 Milchkühe und bewirtschaftet 300 ha Acker- und Grünland. Seit gut vier Jahren betreiben die beiden zudem eine Biogasanlage, genauer eine Güllekleinanlage mit einer installierten Leistung von 75 kWel. „Wir beschicken die Anlage nur mit Gülle und Mist. Die Investition war für uns eine Möglichkeit, betrieblich zu wachsen, ohne zusätzliche Fläche zu benötigen“, erklärt Geurden und führt fast nebenbei zwei wichtige Vorteile an: Güllevergärung schützt das Klima und erhöht die Stickstoff-Effizienz. „Der Stickstoff im Gärrest ist im Vergleich zu herkömmlicher Rindergülle wesentlich schneller pflanzenverfügbar. Wir können zielgenauer düngen und sparen so 10 bis 15 % der mineralischen Stickstoffdüngung“, sagt der Landwirt.
Sicherer Klimaschutz
Mit ihrer Meinung, dass Güllevergärung ein Beitrag zum Klimaschutz ist, stehen die beiden jungen Landwirte längst nicht allein da: Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) sieht den Ausbau der Güllevergärung als eine von sieben Klimaschutzmaßnahmen, mit der der Sektor Landwirtschaft seine Klimaziele 2030 erreichen soll.
Dieser Meinung schließen sich Interessensverbände wie der Deutsche Bauernverband (DBV) und der Fachverband Biogas, aber auch andere politische Ressorts wie das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) an. Auch aus dem Umweltbundesamt (UBA) erhält die Maßnahme Zustimmung. „Wir stehen dem Ausbau der Güllevergärung prinzipiell positiv gegenüber“, sagt Frederike Balzer vom UBA in Dessau.
Die Gründe: Werden Gülle und andere Wirtschaftsdünger in Biogasanlagen vergoren, sinken nicht nur die bei der Lagerung entstehenden klimaschädlichen Methan (CH4)- Emissionen. Zusätzlich vermeidet die gewonnene erneuerbare Energie Treibhausgas (THG)-Emissionen aus dem Einsatz fossiler Energieträger – egal, ob aus dem Biogas in Blockheizkraftwerken Strom und Wärme gewonnen wird oder ob es auf Erdgasqualität aufbereitet und zum Beispiel als Kraftstoff genutzt wird.
Neben den Brüdern Geurden betreiben deutschlandweit rund 900 weitere Landwirte eine Güllekleinanlage. Diese Anlagen dürfen Stand heute eine Bemessungsleistung von höchstens 75 kWel haben und müssen als Substrat mindestens zu 80 % Wirtschaftsdünger (Gülle und Mist) einsetzen. Hinzu kommen rund 8500 meist größere Biogasanlagen, die neben Gülle in erster Linie andere Substrate einsetzen.
Nach Untersuchungen des Deutschen Biomasseforschungszentrums (DBFZ) in Leipzig nutzen Betreiber heute knapp ein Drittel des technisch nutzbaren Wirtschaftsdüngerpotenzials in Biogasanlagen. Allein die Vermeidung der Methan-Emissionen aus der Lagerung der Wirtschaftsdünger in der Viehhaltung spart THG-Emissionen in Höhe von knapp 2,2 Mio. t CO2äq. Hinzu kommen Einsparungen im Energie- bzw. Verkehrssektor.
Das DBFZ und auch das BMEL schätzen, dass eine Verdopplung der genutzten Menge sowie die gasdichte Abdeckung offener Gärrestlager allein im Sektor Landwirtschaft zu einer weiteren Emissionseinsparung von 2 bis 2,4 Mio. t CO2äq pro Jahr führen könnten.
Eine wichtige Maßnahme
Experten halten es für technisch machbar, dass zukünftig mindestens doppelt so viel Wirtschaftsdünger in Biogasanlagen vergoren wird wie heute. Damit könnten die Treibhausgas-Emissionen aus der Tierhaltung jährlich um 2 bis 2,4 Mio. t CO2äq sinken. Zum Vergleich: Nach Vorgaben des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) muss die Landwirtschaft ihre THG-Emissionen von heute insgesamt rund 69 Mio. t CO2äq pro Jahr auf 58 Mio. t im Jahr 2030 senken. Weitere Möglichkeiten sieht das BMEL unter anderem in der Erhöhung der Stickstoffeffizienz (1,9 bis 7,5 Mio. t CO2äq pro Jahr), dem Ausbau des Ökolandbaus (0,4 bis 1,2 Mio. t CO2äq pro Jahr) und in der Erhöhung der Energieeffizienz (0,9 bis 1,5 Mio. t CO2äq pro Jahr).
