Urteil zur Sozialwahl in der SVLFG:

300 000 Rentner dürfen nicht wählen

Die Agrarsozialwahlen 2017 sind gültig, der Ausschluss von 300000 Rentnern korrekt. So urteilte jetzt das Bundessozialgericht. So wird es auch bei der nächsten Wahl Ende Mai 2023 sein.

Die Sozialwahlen in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung 2017 sind gültig. Das urteilte das Bundessozialgericht. Auch von der nächsten Agrarsozialwahl, die Ende Mai 2023 stattfindet, sind damit mindestens 300000 Rentner in der Landwirtschaft, die nicht in der Unfallversicherung der SVLFG versichert sind, ausgeschlossen. Für die nächste Wahl hat sich ein großes Aktionsbündnis gegründet. Wie die Klageseite das Urteil aufnimmt und was hinter dem Bündnis steckt, berichten wir hier.

Warum ist die Wahl so wichtig?

Die Sozialwahl zur Vertreterversammlung der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) ist ein hohes demokratisches Gebilde. In der Vertreterversammlung geht es um viel. „Haushaltsplanung, Beiträge zur Unfall-, Kranken- und Sozialversicherung, Leistungsumfänge, die Frage, wie sich die SVLFG aufstellt“, zählt Werner Seeger, ehemaliger Landwirt aus Herford, auf, „die Vertreterversammlung ist wie ein Parlament, wie ein Kontrollsystem. Es geht darum, Beschlüsse herbeizuführen, die für die Landwirte tragbar sind.“

Seeger gehört zusammen mit Gerhard Behring, ebenfalls Herford, und Dietrich Hugenberg, Extertal im Kreis Lippe, zum Arbeitskreis für die Abschaffung der Hofabgabeklausel. Sie haben in der Gruppe der Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte (SofA) die „Freie Liste Eickmeyer“ aufgestellt. Bei der Wahl 2017 erhielt die Liste ein Mandat.

Landwirt klagt wegen der Wahl gegen SVLFG

Hugenberg vertritt den ehemaligen Landwirt Heinrich Eickmeyer aus Leopoldshöhe im Kreis Lippe, in einem von drei verbundenen Verfahren gegen die SVLFG. Er wirft dieser vor, bundesweit Hunderttausende versicherte Landwirte und Rentner im Jahr 2017 von den Sozialwahlen zur Vertreterversammlung in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ausgeschlossen zu haben. Wählen durfte nur, wer in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung versichert war. Möglich machte das die Auslegung der Wahlvorschrift. Der Kläger ist der Ansicht, dass die SVLFG die gesetzlichen Regelungen bei der Sozialwahl 2017 fehlerhaft ausgelegt hat. Diese Meinung teilen ebenso die Mitglieder des Arbeitskreis für die Abschaffung der Hofabgabeklausel, Seeger und Behring.

Landessozialgericht Hessen: Wahl war fehlerhaft

Das Landessozialgericht Hessen gab dem Kläger Recht und erklärte Ende Januar dieses Jahres die Wahl von 2017 für ungültig. Die SVLFG legte Revision ein. Am Donnerstag, 13. Oktober 2022 befasste sich der 2. Senat des Bundessozialgerichts in Kassel mit der Frage, ob die Wahl ungültig war und deshalb wiederholt werden muss oder nicht. Das Urteil folgte nach über einstündiger Beratung im Anschluss an die Verhandlung (B 2 U 6/22 R).

Bundessozialgericht: Wahl lief korrekt ab

Das Bundessozialgericht hat die Wahlanfechtungsklage gegen die im Jahr 2017 durchgeführte Wahl zur Vertreterversammlung in der Gruppe der Selbstständigen ohne Arbeitskräfte abgewiesen. Die Wahl sei fehlerfrei im Zweig der landwirtschaftlichen Unfallversicherung durchgeführt worden. Zur Begründung hieß es, es stehe im Einklang mit den Wahlvorschriften (§ 47 Abs 3 Nr 2 SGB IV), die Wahl auf erwerbstätige Wahlberechtigte in der Gruppe der SofA zu beschränken und damit die in den anderen Zweigen der landwirtschaftlichen Sozialversicherung versicherten Alters- und Erwerbsminderungsrentner auszuschließen.

