Hecken, Kleingehölze, Saumbiotope extensives Grünland, Gewässerrandstreifen und Streuobstwiesen prägen unsere Kulturlandschaft regional sehr unterschiedlich. Im Behördendeutsch heißen sie „Schützenswerte Kleinstrukturen“. Schützenswert sind aber nicht nur diese Strukturen selbst, sondern auch die darin lebenden Tiere.
Für Aufsehen sorgte jetzt die Neufassung des „Verzeichnisses regionalisierter Kleinstrukturen“, die das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) veröffentlicht hat. Damit sind nun 154 NRW-Gemeinden „rot“, haben also „keinen ausreichenden Anteil an Kleinstrukturen“ in der Agrarlandschaft.
Warum Kleinstrukturen?
Im Pflanzenschutzgesetz ist geregelt, dass eine Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (PSM) keine schädlichen Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt haben darf. Konkret heißt es dort: Auf den „Naturhaushalt“ und die „Nicht-Zielorganismen“.
Daher dürfen PSM auf sonstigen Freilandflächen, die weder landwirtschaftlich noch gärtnerisch oder forstwirtschaftlich genutzt werden, nicht angewandt werden. Zu diesen Flächen gehören auch Kleinstrukturen, die an landwirtschaftliche Flächen grenzen.
Tierarten, die hier leben, sollen vor Abdrift und Einträgen von PSM geschützt werden. Daher erteilt die Zulassungsbehörde BVL bei der Zulassung bußgeldbewehrte Anwendungsbestimmungen. Diese müssen Landwirte im Rahmen der Pflanzenschutzanwendung beachten. Sie finden sich in der Gebrauchsanleitung und gelten für folgende Kategorien:
- NW- und NG-Auflagen für den „Schutzbereich Wasser“,
- NT-Auflagen für den „Schutzbereich Nicht-Zielorganismen“,
- NB-Auflagen zum Schutz von Bienen
- und NO-Auflagen zum Schutz von Bodenorganismen.
Schutz von Organismen
Bei den NT-Anwendungsbestimmungen zum Schutz „terrestrischer Nicht-Zielorganismen“ gilt in der Regel eine vorgeschriebene Abdriftminderung und/oder ein festgelegter Mindestabstand zu Kleinstrukturen. Letzterer hängt von der Ausstattung der Pflanzenschutzspritze mit verlustmindernder Technik, der Breite der Kleinstruktur und dem Anteil der Kleinstrukturen in der Agrarlandschaft ab. Ist ein PSM beispielsweise mit der NT-Auflage 101 belegt, muss der Anwender im Abstand von bis zu 20 m breite mindestens 50 % abdriftmindernde Technik einsetzen, bei NT 107 muss er zusätzlich 5 m Abstand zur Kleinstruktur (ab 3 m Breite) einhalten (siehe Tabelle).
Im Zulassungsverfahren wird davon ausgegangen, dass sich nach einer Pflanzenschutz-Anwendung betroffene Nicht-Zielorganismen erholen können und eine Wiederbesiedlung aus Hecken, Feldgehölzen und Säumen stattfinden kann. Aus diesem Grund wird bei der Bewertung der erforderlichen Risikominderungsmaßnahmen der Anteil sowie die Struktur von Kleinstrukturen betrachtet, die an landwirtschaftliche Flächen angrenzen.
Um dabei der regional sehr unterschiedlichen Ausstattung der Agrarlandschaft mit solchen „Wiederbesiedlungs-Strukturen“ Rechnung zu tragen, hat man 2002 das Kleinstrukturverzeichnis (VKS) entwickelt. Für jede deutsche Gemeinde erfolgte eine Einstufung, ob sie einen „ausreichenden Anteil an Kleinstrukturen“ aufweist.
Regionale Unterschiede
In Gemeinden mit vielen Kleinstrukturen sind die Voraussetzungen für eine Erholung der Nicht-Zielorganismen gut.Landwirte in diesen Gemeinden wären benachteiligt, wenn sie trotz reichhaltiger Ausstattung mit Strukturen die gleichen NT-Auflagen einhalten müssten. In weniger strukturreichen Gemeinden ergibt die Einhaltung der Abstände dagegen Sinn, weil Rückzugsräume rar sind.
Deshalb können diese Risikominderungs-Maßnahmen in Gemeinden mit einer laut VKS „ausreichenden Ausstattung an Kleinstrukturen“ ganz oder teilweise entfallen. Landwirte sind je nach eingesetzter Abdriftminderung von den Abstandsauflagen NT 101 bis NT 112 befreit.
Deshalb verdreifacht
Unter anderem durch Veränderungen in der Agrarstruktur und bei den Gemeindezuschnitten wurde 2023 eine Aktualisierung des VKS von 2002 erforderlich. Die Berechnungsmethoden wurden in diesem Zuge an den Stand der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst. Im Gegensatz zum bisherigen Verzeichnis sind Kleinstrukturen innerhalb von Siedlungsbereichen oder Sport- und Golfplätzen nun nicht mehr anrechenbar und die Breiten verschiedener anzurechnender Saumstrukturen haben sich verändert.