Frische Gülle, viel Gas
Vor rund vier Jahren haben die Brüder Geurden ihre Biogasanlage gebaut. Mit dem Betrieb der Anlage sind sie nach wie vor sehr zufrieden. Bereits bei der Planung hatten sie klare Vorstellungen: Die Anlage sollte robust und einfach gebaut sein und möglichst wenig Arbeit verursachen. Gegen den Einsatz von Silomais in der Biogasanlage haben sich die Landwirte bewusst entschieden. „Wir wollten keine Ackerflächen verschwenden“, sagt Toni Geurden.
Pumpen befördern rund 25-mal am Tag kleine Güllemengen direkt aus den Ställen in den Fermenter der Biogasanlage. Der Arbeitsaufwand ist gering: „Ich schaue jeden Tag etwa 10 Minuten nach der Anlage. Etwa einmal in der Woche nimmt die Arbeit rund eine Stunde in Anspruch“, sagt Geurden. Dass die Gülle immer frisch in den Fermenter gelangt, erhöht die Biogas- und damit die Stromerträge.
Gesetzliche Hürden
„Für uns ist die Biogasanlage ein zusätzliches Standbein, das wirtschaftlich rundläuft“, sagt der Landwirt weiter. Die Bedingungen zum Zeitpunkt der Investition waren günstig: Die Einspeisevergütung für Strom aus Güllekleinanlagen lag bei 23,8 Cent/kWh. Heute sind die Bedingungen längst nicht mehr so gut. Denn die über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) garantierte Einspeisevergütung sinkt kontinuierlich. „Wer heute eine Güllekleinanlage plant“, sagt Roland Schulze Lefert, Biogasberater bei der Landwirtschaftskammer NRW, „muss mit einer Einspeisevergütung von 22,03 Cent je kWh oder weniger auskommen.“ Damit, so der Berater, rechnet sich Vergärung von Schweinegülle längst nicht mehr und auch bei der Vergärung von energiereicherer Rindergülle sind die Grenzkosten fast erreicht.
Hinzu kommen weitere Schwierigkeiten: So dürfen zum Beispiel vorhandene Güllebehälter nur nach aufwendiger Umgenehmigung für Gärreste genutzt werden. Während für Güllebehälter keine Umwallung vorgeschrieben ist, mit der im Fall einer Havarie die auslaufende Gülle aufgefangen wird, ist dies bei Biogasanlagen ein Muss – auch dann, wenn die Gülle- bzw. Substratmenge die gleiche bleibt.
„Sehr aufwendig“, sagt Geurden, „ist für uns die Bürokratie: Obwohl die Nährstoffe im Kreislauf bleiben, müssen wir für Landwirtschaft und Biogasanlage getrennte Stoffstrombilanzen erstellen. Jeden Monat müssen wir Lieferscheine zwischen Biogasanlage und landwirtschaftlichem Betrieb hin und her schreiben. Ich tue etwas Innovatives, etwas das das Klima schützt und die Stickstoff-Effizienz erhöht und werde dafür mit viel Bürokratie bestraft.“
Dass es unter heutigen Bedingungen weder in Gülleklein- noch in größeren Biogasanlagen zu einem nennenswerten Ausbau der Güllevergärung kommen wird, hat die Politik erkannt. Ein vom UBA in Auftrag gegebenes Gutachten listet Hemmnisse auf. Danach verhindert unter anderem die enge Leistungsbegrenzung der Güllekleinanlagen auf 75 kWel Bemessungsleistung bei größeren Tierbeständen standortangepasste Anlagenkonzepte.
Starre Regelungen bezüglich der Verweilzeit im geschlossenen System verursachen ebenso unnötig hohe Kosten wie die unbegründete Ungleichbehandlung von Gülle und Gärresten.Hinzu kommen die allgemein hohen Kosten, die die Vergärung der energiearmen Gülle verursacht.
Viele offene Fragen
Der Bundesregierung ist bewusst, dass sich etwas ändern muss. Auch wenn das „Wie“ noch offen ist, scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass die Güllevergärung in erster Linie eine Klimaschutzmaßnahme für den Sektor Landwirtschaft ist. Damit, so der Tenor, muss die Landwirtschaft zumindest einen Großteil der Kosten tragen. Eine reine Finanzierung über das EEG und damit durch die Stromkunden scheidet aus.
