Dieser Beitrag ist zuerst im Magazin "f3 - farm. food. future." erschienen.
Das weltweite Ernährungssystem steht unter Druck. Eine sinkende Zahl an Agrarbetrieben soll für eine wachsende Weltbevölkerung Nahrungsmittel produzieren - und das möglichst umweltschonend und nachhaltig. Auf der Suche nach Ansätzen, die beides möglichst erfolgreich kombinieren, ist Dr. Verena Seufert. Die Geographin hat vor rund einem Monat eine Juniorprofessur der Robert Bosch Stiftung an der Universität Hohenheim zum Thema „Nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“ angetreten.
Dr. Seufert, was bedeutet für Sie „nachhaltige Landwirtschaft“?
Seufert: Ich forsche seit mehr als zehn Jahren zu diesem Thema. Häufig hat es sich dabei um Ansätze aus der Biolandwirtschaft gehandelt. Meine neue Forschungsarbeit geht aber gezielt weg von der Bioschiene. Bio spielt zwar eine wichtige Rolle bei dem Themenkomplex ‚Nachhaltige Landwirtschaft‘. Meine Arbeit in der Vergangenheit hat mir aber gezeigt, dass es im Bereich der konventionellen Landwirtschaft auch wichtige Beispiele für Nachhaltigkeit gibt. 99 % der globalen Landwirtschaft wird konventionell betrieben - wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir dort ansetzen, wo sich die Praxis befindet.
In meinem neuen Forschungsprojekt möchte ich deswegen von bereits existierenden positiven Lösungsansätzen lernen - egal ob diese bio sind oder konventionell. In der Vergangenheit habe ich etliche Metaanalysen zu den verschiedenen Leistungen der Biolandwirtschaft durchgeführt und ausgewertet. Dabei kam meistens heraus, dass die Erträge unter denen von konventionell betriebener Landwirtschaft liegen. Unter den Biolandwirten gab es aber auch diejenigen, deren Erträge gerade einmal 5 % niedriger waren als die der konventionellen Bauern. Ich möchte diese Betriebe und Regionen, die nachhaltiger und ertragreicher als der Durchschnitt arbeiten, identifizieren und von ihnen lernen.
Wo liegen die Stärken dieser Landwirte?
Seufert: Ich nenne diese Betriebe und Regionen ‚Leuchttürme‘. Denn sie können für Nahrungsmittelsicherheit sorgen und verursachen trotzdem geringere Treibhausgasemissionen, arbeiten klimafreundlicher und fördern die Diversität auf ihren Feldern. Der Gedanke, der hinter dem Projekt steckt, beruht auf der Annahme, dass wir das Rad nicht neu erfinden müssen. Diese Bauern zeigen uns, dass wir die Klimakrise und auch die Biodiversitätskrise mit bereits existierenden Ansätzen lösen können. Wir müssen dabei nicht auf ein neues Wunder warten.
Wenn Sie diese ‚Leuchttürme‘ identifiziert haben, was geschieht mit Ihren Erkenntnissen?
Seufert: Eine Kernidee ist es zu versuchen, die Faktoren, die zur Entstehung dieser Leuchttürme geführt haben, in anderen Regionen nachzubilden.
Welche Rolle spielt für Sie dabei das Modell der ‚Regenerativen Landwirtschaft‘?
Seufert: Regenerative Landwirtschaft wird oft als Heilsbringer gesehen. Es gibt aber kein Patentrezept. Die Lösung kann alles sein - von Agroforstwirtschaft über Biolandwirtschaft bis hin zu Regenerativer Landwirtschaft.
Ein großer Teil meiner Forschung schaut deshalb auch auf die systemischen Faktoren, die es den Landwirten erlauben, nachhaltig zu arbeiten oder eben nicht. Die meisten Landwirte würden nachhaltig produzieren, wenn es ihre Umstände erlauben. Sie können nicht, weil es sich ökonomisch nicht rentiert oder die Arbeit nicht zu bewältigen ist. Häufig werden Landwirte in der Öffentlichkeit so dargestellt, als ob sie die Verantwortlichen für zu wenig Nachhaltigkeit sind. Ich möchte aufzeigen, dass es die gesellschaftlichen Faktoren sind, die es den Landwirten schwer machen, ihr Hauptaugenmerk auf Nachhaltigkeit zu richten. Deshalb schaue ich gezielt auf kulturelle, politische, institutionelle oder ökonomische Faktoren, die Nachhaltigkeit fördern oder verhindern.
Wie ist der Nachhaltigkeitsstand in Deutschland?
