Bromoxynil, Mesurol, die ganze Gruppe der Neonicotinoide, bald voraussichtlich auch Glyphosat: Innerhalb weniger Jahre wurden und werden der Landwirtschaft diese und weitere wichtige und etablierte Wirkstoffe genommen. Gleichwertiger Ersatz? Fehlanzeige.
Die Folge: Steigende Kosten für den Ackerbau und sinkende Ertragssicherheit. Zudem steigt die Gefahr für Resistenzen gegenüber den verbliebenen Wirkstoffen. Doch warum sinkt die Zahl der zugelassenen Wirkstoffe und wer ist dafür verantwortlich?
Tatsächlich weniger Mittel?
Nach Angaben des Umweltbundesamtes ist die Zahl der zugelassenen Wirkstoffe in den vergangenen 20 Jahren annähernd konstant geblieben. Von 2000 bis zum Jahr 2020 stieg die Zahl sogar von 276 auf 283. Seit dem in der jüngeren Vergangenheit niedrigsten Wert von 623 zugelassenen Mitteln (2008) stieg dieser Wert bis 2020 sogar deutlich auf 980 an.
Doch sind nicht alle neu zugelassenen Mittel und Wirkstoffe für die Zwecke und in den Kulturen einsetzbar wie die Produkte, deren Zulassung ausgelaufen ist. Auch die Wirksamkeit ist nicht immer gleichwertig. Ein Blick auf Seite 50 des aktuellen „Wochenblatt Spezial: Pflanzenschutz“ zeigt, dass nach dem Wegfall der neonicotinoiden Beize im Zuckerrübenanbau nur noch wenige Insektizide verbleiben, um die Kultur vor Schadinsekten und Virusübertragungen von Blattläusen zu schützen.
Mit nur zwei Ausnahmen (und Eradicoat, Wirkstoff: Glukose) laufen die Zulassungen aller dieser Mittel noch in diesem Jahr aus. Die verbliebenen zwei Mittel folgen in den Jahren 2023 und 2024.
BVL, BfR & Co.
Um die Hintergründe dieser Entwicklung zu erklären, warf Friedel Cramer, Präsident des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) neulich auf der Mitgliederversammlung des Rheinischen Rübenbauer-Verbandes zunächst einen Blick auf die Behördenbeteiligung der Mittel-Zulassung.
Obwohl das BVL die zuständige Zulassungsbehörde sei, könne es nicht alleine über Neuzulassungen und Zulassungsverlängerungen entscheiden, erklärte Cramer. An
der Entscheidungsfindung sind auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das Julius-Kühn-Institut (JKI) beteiligt. Diese tragen ihre Bewertungen hinsichtlich der Gesundheitsgefahr bzw. der Wirksamkeit bei, sind an der Entscheidung selber jedoch nicht beteiligt.
Das ist beim Umweltbundesamt (UBA) anders: Dieses bewertet nicht nur die Auswirkungen auf den Naturhaushalt, sondern muss der Zulassung auch zustimmen und gilt daher als zweite Zulassungsbehörde.
Analytik und Politik
„Viele Wirkstoffe gehen bei Verfahren zur Neu-Genehmigung aufgrund neuer Erkenntnisse verloren“, erklärt Cramer. Die Weiterentwicklung von Analyse-Techniken ermögliche mehr Befunde in der Umwelt, die eine neue Genehmigung nicht zulassen würden, so der Experte.
Zudem können auch neue Anforderungen an Chemikalien – im Rahmen der REACH-Verordnung – zu weiteren Wirkstoffverlusten führen. Da die Entscheidung für Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln aber bei zwei Bundesämtern liegt, spielen neben rein wissenschaftlichen und analytischen Ergebnissen aber auch politische Meinungen eine Rolle. Sowohl in der Ackerbaustrategie 2035, als auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung und in der Farm to Fork-Strategie der Europäischen Union ist festgeschrieben, dass der Einsatz konventioneller Pflanzenschutzmittel zugunsten biologischer und sogenannter „Low-Risk“-Pflanzenschutzmittel deutlich zurückgefahren werden soll.
„Das Beispiel Glyphosat ist ein Zeichen dafür, wie erfolgreich manche Gruppierungen Kampagnen betreiben“, kritisierte Cramer den zu starken politischen Einfluss auf die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. So scheint – zumindest kurzfristig – keine Besserung der Situation in Sicht zu sein.
Hoffnung in der Zucht
Die größten Perspektiven sieht Cramer daher in der Zucht. Beispielsweise habe das etablierte Verfahren, Rüben grundsätzlich mit neonicotinoiden Beizen zu versehen, in diesem Bereich keinen Fortschritt erfordert. „Erst das Verbot von Neonicotinoiden hat die Entwicklung auf den Weg gebracht“, so Cramer. Auch die Tatsache, dass immer mehr Zuckerrüben-Sorten mit Toleranzen gegenüber SBR und Cercospora auf den Markt kommen, bestätige das Potenzial der Zucht.
Abschließend betonte Cramer, der auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen ist, sein Verständnis für die Nöte der Landwirte sowie die geäußerte Kritik an zu unwissenschaftlichen Entscheidungen, aber auch seinen politischen Zugzwang: „Wenn wir als BVL alleine entscheiden dürften, würde das vieles erleichtern. Doch die Öffentlichkeit möchte den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert haben. Da kommen wir nicht drum herum.“
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