Dennoch hält das BMEL für den Biomassebereich eine umfassende Novelle des EEG noch in diesem Jahr für wichtig. Die Verantwortung hierfür liege aber beim BMWi, schreibt eine Sprecherin des BMEL auf Wochenblatt-Nachfrage. Das BMWi möchte zu einer zukünftigen Förderung von Biomasseanlagen im EEG derzeit jedoch noch keine Auskunft geben. Die Vorschläge zur kommenden EEG-Novelle seien noch in Arbeit. Für Mitbestimmung und Diskussion könnte hier die Zeit knapp werden. Denn das BMWi, so eine Sprecherin, erwartet noch vor der Sommerpause einen Kabinettsbeschluss zum EEG-Entwurf.
Neu ist, dass das BMEL den Einsatz von Fördermitteln plant. Auf unsere Nachfrage schreibt eine Sprecherin des Ministeriums: „Für die Finanzierung der Klimaschutzmaßnahme, Stärkung der Vergärung von Wirtschaftsdüngern (...)‘ stehen für die Jahre von 2021 bis 2024 Mittel aus dem Energie- und Klimafonds in Höhe von jeweils 60 Mio. € zur Verfügung.“ Auf die Frage, wie und für welche Maßnahmen die Mittel in Anspruch genommen werden können, gibt das Ministerium zurzeit (noch) keine klare Antwort.
Achtung, Doppelförderung
Das BMWi begrüßt den Vorstoß des BMEL, die Güllevergärung aus eigenen Mitteln zu fördern. Offen bleibt sowohl in der Antwort des BMEL als auch des BMWi, wie eine gleichzeitige Förderung der Güllevergärung durch Mittel des BMEL und über das EEG möglich sein soll bzw. ob dies überhaupt geplant ist. Denn bisher ist eine solche Doppelförderung strikt verboten.Wie sich das Bundesumweltministerium zu den vorgeschlagenen Maßnahmen stellen wird, hängt von deren Ausgestaltung ab, erläutert UBA-Mitarbeiterin Frederike Balzer.
Sie gibt Folgendes zu bedenken:
- Das Gesamtkonzept muss gut ausgefeilt sein. Es darf nicht zu Fehlentwicklungen wie zum Beispiel dem Anreiz großer Tierbestände oder übermäßiger Gülletransporte kommen.
- Der Ausbau der Güllevergärung löst das Gesamtproblem (zu viele Tiere in manchen Regionen) nicht.
- Die Förderung der Güllevergärung ist eine sehr teure Maßnahme. Effektiver könnten die Abstockung von Tierbeständen sowie eine Veränderung des Konsumverhaltens hin zu weniger tierischen Produkten sein.
- Während das BMEL derzeit die Erschließung ungenutzter Wirtschaftsdüngermengen durch Transporte und anschließende Verwertung in Gemeinschaftsanlagen prüft, weist das UBA auf eine mögliche Gefahr hin: Da Antibiotika im Gärprozess, so zeige es eine Studie, nicht vollständig eliminiert werden, bestehe die Möglichkeit, dass sich in Biogasanlagen multiresistente Keime bilden. Besonders groß sei die Gefahr, wenn die Anlagen mit Mischgüllen aus verschiedenen Betrieben beschickt werden. Zwar fehle noch eine weitergehende praxisbezogene Forschung. Dennoch müsse diese Gefahr bei der Entwicklung von Konzepten zur Steigerung der Güllevergärung berücksichtigt werden, sagt Balzer.
- Nach einem Forschungsvorhaben des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und Geologie aus Sachsen findet in Biogasanlagen jedoch keine Vermehrung von Krankheitserregern, sondern abhängig von Temperatur und Verweilzeit eine Keimreduktion statt.
- Das BMEL schließt ordnungsrechtliche Regelungen bisher aus. Nicht so das UBA: Nach dem Verursacherprinzip sollte auch in Erwägung gezogen werden, eine Verpflichtung zur Abdeckung von Güllelagern und zur energetischen Nutzung des entstehenden Biogases für alle landwirtschaftlichen Betriebe ab einem bestimmten Viehbesatz vorzuschreiben.
Schlüssige Konzepte?
Gut zu hören sind zwei Dinge: Zum einen besteht Einigkeit in der Politik, dass der Ausbau der Güllevergärung ein wichtiger Schritt zu mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft ist. Zum anderen setzt zumindest das BMEL auf Förderung und nicht auf ordnungsrechtliche Vorgaben. Was genau kommen wird, ist zurzeit noch offen. Bleibt zu hoffen, dass die Politik neue Gesetze und Förderungen gut durchdenkt und es zu keinen Schnellschüssen kommt.
Milchviehhalter Toni Geurden jedenfalls ist froh, dass sein Bruder und er frühzeitig in eine Gülleanlage investiert haben. Ihr Betrieb ist damit gut für die Zukunft gerüstet.
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