Seufert: Es besteht ein riesiger Nachholbedarf. In Bezug auf Treibhausgasemissionen, Bodennachhaltigkeit und Pestizideinsatz arbeiten wir hierzulande leider noch nicht sehr nachhaltig. Die Biodiversität ist stark belastet. Es gibt besonders zum Insektenrückgang bereits sehr beängstigende Studien. Der Nachholbedarf ist groß. Aber im Moment sieht es nicht danach aus, dass die Bemühungen mit dem erforderlichen Tempo in die richtige Richtung laufen.
Woran liegt das?
Seufert: Weil die Anreize noch in die falsche Richtung führen. Die Agrarpolitik in Deutschland wird stark von der EU definiert. Und diese ist ganz stark auf Erträge und große Flächen anstatt auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Daran ändert auch der neue ‚Green Deal‘ nicht genug. Er ist zwar mit sehr ehrgeizigen Zielen formuliert, die angestrebten Veränderungsprozesse sind aber einfach zu langsam. Der Landwirtschaftssektor wurde zwar als Kernelement zu mehr Nachhaltigkeit in Europa identifiziert, aber es fehlt an konkreten Maßnahmen.
Ihre Forschung wird Regionen in Indien und Mexiko in den Fokus nehmen, in denen es auch bei klimatischen Schwankungen gelingt, gute landwirtschaftliche Erträge zu erzielen – ohne die Biodiversität zu beeinträchtigen oder natürliche Ressourcen aufzubrauchen. Setzen Sie auf lokale oder globale Änderungsprozesse?
Seufert: Wenn wir die lokal erfolgreichen Ansätze identifiziert haben, sollen diese auf andere Regionen übertragen werden. Um das zu erreichen, möchte ich vor Ort die Landwirte fragen, was sie als Nachhaltigkeitsproblem identifizieren. Denn ein Problem der EU ist auch, dass sie die Landwirte nicht mitnimmt. Ich will ihnen Nachhaltigkeit nicht von außen aufdiktieren. Schaut man auf Deutschland, sehen die meisten Landwirte nach den Wetterextremen der vergangenen Jahre wahrscheinlich das Thema Dürren als zunehmend relevant wahr. Hingegen wird für sie das Thema ‚Entwaldung des brasilianischen Regenwaldes‘ nicht ganz oben auf ihrer Liste stehen. Man kann die Landwirte vor Ort aber nur für das Thema sensibilisieren, wenn man sie nach ihren lokalen Problemen fragt. Um dann die globale Perspektive zu öffnen. Und das soll über das Projekt erreicht werden.
Welche Rolle spielen innovative Start-ups bei der Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit?
Seufert: Jeder Lösungsansatz ist hilfreich. Wir brauchen Innovationen sowohl in der Bio- als auch in der konventionellen Landwirtschaft. Wir müssen aber nicht auf die Lösungen von morgen warten. Es gibt bereits so viele Ansätze, wie man Landwirtschaft nachhaltiger gestalten kann. In der Debatte um Nachhaltigkeit gibt es immer zwei Lager: Die einen sagen, wir müssen dahin zurück, wo wir früher waren, ohne Big Data und Düngemitteinsatz. Und es gibt das andere Lager, das auf Digital Farming und Präzisionslandwirschaft setzt.
Wo sehen Sie sich dabei?
Seufert: Ich bin davon überzeugt, dass man beides braucht. Man muss sich angucken, welche der Systeme, die bereits seit Jahrhunderten bestehen, uns zu mehr Nachhaltigkeit verhelfen. Aber ich glaube auch, dass mehr Daten es erlauben, bessere Entscheidungen zu treffen. Mein großes Ziel ist ein globales Netzwerk aufzubauen. Positive Fallbeispiele sollen dabei zeigen, wie sich Landwirtschaft nachhaltiger gestalten lässt, und gleichzeitig wirtschaftlich bleibt. Gegenseitige Inspiration zu mehr Nachhaltigkeit ist mein großer Traum.
Die Robert Bosch Juniorprofessur „Nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“
Der Preisträger oder die Preisträgerin erhält für den Zeitraum von fünf Jahren 1 Mio. €, um eine eigenständige Forschergruppe an einer deutschen Universität oder Forschungseinrichtung aufzubauen. Das Forschungsvorhaben muss im Bereich der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen angesiedelt und anwendungsorientiert sein. Die Erkenntnisse aus der Forschung sollen einen Beitrag zu den Zielen nachhaltiger Entwicklung der Vereinten Nationen leisten. Seit 2006 wurden insgesamt 15 Robert Bosch Juniorprofessuren „Nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“ in verschiedenen Wissenschaftsgebieten, darunter Naturwissenschaften, Sozial- oder Wirtschaftswissenschaften und Ingenieurswissenschaften, vergeben.
Mehr zum Thema: