Eigentlich bewirtschaftet Familie Brinkmann einen klassischen Betrieb: 250 Zuchtsauen, 75
ha Ackerbau sowie einige Hektar Wald. Eigentlich. Denn auf 1,5
ha bauen die Brinkmanns Wein an. Das Besondere: Der Wein wächst nicht etwa an der Mosel oder in der Pfalz. Brinkmanns Weinberg liegt am Rande des niedersächsischen Städtchens Bad Iburg (Landkreis Osnabrück).
Jetzt steigen sie komplett auf Rauschmittel um, witzelten die Nachbarn, als Familie Brinkmann 2016 nach dem Nutzhanf- auch in den Weinanbau einstieg. Senior- Chef Gerd Brinkmann (59) betrachtet es etwas nüchterner: „Dass wir etwas machen mussten, war klar. Zumindest, wenn wir auch in der nächsten Generation noch Landwirtschaft betreiben wollen.“ Ob der Wein perspektivisch eine Alternative für die Schweine sein kann, ist derzeit noch völlig offen.
Nördliches Weinanbauland
Wein darf in Niedersachsen erst seit 2016 angebaut werden. Nach einer weinrechtlichen Änderung bekam das Bundesland damals als letztes Flächenland Weinanbaurechte vom Bund. Von diesem
Novum hörte Gerd Brinkmann im Radio. „Ein verrückter Einfall für ein verrücktes Stück Land“, blickt er zurück. Brinkmanns ,verrücktes Stück‘ ist das, was man gemeinhin als unrentabel bezeichnen würde: klein, Hanglage, teilweise bewaldet. „Man bewirtschaftet das so mit, wirtschaftlich war es nie.“
An der Idee seines Vaters fand auch Jan Brinkmann (24) Gefallen. 2016 beantragten die Brinkmanns die ersten 0,6
ha Weinfläche, im darauffolgenden Jahr zusätzliche 0,9
ha. Insgesamt wurden in Niedersachsen 2016 Weinbaurechte für insgesamt 7,6
ha an sieben Antragsteller vergeben. Mittlerweile sind 20
ha Wein genehmigt.
Wissen aufbauen
Bevor Familie Brinkmann mit der Praxis starten konnte, musste Weinbau-Nordlicht Jan Brinkmann Theorie büffeln. „Als mein Vater mit der Idee ankam, habe ich mir zuallererst ‚Die Sendung mit der Maus‘ zum Thema Weinbau angeschaut“, gibt er zu. Die Wissensvertiefung erfolgte dann abseits des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch mehrere Praktika in Franken. Über seinen ehemaligen Lehrchef lernte Jan Brinkmann zudem einen Weinbauberater aus Australien kennen, den die Liebe passenderweise ins nahe gelegene Cloppenburg verschlagen hatte. Auch eine Beraterin aus Bremen unterstützt die Familie.
Das frisch erworbene Wissen setzte Jan Brinkmann erstmals 2018 in die Praxis um. Damit die rund 5000 Reben gepflanzt werden konnten, war allerdings viel und arbeitsintensive Vorarbeit nötig. Flächen mussten vorbereitet, ein Waldstück vom Süd- auf den Nordhang verlegt werden. Es wurde gerodet, planiert und gefräst, es wurden Reben vorbestellt und Rankhilfen gebaut. „Wir haben etwa 15
t Eisen auf dem Weinberg verbaut und 52 km Draht gespannt“, so Jan Brinkmann.
Auch die Organisation einer Pflanzmaschine war aufwendig. „Bundesweit gibt es eigentlich nur zwei Lohnunternehmen, die eine solche Maschine haben und aus
ihrer Region herausfahren“, berichtet der Jungwinzer. Auf eine Pflanzmaschine zu verzichten, sei bei einer Steillage von teils 27 % keine Alternative gewesen. „Die Reben müssen sehr genau sitzen, damit sie später mechanisch bearbeitet werden können.“
Vorarbeiten, die sich in den Investitionen bemerkbar machen: Mit mindestens 30.
