Herr Beringmeier, sind aus Ihrer Sicht die Inhalte des Offenen Briefes nachvollziehbar oder völlig aus der Luft gegriffen?
Der Offene Brief verdeutlicht die weit verbreitete Sorge in der Landwirtschaft, bei der geplanten Weiterentwicklung wirtschaftlich unter die Räder zu geraten. Daher ist es sehr wichtig, dass die Kommission ein klares Bekenntnis zum Agrarstandort Deutschland abgegeben und klargestellt hat, dass der Verbraucher einen Umbau auch bezahlen muss. Denn es darf nicht sein, dass nach einem Umbau verstärkt tierische und pflanzliche Produkte importiert werden. Die Zukunftskommission hatte nicht die Aufgabe, konkrete Gesetzgebungsverfahren zu beschließen. Das ist und bleibt Aufgabe unserer Parlamente. Die Zukunftskommission sollte versuchen, in einer gesellschaftlich verfahrenen und emotionalisierten Situation zwischen den unterschiedlichsten Gruppierungen Leitplanken für die künftigen Ausgestaltung der Agrarpolitik abzustimmen und zu definieren. Dass dies gelungen ist, halte ich für einen Erfolg.
Gibt es auch von WLV-Mitgliedern verstärkt Nachfragen zur ZKL?
Die Zahl der Rückfragen ist überschaubar. Ich bin mir aber sicher, dass dieses Thema alle Bauernfamilien bewegt, unabhängig davon, ob sie sich dazu in der Öffentlichkeit äußern.
Hoffnung und Zweifel
Wie ist Ihrer Meinung nach das Stimmungsbild unter den Mitgliedern zu den
Ergebnissen der ZKL?
Es gibt Hoffnung auf eine gesamtgesellschaftliche Verständigung, aber auch Zweifel daran, ob die jetzt bekundete Kompromissbereitschaft anhalten wird, wenn es konkret wird. Wir als Bauernverband werden dazu beitragen, dass diese schwierige Aufgabe gelingt. Aber es liegt noch viel Arbeit vor uns - nicht zuletzt, weil die gefundenen Formelkompromisse erklärt werden müssen. Hier haben unsere Mitglieder genauso viele Fragen an den Bauernverband wie die Mitglieder der Umwelt- und Naturschutzverbände an ihre Interessenvertretungen. Die Weiterentwicklung unserer Landwirtschaft in Richtung von mehr Nachhaltigkeit kann gelingen. Als WLV wollen wir diesen Weg mitgehen, haben aber klare Forderungen. Dazu gehören die langfristige Planbarkeit von Investitionen, ein klares Bekenntnis des Handels zur finanziellen Honorierung höherer Standards und eine höhere Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für unsere wertvollen Lebensmittel. Die geplante Weiterentwicklung kann nur gelingen, wenn wir mehr Geld auf unsere Höfe bekommen.
"90 Mrd. € an den Haaren herbeigezogen"
Die Agrarblogger hinterfragen u.a., warum Landwirte-Vertreter unterschrieben haben, dass die deutsche Landwirtschaft Schäden von 90 Mrd. € pro Jahr verursacht. Und die fehlende Finanzierung für die Honorierung gesellschaftlicher Leistungen durch die Landwirte. Wie positioniert sich der WLV hier?
Diese Zahl ärgert mich auch, ich halte sie für an den Haaren herbeigezogen. Wenn man den Abschlussbericht genau liest erkennt man, dass auch die Autoren gewisse Zweifel an dieser Zahl haben. Dass die Landwirtschaft mit der Produktion von Nahrungsmitteln, genau wie viele andere Produktionsbereiche unserer Volkswirtschaft auch, tatsächlich Schäden verursacht, ist allerdings unstrittig. Dies haben wir als WLV bereits 2015 in unserer „Offensive Nachhaltigkeit“ anerkannt und in der Folge eine lebhafte Debatte geführt. Die Honorierung gesellschaftlicher Leistungen der Landwirtschaft ist zwingend erforderlich. Dies wurde auch von allen Mitgliedern der Zukunftskommission anerkannt – ein großer Erfolg! Wie diese Honorierung in Form und Umfang genau aussieht, hatte nicht die Kommission zu entscheiden. Dies wird eine der großen Aufgaben der nächsten Bundesregierung und des Bundestags sein.
Sie haben unmittelbar nach Abschluss der ZKL das Papier begrüßt. Was genau gefällt Ihnen?
Ich begrüße, dass die Kommission einen Abschlussbericht vorlegen konnte, denn dies war aufgrund der sehr unterschiedlichen Positionen unter den Akteuren lange Zeit nicht sicher. Dieser Kompromiss hat allen Beteiligten viel abverlangt. Im Einzelnen begrüße ich vor allem folgende Punkte des Berichts:
- das klare Bekenntnis zum Agrarstandort Deutschland,
- die Erklärung aller Unterzeichner, die im Bericht definierten Leitplanken nicht erneut in Frage zu stellen,
- die Anerkennung der Tatsache, dass bei allem Willen zur Veränderung hin zu mehr Nachhaltigkeit die landwirtschaftlichen Betriebe auch ökonomisch in der Lage sein müssen, höhere Standards umzusetzen,
- die Aussage, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, den Transformationsprozess der Landwirtschaft zu unterstützen und auch zu finanzieren,
- die Aussage, dass Kooperationen grundsätzlich Vorrang haben sollen vor Ordnungsrecht und Verbotspolitik.
Und was fordern Sie?
Ich erwarte vor allem, dass alle Unterzeichner des Abschlussberichts jetzt zu ihren Erklärungen stehen und dass die neue Bundesregierung die Empfehlungen der Zukunftskommission in konkrete Rechtstexte umsetzt und damit die angestrebte gesamtgesellschaftliche Verständigung über den Weg der Landwirtschaft in die Zukunft Realität werden kann. Am Ende muss deutlich mehr Geld auf den Höfen ankommen. Das gilt für die Tierhaltung ebenso wie für den Pflanzenbau. Dann haben wir als Landwirtschaft eine Zukunft. Wir brauchen lange Übergangszeiträume für alle Betriebe, damit sich diese anpassen können.