Eine angeschwollene, gerötete Scheide, Unruhe, gelockerte Beckenbänder sowie Milcheinschuss sind Anzeichen der nahenden Geburt. „Bewahren Sie die Ruhe und halten Sie sich an die 30-Minuten-Regel“, mahnte Henrik Wagner, Fachtierarzt für kleine Wiederkäuer bei der Online-Veranstaltung „Vorbereitung Ablammung und Geburtshilfe“ der „Schäferei-Jahresreise“ der MSD Tiergesundheit am vergangenen Donnerstag.
30-Minuten-Regel
Wenn das Lamm 30 Minuten nach Blasensprung noch nicht auf der Welt ist, sollte der Tierhalter unter Beachtung der Hygienemaßnahmen eingreifen. Bei Zwillingen darf zwischen den jeweiligen Geburten durchaus eine halbe Stunde Pause liegen. Wichtig: 30 Minuten nach der Geburt sollte die erste Kolostrumaufnahme erfolgen. Generell gilt, dass Menschen nur bei Komplikationen eingreifen sollten, um das Muttertier nicht unnötig zu stören. Der Experte warnt: „Wer anfängt, muss es auch beenden.“
Die mangelhafte Eröffnung des Geburtsweges kann das Eingreifen erforderlich machen. Vorsichtiges Ausziehen des Lamms sollte dennoch nur während der Wehe erfolgen und wenn sichergestellt ist, dass das Jungtier korrekt liegt. „Erfahrene Tierhalter kennen das 7-Punkte-Schema, anhand dessen Lage, Stellung, Haltung, Position, Größe und Leben der Frucht sowie seine Prognose bewertet werden“, erklärt Wagner. Korrekturen innerhalb des Mutterleibes sollten nur in der Wehenpause und unter Verwendung von ausreichend Gleitgel stattfinden.
Im Zweifelsfall rät der Leiter der Tierärztlichen Ambulanz an der Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Groß- und Kleintiere an der Universität Gießen jedoch dazu, den Tierarzt zu kontaktieren.
Stallapotheke pflegen
Folgende Dinge sollten laut Tierarzt Henrik Wagner in keiner Stallapotheke fehlen:
- Seife
- frostfrei gelagertes Gleitgel
- lange und kurze Einmalhandschuhe
- Geburtsstricke oder -ketten
- Desinfektionslösung und Jod-PVP-Lösung
- schnell messendes Fieberthermometer
- Rotlichtlampe
- Biestmilchersatz
- Infusionslösungen (5%-ige Glukose sowie NaCl)
- Medikamente, Spritzen und Kanülen
- sauberes Kupierbesteck (bei Bedarf)
Lämmer richtig versorgen
Unverzüglich nach der Geburt gilt es, die Atemwege des Neugeborenen freizulegen: „Halten Sie das Tier nicht über Kopf. Sonst droht der Rückfluss von Flüssigkeit aus dem Labmagen“, warnt der Tierarzt. Weiter empfiehlt er, unmittelbar den Nabelstumpf zu kontrollieren und die Versorgung mit Kolostrum sicherzustellen.
Verbringt man Mutter und Lamm in die Stizbucht (Ablammbucht), sollte diese hygienisch in Ordnung sein. Von Holz bei Einrichtung und an Wänden hält Wagner wenig. Dort könnten sich Keime sammeln. In der Bucht rät Wagner Schafhaltern, die Neonaten unmittelbar zu untersuchen: Sind Anus und Scheide angelegt? Passt die Länge des Nabels? Hat das Tier eventuell eine Gaumenspalte? Dann besteht Handlungsbedarf.
Der pauschalen Desinfektion des Nabels steht der Experte kritisch gegenüber: „Wer keine Probleme mit dicken Gelenken und Nabeln hat, der lässt besser die Finger davon.“ Falls eine Behandlung des Nabels angezeigt ist, zieht er das Dippen mit Jod-PVP-Lösung dem schwierig aufzubringenden und antibiotikahaltigen Blausprays vor.
Warme Glukoselösung hilft
Tierhalter sollten außerdem die Vitalparameter der Tiere untersuchen. „Ein stark ausgeprägter Hinterkopf mit spitzer Nase deutet darauf hin, dass es sich um ein Frühchen handelt“, weiß Wagner. Gerade diesen Tieren sollte besondere Aufmerksamkeit zukommen, um Verluste zu vermeiden. Die Gabe von Kolostrum und Vitaminen können ebenso angezeigt sein wie eine wärmende Glukosezufuhr bei niedrigen Außentemperaturen. „Ist kein Tierarzt anwesend, der Glukose intravenös geben kann, dann kann der Tierhalter sie selbst in die Bauchhöhle spritzen“, erklärt Wagner. Dazu greift man unter die Vorderläufe des Lamms und richtet es auf. 50 bis 60ml im Wasserbad erwärmte 5%-ige Zuckerlösung können so neben den Nabel appliziert werden. „Erst danach sollten die unterkühlten oder -zuckerten Lämmer unter die Rotlichtlampe kommen.“
Gelingt die Kolostrumaufnahme nicht unmittelbar, kann ein kurzes Anmelken des Muttertiers helfen, um einen möglicherweise vorhandenen Milchpropf zu lösen.
Nachgeburt und Mastitis
Die Nachgeburt geht normalerweise bis zu vier Stunden nach der Geburt ab. Manuelle Hilfe ist fast unmöglich. Hängen mehr als 72 Stunden nach der Geburt Teile der Nachgeburt heraus, kann vorsichtig an ihnen gezogen werden. Alternativ sollte der Tierarzt hinzugezogen werden.
Verbleibt ein Teil der Nachgeburt im Muttertier, ist das aus Sicht des Fachmanns, weniger schlimm als bei Pferden, die darauf eist heftiger zum Beispiel mit Reheschüben reagieren.
Deutlich gravierender bewertet Wagner hingegen Euterentzündungen bei kleinen Wiederkäuern. Sie verlaufen schnell tödlich. Seine Erfahrung zeigt, dass eine Mastitis aber gerade bei Fleischschafen und -ziegen nicht leicht zu erkennen ist.
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