Ob die Veränderungen im chemischen Pflanzenschutz gleich als „Zeitenwende“ bezeichnet werden müssen, ist noch unklar, doch viele Anwender empfinden sie als ziemlich drastisch.
Eher Evolution statt Revolution
Prof. Dr. Andreas von Tiedemann, Universität Göttingen, gab während eines Fachsymposiums Pflanzenschutz der Adama Deutschland einen Einblick vonseiten der phytomedizinischen Forschung. Er sieht drei Treibergruppen für die aktuellen Veränderungen:
- Der Phytopatholge weist darauf hin, dass die Bevölkerungszahl von 3 Mrd. (1960) auf 7,8 Mrd. (2020) gewachsen und gleichzeitig die sogenannte Hungerrate von 34 auf 9 % gesunken ist. Wenn die UNO die Jahrhundertaufgabe „Zero Hunger“ erreichen will, müsse der Produktionszuwachs bis 2050 aber weitere 60 bis 100 % erreichen. Der Schutz von Kulturpflanzen-Schaderregerbefall ist für den Wissenschaftler auch in Zukunft essenziell. Pflanzenschutz ist somit systemrelevant.
- Von Tiedemann ist davon überzeugt, dass weite Teile der Gesellschaft die Risiken des Pflanzenschutzes systematisch überschätzen, was nicht dem wissenschaftlichen Kenntnisstand entspricht. Die erhebliche Risikominderung hat allein der technische Fortschritt erreicht und nicht dirigistische Maßnahmen. Das berücksichtigen die aktuellen Verbotsforderungen nicht.
- Für den Hochschullehrer könnten innovative Technologien den Pflanzenschutz voranbringen. Sie sind in ihrer Wirkung aber noch sehr eingeschränkt. Die Biologicals decken nach seiner Aussage mit zurzeit 16 „Wirkstoffen“ gerade 50 von 5577 Indikationen ab. Gen-Stummschaltung und Genome editing besitzen zwar großes Potenzial, sind aber von Politik und Gesellschaft nicht akzeptiert. Roboter und andere digitale Techniken entwickeln sich rasant, sind aber im Einsatz noch beschränkt.
Forschungsbedarf Zuckerrübe
Speziell für die Rübenproduktion beleuchteten Prof. Dr. Anne-Kathrin Mahlein und Sebastian Streit vom Institut für Zuckerrübenforschung (IfZ) in Göttingen die Herausforderungen im Rahmen des integrierten Pflanzenschutzes.
Dabei zeigt Mahlein die recht stetigen Zuwächse bezüglich bereinigtem Zuckerertrag, weist aber auch auf die sich auftuenden Lücken im Pflanzenschutz der Rüben hin. Davon sind Herbizide, Fungizide wie Insektizide betroffen.
Sie geht davon aus, dass 2022 erstmals im größeren Stil CR+-Sorten angebaut werden, um besser gegen Cercospora gefeit zu sein. In der Feldforschung nutzen Forscher Drohnen, um sogar einzelne Symptome der Rübenblätter zu erkennen. Die digitale Bonitur der Krankheit ist mittlerweile schon weit entwickelt.
Dagegen müssen zur virösen Vergilbung noch viele Frage geklärt werden. Dabei arbeiten IfZ, Pflanzenschutzdienste und Züchter eng in verschiedenen Projekten zusammen, um die Diagnose und die Risikoabschätzung zu verbessern, um Bekämpfungsschwellen zu definieren.
Auch auf anderen Problemfeldern zeigte sich, inwieweit die Forscher digitale Technik nutzen, um schnelle Fortschritte zu erreichen.
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