Beim Stichwort Algen denken die meisten von uns eher an grün-muffige Badegewässer als an hochwertige Lebensmittel. Aber das wird sich ändern, sind sich Cathleen Cordes, Ulrich Averberg und Uwe Wilms sicher. Averberg und Wilms sind Gründungsmitglieder der Deutschen Algen Genossenschaft (DAG). Cordes arbeitet für das DAG-Partnerunternehmen Evergreen-Food GmbH. Die Pioniere der heimischen Algenerzeugung sehen in dem Thema großes Potenzial: In einigen Jahren werden Algen in Deutschland zu den gängigen Nahrungsmitteln zählen, prognostizieren sie.
Algen-Genossenschaft gegründet
Daran will die DAG mitwirken. Die Genossenschaft ist ein Zusammenschluss von insgesamt 14 Algenbegeisterten, welche die grünen Einzeller mit dem enormen Wachstumspotenzial entweder schon auf ihren Betrieben vermehren oder in Kürze in die Produktion einsteigen werden. Hauptinitiator der norddeutschen Algenerzeugung ist Cathleen Cordes’ Vater Rudolf, der vor etwa 25 Jahren auf seinem Betrieb in Langförden bei Vechta erstmals mit den Einzellern experimentierte. Mittlerweile hat er ein gut funktionierendes System zur Vermehrung von „Spirulina platensis“ entwickelt, wie die Alge mit wissenschaftlichem Namen heißt.
In den vergangenen Jahren hat Rudolf Cordes etliche Landwirte mit seiner Leidenschaft für die Algen und deren Potenzial für die menschliche Ernährung angesteckt. Parallel zum wachsenden Absatzmarkt sind darauf peu à peu weitere Betriebe in Niedersachsen und NRW in die Mikroalgenerzeugung eingestiegen. Um das Angebot zu bündeln und die Ware noch besser vermarkten zu können, haben die beteiligten Betriebe im Juli schließlich die DAG gegründet. „Damit möchten wir zugleich ein Zeichen für unsere heimische Ware setzen, die unter kontrollierten Qualitätsvorgaben produziert wird“, erklärt das Geschäftsführende Vorstandsmitglied Uwe Wilms. Denn vielfach werden hierzulande noch Importalgen aus Fernost verarbeitet, die zwar relativ günstig angeboten werden, über deren Erzeugungsumfeld der Verbraucher jedoch nichts erfährt.
Algen aus dem Gewächshaus
Das ist bei der DAG-Ware anders. Vorstandsvorsitzender der jungen Genossenschaft ist Ulrich Averberg. Der Nebenerwerber bewirtschaftet in Ahlen-Vorhelm einen Betrieb mit Ackerbau und Schweinemast. Anfang des Jahres kam nach intensiver Beschäftigung mit dem Thema die Algenerzeugung als weiterer Betriebszweig hinzu. Dafür hat Averberg ein 2500 m² großes Gewächshaus mit Spezialtechnik gebaut. Von der Investition her ist das vergleichbar mit einem 1000er-Schweinemaststall. Allerdings müsse man beim Bankgespräch deutlich mehr erklären, weil das Verfahren für die Kreditgeber in der Regel Neuland sein, so der Landwirt.
Im neuen Glasbau befinden sich zehn flache, mit Spezialfolie ausgekleidete Becken, in denen sich die Spirulinas fleißig vermehren, wenn der Landwirt ihnen optimale Voraussetzungen bietet. Die Algen benötigen CO2 aus der Luft, Sonnenlicht und nährstoffhaltiges Wasser. Dessen optimale Temperatur liegt bei 35 °C, was im Gewächshaus leicht zu erreichen ist. Wird es kälter, wachsen die Algen langsamer. Der pH-Wert sollte im basischen Bereich liegen. Das wird ebenso wie der Nährstoffgehalt regelmäßig kontrolliert.
Ernte in mehreren Schritten
Die knapp 20 cm hohen Becken werden zudem mehrmals am Tag von einem Rechen mit aufgebautem Minikompressor durchzogen, der die Algenkulturen durchmischt und das Wasser aufsprudelt. „Das fördert den Luftaustausch und verbessert die CO2-Zufuhr“, erklärt Ulrich Averberg. Unter guten Bedingungen kommt es dann im Sommer alle paar Tage zur Verdopplung des Algenbesatzes im Becken. Bei Familie Averberg wird deshalb derzeit (fast) jeden Tag geerntet.
