Es sah aus, als stehe einer schnellen Genehmigung des 1500er Schweinemaststalls in Münster-Hiltrup nichts im Wege. Doch das änderte sich nach einem Zeitungsartikel. Was dann kam, hätte der junge Hofübernehmer, der aus Angst unerkannt bleiben möchte, nicht für möglich gehalten: Eine Bürgerinitiative formiert sich, eine Online-Petition startet, Vandale und Beschimpfungen folgen. Aber von Anfang an: Vor dreißig Jahren siedeln die Eltern um. Die ebenfalls in Hiltrup gelegene, alte Hofstelle, auf der sie 100 Sauen halten, muss der Wohnbebauung weichen. Beide Söhne wollen schon früh Landwirte werden: „Für uns gab es nie etwas anderes.“ Als die Hofübergabe näher rückt, wird klar: 80 ha Ackerbau reichen nicht für zwei Familien. Da passt es gut, dass einer der beiden Söhne wieder in die Schweinehaltung einsteigen will. Doch am Betriebsstandort geht das nicht, da in der Nähe ein Baugebiet geplant ist.
Bauantrag im Sommer
Die Familie kann vor elf Jahren einen zweiten Standort erwerben und setzt das Wohngebäude in mühevoller Eigenleistung in Stand. Dort scheint es mit der Schweinehaltung zu klappen: Der Sohn beantragt im Sommer 2020 die Genehmigung. Alle Gutachten für den Maststall mit knapp unter 1500 Plätzen sind positiv. Die notwendige Futtergrundlage ist vorhanden, nötige Abstände zu Ökosystemen, Schutzgebieten und Wohnbebauung werden eingehalten. Die Stadt Münster signalisiert, dass damit einer Genehmigung nichts im Wege stehe. Doch bevor die erteilt wird, beginnt die lokale Presse zu berichten. Zunächst erscheint Anfang Februar ein Artikel, in dem eine Nachbarin fordert: „Der Stall darf nicht gebaut werden.“
Daraufhin gründet sich eine Bürgerinitiative und die Ortsverbände von SPD und Grünen starten eine Online-Petition gegen den Bau des Stalles, die innerhalb kürzester Zeit knapp 6000 Leute unterzeichnen, rund 2000 davon aus Hiltrup. Der NABU schreibt einen offenen Brief an die Stadt Münster und die lokalen Zeitungsredaktionen, in dem er dem Landwirt Klima- und Wasserverschmutzung vorwirft. „Keiner ist vorbeigekommen, um mit uns zu sprechen. Wir haben alles nur aus der Zeitung erfahren“, erzählt der junge Landwirt.
Falsche Unterstellungen
Vieles ist irreführend. So erstellt die Hiltruper SPD für die Online-Petition eine Grafik, in der der geplante Stall viel zu groß ist und die Bürgerinitiative eine mit dem Stall an der falschen Stelle. „Jetzt sieht es so aus, als ob ein Stall für 3000 oder 4000 Schweine mitten auf den Rundweg gebaut werden soll. Das planen wir so aber gar nicht“, ist der junge Hofübernehmer entsetzt. Die große Sorge der Bürgerinitiative, dass der Stall Spaziergänger auf dem nahegelegenen Rundweg stören könnte, kann er nicht ganz nachvollziehen: „Der Rundweg ist zum Großteil unser privater Weg. Wir halten ihn für die Spaziergänger und Fahrradfahrer schon seit Jahrzehnten in Schuss, nehmen beim Schlepper fahren über unseren eigenen Weg sehr viel Rücksicht. Und jetzt werden wir von vielen Spaziergängern im Vorbeigehen beschimpft. Dabei haben wir gar nicht vor, an dem Weg etwas zu verändern.“
Verkehrschaos am Friedhof?
Die Bürgerinitiative malt zudem Schreckenszenarien von täglich am Friedhof vorbeifahrenden LKWs. „Der Friedhof liegt 2 km Luftlinie entfernt. Genau genommen verringert sich der Verkehr durch uns sogar. Bis jetzt düngen wir unsere Felder, die rund um den geplanten Maststall liegen, nämlich mit Gülle aus dem Nachbarort. Dafür müssen wir beim Gülleausbringen häufig mit den Schleppern samt Güllefass am Friedhof vorbei. Das fällt weg, wenn wir die Felder direkt mit der eigenen Gülle aus dem Stall düngen können,“ erläutert der für den Ackerbau zuständige, ältere Bruder. „Die eine Futteranlieferung pro Monat und dann alle 5 Monate Schweine wegbringen und Ferkel holen kann man ja jetzt nicht als extremes Verkehrsaufkommen bezeichnen“, ergänzt der Jüngere. Er plant, die Tiere nach Haltungsstufe 2 zu halten. Dabei stehen beispielsweise jedem Schwein 10% mehr Fläche als gesetzlich vorgeschrieben, also 0,98 m2 zur Verfügung. Zudem plant er auf längere Sicht Umstellung und Umbau zu Stufe 3 mit noch mehr Platz und Auslauf. Das wird aber von Mitgliedern der Bürgerinitiative und der Grünen bestritten. „Wo immer sie die Infos herhaben, wie wir den Stall planen – von uns nicht“, wundert sich der junge Landwirt. Sie meinen, er werde die Tiere in Massentierhaltung nicht artgerecht und für den Export halten. Den so geschürten Widerstand spürt die Familie bald auch direkt.
