Die vergangenen Monate haben wieder einmal gezeigt, wie wackelig die Beine sind, auf denen die Ernährung der Weltbevölkerung steht. Gleichzeitig diskutieren Deutschland und die EU über Stilllegungen, Pflanzenschutzverbote und Einschränkungen bei der Düngung. „Ein Unding“, sagen die einen. „Voraussetzung, um langfristig überhaupt Landwirtschaft betreiben zu können“, sagen die anderen. Wo liegt die Wahrheit?
Maximum überschritten
„In den vergangenen Jahren beobachten wir ein neues Phänomen“, berichtete Dr. Sarah Redlich, Forscherin an der Universität Würzburg, vergangene Woche auf der Jahrestagung des Dachverbandes Agrarforschung (DAF) in Berlin. „Trotz steigender Intensität stagnieren die Erträge in vielen Teilen der Welt – oder sie sinken gar.“ So zum Beispiel in vielen Regionen Zentraleuropas oder Nordamerikas und damit in den ertragsstärksten Regionen der Welt.
Als Grund hierfür nennt Dr. Redlich neben abiotischen Faktoren wie der Temperatur oder Wasserverfügbarkeit auch biotische Faktoren wie Schädlinge, Unkräuter und Pathogene, deren Ausbreitung eine größere Artenvielfalt verhindern könnte – beispielsweise durch die Förderung natürlicher Feinde. Gleichzeitig ist aber noch nicht klar, welche Arten in Zukunft als Fressfeinde invasiver Schädlinge wichtig sein könnten.
Nützlinge bedeutender als Schädlinge
Auch wenn Schädlinge und Unkräuter genauso zur Biodiversität gehören wie Nützlinge, betont Dr. Redlich, dass der Nutzen einiger Lebewesen den Schaden anderer deutlich übersteigt. Hierbei betont sie die Bestäubungsleistung von Insekten sowie den Beitrag unzähliger Organismen für das Zersetzen organischer Dünger oder auch Kadaver, um Nährstoffkreisläufe aufrechtzuerhalten. Alles in allem ist die Wissenschaftlerin daher überzeugt, dass die Förderung von Biodiversität in Hochertragsregionen nicht nur umweltverträglicher ist, sondern nachhaltig auch Erträge sichert bzw. sogar steigert.
Doch wie kann die Förderung von Artenvielfalt gelingen? In diesem Zusammenhang nennt Dr. Redlich auch die Bedeutung von (Nutz-)Tieren: „Dung ist extrem wichtig für Insekten – und damit auch für die ganze folgende Nahrungskette, angefangen mit Vögeln.“
Feldraine sind Lebensraum
Zudem sei ein hoher Anteil an Randstrukturen in der Agrarlandschaft wichtig. Das betont neben Dr. Redlich auch Dr. Diana Sietz vom Thünen-Institut. „Versuche in Großbritannien haben gezeigt, dass verbreiterte Feldraine einen deutlichen Zuwachs der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft mit sich gebracht haben“, sagt die Expertin. Im beschriebenen Versuch wurden 8 % der Ackerflächen aus der Produktion genommen. Der Ertrag auf der verbliebenen Fläche stieg gleichzeitig um 3 bis 4 %. Diesen Effekt führten die Wissenschaftler unter anderem auf eine höhere Bestäubungsleistung der Insekten zurück.
Im beschriebenen Versuch ist die gesamte Erntemenge, die auf den Flächen geerntet wurde, also gesunken. Allerdings konnte die verbliebene, produktive Fläche die Verluste aus den breiteren Feldrainen zumindest teilweise kompensieren. Aufgrund dieser Tatsache hält Dr. Sietz Maßnahmen wie diese für sehr sinnvoll. „Für den Einklang von Produktion, Biodiversität und Klimaschutz brauchen wir einen sinnvollen Kompromiss zwischen Artenschutz und Intensität“, betont sie.
2,9 % deutscher Weizen
Dr. Seitz ist sich sicher, dass der leicht sinkende Ertrag durch die Biodiversitätsförderung in Hochertragsregionen für die Welternährung zu verkraften ist – zumal sie durch die Umweltleistung langfristig sogar positive Ertragseffekte erwartet. „Ganz Westeuropa und die USA tragen gerade einmal 19 % zur Weltweizenproduktion bei, Deutschland sogar nur 2,9 %“, so Dr. Seitz. „Dagegen hängt ein Drittel der globalen Nahrungsmittelproduktion von Bestäubern ab.“
Aus Sicht der Expertin sei es daher wichtig – nach jahrelangem Fokus auf die „reine Agrarökonomie“ in Europa –, die Agrarökologie weiter in den Fokus zu rücken. Dies würde den Welthunger ihrer Meinung nach langfristig nicht verschärfen und im Gegenzug sei es sinnvoller, die Bewirtschaftung von Steppenlandschaften in einem ökologisch erträglichen Maß zu intensivieren – ohne die Artenvielfalt dort zu stark zu beeinträchtigen.
Diskussion um Vortrag
Deutliche Kritik für den Vortrag von Dr. Seitz kam aus dem Publikum. Johann Meierhöfer vom Deutschen Bauernverband sagte, er könne „vieles von dem Gesagtem verstehen und zum Teil noch nicht einmal widersprechen.“ Er hat jedoch Bedenken, dass weitere Maßnahmen zur Ökologisierung der Landwirtschaft erzwungen werden, ohne den Landwirten dabei eine wirtschaftliche Perspektive zu bieten.
Auch Silvio Reimann, Landwirt aus dem Thüringer Wald, befürchtet deutliche Einschränkungen für seinen Betrieb, obwohl er bereits jetzt viele Ökomaßnahmen umsetzt: „Wir bewirtschaften rund 5000 ha, die Hälfte davon ist extensiv bewirtschaftetes Grünland.“ Auf seiner Ackerfläche setzt der Landwirt mit mehr als zehn verschiedenen Kulturen zudem auf eine sehr weite Fruchtfolge. Auch das Einbinden vieler Landschaftselemente sei ihm wichtig, erzählt Reimann. „Wir tun schon so viel für Artenvielfalt und Umweltschutz. Und jetzt sollen wir auch noch unsere Feldraine verbreitern, um neuen Anforderungen an den Artenschutz gerecht zu werden?“
Im Zuge dieser Diskussion verweist Dr. Sietz darauf, dass lokales Wissen und regionale Besonderheiten in der politischen Umsetzung der wissenschaftlichen Ergebnisse unbedingt berücksichtigt werden müssen. „Bei Ihnen würde ich sagen: Sie machen schon viel – weiter so“, beschwichtigte sie in Richtung Reimann. In anderen Regionen und auf anderen Betrieben sei der Bedarf, Artenschutzmaßnahmen auszuweiten, aber dennoch gegeben.
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