Dazu stellt der Landwirt oder seine Frau Judith die fahrbare Erntemaschine an das Becken mit dem dichtesten Algenbesatz. Eine Pumpe befördert das tiefgrüne Wasser in einen Förderband-Separator, mit dessen Hilfe die wertvollen Einzeller „abgefischt“ werden. Das dauert einige Stunden. Entnommen wird aber stets nur etwa die Hälfte der Algen. Der Rest geht mit dem Wasser zurück ins Becken und vermehrt sich weiter.
Die geerntete Algenmasse ist zu diesem Zeitpunkt von dickflüssiger Konsistenz. Judith und Ulrich Averberg fahren sie jetzt in einem Edelstahlbottich zur nächsten Erntestation, einer Art „Spaghetti-Maschine“. Mit dieser wird die Algenpaste in dünnen Streifen auf Blechen mit Backpapier ausgebracht und der Trocknungsprozess kann starten.
Die Bleche mit den Algen werden dazu in mehrstöckigen Tablettwagen aus dem Gastronomiebereich gelagert. „Beim Befüllen und Umpacken helfen unsere Söhne oft begeistert mit“, freut sich Judith Averberg über das Engagement der Nachwuchskräfte. Überhaupt finden die drei Jungs die Abläufe im Algenhaus spannend. Die Arbeit mit den Algen ist außerdem auch für Erwachsene körperlich nicht schwer. Und schmutzig wird man auch nicht, weil penible Hygiene eine Grundvoraussetzung für ein gutes Mikroalgenwachstum ist: Verunreinigungen mögen die sensiblen Lebewesen gar nicht!
Um die Algen dauerhaft lagerfähig zu machen, muss ihnen das Wasser entzogen werden. Die Paste auf den Papierunterlagen wird dafür schonend getrocknet: Heißer als 42 °C darf es nicht werden, sonst leidet die Qualität. Nach der kontrollierten Trocknung wird die gebrochene Rohware in 10-kg-Gefäße umgefüllt und bleibt bis zum Versand auf dem Hof.
Und die Vermarktung?
Vermarktet wird über die Genossenschaft. Darum müssen sich die Erzeuger nicht kümmern. Damit der gemeinsame Absatz über die DAG funktioniert, gibt es eine Abnahmegarantie für die Algen. Gleichzeitig haben die Erzeugerbetriebe eine Andienungspflicht.
Als Kunden treten sowohl Endverbraucher in Erscheinung als auch die weiterverarbeitende Industrie (Lebensmittelhersteller sowie Kunden aus der Kosmetik- und Pharmabranche). „Man kann bei uns Algen als Roh- oder Bulkware erhalten, aber auch Pulver, Krümel, Granulat, Tabletten oder Kapseln“, berichtet Cathleen Cordes und freut sich, dass der Absatz der verkaufsfertigen Produkte unter der Eigenmarke „Lüttge“ wächst.
Gefragt sind die Erzeugnisse hauptsächlich wegen ihrer Inhaltsstoffe: Die Algen enthalten je nach Sorte bis zu 60 % Rohprotein. Sie sind reich an pflanzlichem Eisen sowie Vitamin K und liefern alle essenziellen Aminosäuren. Algenerzeugnisse verfügen außerdem über mehrfach ungesättigte Fettsäuren und natürliche Farbpigmente. „Die Verbraucher findet unsere Algen immer häufiger in Smoothies, Müsliriegeln oder Süßwaren. Die farbintensiven Proteinträger lassen sich eben sehr vielfältig einsetzen“, so Cordes.
Vor allem braucht die wachsende Weltbevölkerung in den nächsten Jahren hochwertige und günstige Nährstoffe mit guter Umwelt- und Klimabilanz. All das können unsere Algen liefern, möchte Familie Averberg mit dem neuen Betriebsstandbein zur vielseitigen Ernährung der Gesellschaft beitragen und gleichzeitig den eigenen Hof sinnvoll weiterentwickeln.
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