000
€ pro ha muss in den ersten Jahren gerechnet werden. „Hinzu kommt noch die Maschinenausstattung.“ Bislang haben die Brinkmanns neben einem Schmalspurschlepper auch einen Mulcher, einen Laubschneider sowie eine Spritze angeschafft.
Das Weinbaujahr
Klimamäßig haben die letzten zwei Jahre dem Wein vom Teutoburger Südhang in die Karten gespielt. Die Anbauberater der Brinkmanns haben im dritten Jahr mit erstem Ertrag gerechnet. Tatsächlich konnten aber bereits im zweiten Jahr ausreichend Trauben für 1100
Flaschen geerntet werden.
Bevor die Trauben im Spätsommer geerntet werden können, sind auf dem Weinberg viele Arbeitsstunden zu leisten. Von November bis Ende Februar startet – komplett manuell – der Rebschnitt. Nach dem Austrieb stehen Laubarbeiten an. Dabei werden Doppeltriebe ausgebrochen, Triebe so sortiert, dass sie nach oben wachsen, und Frostschäden herausgeschnitten. „Bei den Spätfrösten erweist sich der Berg als
absolutes Pfund“, berichtet Jan Brinkmann. „Durch die Hanglage fließt der Frost ab.“
Durch die Sortenwahl kommen die Brinkmanns beim Pflanzenschutz mit etwa fünf Durchgängen im Jahr aus – der Durchschnitt im klassischen Anbau liegt bei acht. „Wir bauen die pilzwiderstandsfähigen Sorten Solaris, Helios und Regent an“, sagt Jan Brinkmann. „Diese sind unempfindlich gegen Mehltau, falschen Mehltau und Botrytis.“ Das Problem in diesem Jahr sei vielmehr Niederschlag in der Blütezeit gewesen, so Brinkmann. „Die Reben sind Windbestäuber“, erklärt der Jungwinzer. Durch den Regen sei teils nur jede zweite Beere befruchtet worden.
Arbeitseinsatz gefragt
Trotz der verregneten Blüte rechnet Brinkmann mit einer besseren Ernte als im vergangenen Jahr: „2019 haben wir 1,5
t Trauben geerntet, in diesem Jahr peilen wir 5
bis 6
t an“, sagt er. Da sich ein eigener Vollernter nicht rentiert und auch keiner in der Umgebung geliehen werden kann, müssen bei der Ernte Freunde und Bekannte mit anpacken. 30 bis 40 Helfer sind eingespannt. Die Ernte der empfindlichen Beeren muss vor allem eines sein: schnell. Innerhalb weniger Stunden wird komplett geerntet. Im Anschluss fährt Brinkmann die Trauben zu einem befreundeten Winzer nach Rheinhessen, wo sie noch am Abend gepresst werden. Bis der Wein abgefüllt werden kann, vergeht fast ein halbes Jahr.
Kleines Weinlexikon
Die Brinkmanns produzieren aus ihren weißtraubigen Sorten Helios und Solaris sowie den roten Trauben der Sorte Regent Weißwein und Rotling.
Darüber, ob aus den Trauben ein Rot- oder Weißwein, ein Rosé oder Rotling wird, entscheidet allerdings nicht (nur) die Rebsorte, sondern vielmehr die Herstellung des Weines. Für Rotwein werden rote Trauben mit Schale vergoren. In der Schale sitzt der rote Farbstoff, den der bei der Gärung entstehende
Alkohol langsam herauszieht. Für Weißwein geht nur der Saft der weißen Trauben in die Vergärung, für Rosé werden rote Trauben direkt gepresst und wie Weißwein ohne Schalen vergoren. Im Unterschied zum Rosé-Wein werden beim Rotling weiße und rote Trauben vermischt.
Grundsätzlich werden zur Weinherstellung die möglichst unverletzten Trauben gepresst. Nachdem sich die Trübstoffe abgesetzt haben, wird das Klare abgenommen und die Trubstoffe nochmals gefiltert. Zu dem sogenannten Most wird
Hefe gegeben, die den Gärprozess in Gang setzt. Für einen restsüßen Wein wird die Gärung durch Runterkühlen oder Schwefeln unterbrochen, durchgegorene Weine werden als trocken bezeichnet.
„Im letzten Jahr haben wir sehr
gute Qualität geerntet“, erzählt Brinkmann. „Den Solaris haben wir mit 105 Oechsle gelesen.“ Der Oechsle-Wert ist das Qualitätsmerkmal des Weines. Er gibt den Zuckergehalt der Trauben an. „Durchschnittlich liegt der Oechsle-Wert bei 90“, ordnet Brinkmann ein.
Die 1100 Flaschen der ersten Lese waren ohne Werbung nach knapp 14 Tagen vergriffen. „Der größte Teil ging an unsere Weinpaten,
einige Flaschen haben wir für Weinproben zurückgelegt, einen kleinen Teil verkauft.“
Viele Unsicherheiten
Obwohl Nachfrage und Qualität stimmen, ist für die Brinkmanns weiterhin offen, ob der Weinanbau den Sauenstall perspektivisch ersetzen kann. „Reicht die Menge, dass ich damit zukünftig wirklich Geld verdiene?“, spricht Jan Brinkmann die größte aller offenen Fragen aus und konkretisiert: „Wir haben ein Produkt, was neu und deshalb für viele interessant ist. Es birgt aber gleichzeitig Unsicherheiten. Vieles muss neu erarbeitet werden.“
So musste der Neuwinzer nicht nur die landwirtschaftlichen Grundlagen des Weinbaus lernen, sondern sich auch in das Design der Etiketten hereinfuchsen.
Auch hinter der Suche nach weiteren potenziellen Weinanbauflächen steht ein Fragezeichen. Im Betrieb selbst gibt es keine geeigneten Flächen, viele möglichen Pachtflächen scheiden aufgrund benachbarter Viehställe aus. „Die Trauben nehmen über die Schale Geruchs- und Geschmacksstoffe auf“, erklärt Brinkmann. Einfach ausgedrückt: „Alles, was stinkt, zieht in den Wein ein.“
Existenzielle Treiber
Trotz aller Unsicherheiten: Das Experimentieren mit Wein als mögliche neue Erwerbsquelle hat nicht erst seit dem jüngsten Bundesratsbeschluss existenzielle Treiber. Das Aus des Kastenstandes, Kupierverzicht und der Ausstieg aus der betäubungslosen Kastration treiben Familie Brinkmann um. „Nach dem Kastenurteil sind wir genausoweit wie jeder andere Sauenhalter“, bilanziert Vater Gerd Brinkmann. „Wir haben momentan noch keinen Plan. Unzählige Detailfragen sind ungeklärt, in drei Jahren müssen wir aber schon ein Konzept vorlegen.“ Es könne, so der Senior-Chef mit Blick auf den hohen Investitionsstau im Abferkelbereich, auch gegen Sauen gehen. Eine Einschätzung, die Sohn Jan teilt: „Wir müssen uns gut überlegen, ob und wie es hier mit den Schweinen weitergeht.“ Wachsen gehe am Standort unmittelbar an der Stadtgrenze zu Bad Iburg nicht, pachten sei bei Preisen von über 1000
€/ha ebenso keine Option.
Auch die gesellschaftlichen Erwartungen spielen eher den alternativen Standbeinen in die Hände. Ganz im Gegensatz zu den Schweinen, resümiert Gerd Brinkmann, werde der Weinbau sehr positiv aufgenommen – zumindest im Weinbauneuland Niedersachsen. Eine Entwicklung, die für Jan Brinkmann zutiefst schizophren ist: „Wir erzeugen Lebensmittel in einer noch nie dagewesenen Qualität. Wir wollen die Menschheit damit aber nur vergiften. Mit Nitrat, mit Antibiotika, mit Fleisch
generell. Beim Wein steht hinten drauf, dass 10
% Gift drin ist und es kommt super an.“
Seinen Pioniergeist und Mut behält der Jungwinzer trotz alledem. Denn so viel zumindest scheint
sicher: An neuen ‚verrückten‘ Einfällen mangelt es Familie Brinkmann nicht.
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