Immer wieder legen Unbekannte Steine und Äste auf den Rundweg, um ihn für andere als Spaziergänger zu blockieren. „Vor Kurzem wurde nachts eine junge Buche gefällt und quer über den Weg gelegt. Die hatten wir extra gepflanzt, um später eine Bank für Spaziergänger in den Schatten zu stellen“, berichtet der Senior. Schilder mit dem Hinweis, dass es sich um einen Privatweg handelt, werden immer wieder entfernt. Teilweise rufen Vorbeigehende Beschimpfungen, wenn sie sehen, dass jemand auf dem Hof ist. „Das sind schon schlimme Sachen, die sie uns vorwerfen: Sätze wie „Wie kann man nur ein Schweine-KZ bauen?“ oder „Aus reiner Geldgier bauste jetzt einen Stall hierhin.“ Aber immer nur im Vorbeigehen. Niemand bleibt stehen und diskutiert mit uns“, berichtet der Senior weiter.
Fenster zerschlagen
Tief trifft es die Familie, als Unbekannte die Fenster des Wohnhauses einschlagen. „Seitdem schlafen wir nicht mehr ruhig. Das Haus haben wir komplett in Eigenleistung saniert. Nur das Dach ließen wir machen. Jetzt haben wir Angst, dass sie uns alles kaputt machen“, so der ältere Bruder. Auch, um zu verhindern, dass an den ebenso schönen und alten Gebäuden auf der anderen Hofstelle vandaliert wird, wenn herauskommt, wo die Familie noch wirtschaftet, will sie anonym bleiben. Trotz des Ärgers hält der junge Landwirt an seinen Plänen fest: „Sobald ich die Genehmigung habe, baue ich.“ Aber ist das realistisch? Immerhin fordern SPD und Grüne in ihrer Petition die Verwaltung auf, die Genehmigung nicht zu erteilen und alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, den Stallbau zu verhindern. Doch: „Eine Verwaltung darf nicht verhindern. Sie muss nach Recht und Ordnung entscheiden, indem sie alle Unterlagen prüft. Ein solcher Druck darf also den normalen Behördengang nicht beeinflussen“, betont Sonja Friedemann, Baurechtsexpertin des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands. „Aber natürlich sind Beamte nur Menschen. Man kann nur hoffen, dass sie sich nicht emotional beeinflussen lassen und mögliche Ermessensspielräume strenger auslegen als normalerweise“, gibt Friedemann zu bedenken. Mitte Februar beschäftigte sich die Bezirksvertretung Münster-Hiltrup in einer Sitzung mit dem Genehmigungsverfahren. „Dass ein politisches Gremium, das sich sonst mit Dingen, die den ganzen Stadtbezirk angehen, wie der Unterhaltung von Schulen beschäftigt, über Verwaltungsangelegenheiten diskutiert, ist verwunderlich“, so Friedemann. Besprochen wurde es im nicht-öffentlichen Teil. Die betroffene Familie war nicht eingeladen, wurde abgewiesen, als sie vor dem Sitzungsgebäude erschien. „Das widerspricht jedem Demokratieverständnis“, zeigt sich Friedemann fassungslos.
Klage gegen Genehmigung?
Die Bürgerinitiative kündigte an, Widerspruch gegen die Genehmigung einzulegen, sollte sie erteilt werden. „Widerspruch und möglicherweise Klage kann nur ein betroffener Nachbar, der womöglich in der Bürgerinitiative ist, einreichen. Solange die Genehmigung rechtmäßig erteilt wurde, ändert das aber am Ergebnis nichts. Trotzdem käme dadurch sicherlich nochmals ein Jahr hinzu, in dem der Landwirt nur auf das Risiko hin bauen kann, dass der Klage doch stattgegeben und die Genehmigung wieder kassiert wird“, ordnet Friedemann ein. „Nach dieser ganzen Hetze tut mir die Familie wirklich leid. Was man mit denen angestellt hat, ist unglaublich. Dass politische Vertreter die Verwaltung auffordern, den Stallbau zu verhindern, ist völlig unangebracht. Und der Vandalismus schießt wirklich über jedes Maß der freien Meinungsäußerung hinaus“, ergänzt die Juristin. Der junge Hofübernehmer bleibt trotz allem positiv: „Auch, wenn ich mir meinen Start als Schweinemäster anders vorgestellt hatte. Das beruhigt sich hoffentlich alles bald wieder.“ Die Familie hat jetzt ein Plakat aufgestellt, auf dem sie Passanten über den geplanten Stall informiert und versucht, mit Fehlinformationen aufzuräumen.