In der nun vorliegenden Neufassung des VKS errechnet sich der Anteil an Kleinstrukturen (KS) so:
KS-Index = (Flächensumme KS x 100) / (Flächensumme KS + Summe LF ohne GL)
Die Ermittlung der bundeseinheitlich erforderlichen Mindestausstattung von Kleinstrukturen in der Agrarlandschaft in Höhe von 10 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche erfolgte auf Ebene von 100 ha großen Hexagonen. Gemeinden, in denen mindestens 50 % der Hexagone innerhalb der Gemeindegrenzen den Sollwert erfüllen, haben eine „ausreichende Ausstattung an Kleinstrukturen“ und sind damit „grün“.
Die Berechnung der VKS-Gebietskulisse durch das Julius Kühn-Institut (JKI), Institut für Strategien & Folgenabschätzung, erfolgte GIS-basiert. Die Experten haben hierzu die amtlichen Daten und Informationen zu landwirtschaftlichen Flächen und Kleinstrukturen aus dem „ATKIS Basis-DLM“ aus dem Jahr 2019 analysiert.
Veraltete Grundlage
Die zugrundeliegenden ATKIS-Daten sind allerdings veraltet, unvollständig und ungenau – aber der einzige bundesweit einheitlich verfügbare Datensatz. Aus diesem Grund sieht das Kleinstrukturverzeichnis VKS routinemäßig eine jährliche Aktualisierung sowie ein Nachmeldeverfahren von Strukturen durch die Bundesländer vor. Die Länder verfügen über aktuellere und genauere Flächenangaben, unter anderem aus den InVekos-Daten.
NRW wird von dieser Möglichkeit noch in diesem Jahr Gebrauch machen, um möglichst viele Flächen und Strukturen nachzumelden. Dazu zählen Schläge, auf denen keine Düngung und kein Pflanzenschutz stattfindet – zum Beispiel ELAN-Codierungen wie Brache, Wildacker, Streuobst, langjährige Stilllegung, Blühflächen, aber auch sonstige AUM- oder Naturschutzmaßnahmen, Ausgleichs- und Ersatzflächen und Obstwiesen. Alle diese Flächen konnte das JKI bisher nicht berücksichtigen, da sie schlichtweg nicht in ATKIS enthalten sind.
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Die Anzahl der „grünen“ Gemeinden in NRW sollte sich durch eine Nachmeldung dieser Flächen auf jeden Fall erhöhen, damit weitere Landwirte von den in der Tabelle aufgeführten NT-Auflagen befreit sind. Die Neuberechnung und Nachmeldung wird im Laufe des Jahres durch den Pflanzenschutzdienst NRW in enger Abstimmung mit der regionalen Beratung stattfinden und mit der nächsten, jährlich vorgesehenen Aktualisierung des VKS im Bundesanzeiger veröffentlicht.
Keine Panik!
Zur Klarstellung: Landwirte die nach der Aktualisierung mit ihren Flächen nun in Gebieten „ohne ausreichenden Anteil an Kleinstrukturen“ liegen, müssen trotz „Verschlechterung“ keine zusätzlichen NT-Anwendungsbestimmungen beachten. So sehen die Anwendungsbestimmungen NT 101, NT 102 und NT 103 für über achthundert verschiedene PSM einzig die Verwendung abdriftmindernder Düsen in einem 20 m breiten Streifen entlang von Hecken und Säumen vor – die NT 101 = 50 % Abdriftminderung, NT 102 = 75 % Abdriftminderung und NT 103 = 90 % Abdriftminderung. Damit können Landwirte die Vorgaben zum Schutz der Kleinstrukturen allein durch den Einsatz – ohnehin weit verbreiteter – abdriftmindernder Düsentechnik erfüllen.
Für die 213 PSM mit den Anwendungsbestimmungen NT 107, NT 108 und NT 109 ist zusätzlich zur jeweiligen Abdriftminderungsklasse ein Abstand von 5 m erforderlich. NT 111 und NT 112 schreiben den 45 betroffenen PSM keine Abdriftminderung, wohl aber einen 5-m-Abstand vor. Allein diese 5-m-Abstände können in Gebieten mit „ausreichendem Anteil an Kleinstrukturen“ entfallen.
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Ob Anwender die erforderlichen Abstände beim Einsatz von PSM über die Einhaltung der NT-Auflagen erreichen oder direkt einen – gegebenenfalls geförderten – Rand- bzw. Blühstreifen entlang von Kleinstrukturen angelegen, ist die Entscheidung des Betriebes. Eine Bereicherung, auch in der Berechnung des Sollwertes, für die regionalen Kleinstrukturen stellt der Randstreifen auf jeden Fall dar. Und sicher ist auch: Zu dieser, auf der eigenen Fläche angelegten, „Struktur“ muss man keinen Abstand einhalten.
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