"Rentner benötigen keine Interessenverrtetung"

„Im Klartext sagt das Urteil aus, dass die Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Unfallrentnern gerechtfertigt sei, weil Personen, die den Beruf nicht mehr aktiv ausüben, im System der speziell auf den Berufsstand zugeschnittenen SVLFG keine Funktion mehr haben“, kommentiert Hugenberg, der fest mit einem anderen Ausgang gerechnet hat, das Urteil, in dem es weiter heißt: „Die Ungleichbehandlung sei zudem gerechtfertigt, weil die Rentner, die keinen Kontakt zur landwirtschaftlichen Arbeitswelt mehr hätten, keine weitere Interessenvertretung benötigten.“ Hugenberg zitiert aus der Verhandlung: „Die Vorsitzende Richterin sagte wörtlich ,Die Erwerbsbiografie der landwirtschaftlichen Rentner ist beendet.‘“ Dieser Darstellung widerspricht der ehemalige Landwirt: „Landwirtschaftliche Rentner sind natürlich weiter aktiv und interessieren sich auch für die Regelungen in der Vertreterversammlung!“

In der Gesetzlichen dürfen Rentner wählen

Das Interesse der Rentner beziehe sich nach Ansicht der Richterin auf die verlässliche Zahlung der Rente, was keiner weiteren Vertretung bedürfe. Denn der Staat bezuschusse die Renten der SVLFG in großem Maße. Hugenberg moniert: „Auch für die kommende Sozialwahl 2023 wird hierdurch der Ausschluss der über 300000 Rentner zementiert“, und ergänzt, „das werden wir nicht hinnehmen. Warum dürfen mehr als 21 Mio. Rentner der Deutschen Rentenversicherung mitwählen?“ Die Rechtsanwältin, die den klagenden Landwirt vertritt, zeige sich ebenso verwundert über das Urteil und zieht nun in Erwägung, die Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen, teilt Hugenberg mit.

Großes Bündnis für die nächste Sozialwahl

Die nächste bundesweite Sozialwahl ist im Mai 2023. Dann sind Versicherte der SVLFG aufgefordert, Vertreter aus ihren Reihen in die Vertreterversammlung der SVLFG zu wählen.

Die Vertreterversammlung der SVLFG besteht aus drei Gruppen: den SofA, den Arbeitgebern und den versicherten Arbeitnehmern. Je Gruppe müssen 20 Vertreter plus 20 Stellvertreter gewählt werden. Seeger steht auf der Liste der SofA und Hugenberg auf der Liste der Arbeitgeber. Für beide ist klar: Mit einer großen Liste ist die Chance größer, in die Vertretersammlung zu kommen, als mit einer kleinen. Für die nächsten Sozialwahlen werden Kräfte und Köpfe gebündelt.

Vor vier Wochen hat sich das „Aktionsbündnis Agrarsozialwahl 2023“ gegründet.

Das Besondere ist die Zusammensetzung aus elf unabhängigen Verbänden und Vereinen: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V., Biokreis e.V., Bioland e.V., Bündnis Junge Landwirtschaft e.V.,
Bundesverband Deutscher Milchviehhalter e.V., Demeter e.V., Deutscher Berufs- und Erwerbsimker Bund e.V., Landwirtschaft verbindet Deutschland e.V., Naturland e.V., Verband der Landwirte im Nebenberuf und Landesverband Bayern e.V. Beide Listen werden auch vom Arbeitskreis der Hofabgabeklausel unterstützt.

Das Bündnis kandidiert eigenen Angaben zufolge mit der Verbände-Liste „Aktionsbündnis Agrarsozialwahl 2023“ für die Wahl in der Gruppe SofA und unterstützt in der Wahl der Gruppe der Arbeitgeber die Freie Liste „Schmitz, Riecken, Berger, Sommer, Henzler, …“. „Bisher dominieren der Deutsche Bauernverband und seine unterstützenden Verbände sowie der Arbeitgeberverband die Vertreterversammlung in den Gruppen SofA und Arbeitgeber. Bei vielen der Beschlüsse, die von dieser Mehrheit gefasst werden, besteht in der Praxis große Unzufriedenheit“, erklärt das Bündnis seine Kandidatur auf seiner Webseite.

Unterschriften sammeln

Damit diese Listen zu Wahl zugelassen werden, müssen die Kandidaten nun Unterschriften sammeln. Pro Liste braucht es 300 gültige, das heißt zur Berufsgenossenschaft zahlende Unterstützer. Bis zum 17. November 2022 müssen die Unterschriften bei der SVLFG eingereicht werden.

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