Tobias geht seinen Weg

Der 17-jährige Tobias Koddebusch hat das Downsyndrom. Trotz des Handicaps verfolgt er seinen Wunsch, Landwirt zu werden. Auf einem Sauenbetrieb in Coesfeld arbeitet er als Praktikant.



Es ist 6.45 Uhr, wenn sich Tobias Koddebusch auf den Weg zur Arbeit macht. Mit seinem Fahrrad fährt er zum Bahnhof in Lüdinghausen. Dort nimmt er den Zug nach Coesfeld. Für die letzten Kilometer steigt er in ein Taxi. Rund eine Stunde dauert der Weg – eigentlich nichts Ungewöhnliches. Doch für den 17-jährigen Tobias bedeutet dies Herausforderung, Verantwortung und Eigenständigkeit. Denn Tobias hat das Downsyndrom.

Traumberuf Landwirt

Seit er denken kann, träumt Tobias davon Landwirt zu werden. Er liebt die Arbeit mit Tieren und packt gerne mit an. Zu Hause in der Bauerschaft Aldenhövel bei Lüdinghausen bewirtschaften seine Eltern einen Betrieb mit Jungsauenaufzucht, mit 2000 Tieren und 50 ha Ackerland. „Mit drei Jahren ist Tobias bereits mit dem BobbyCar durch die Ställe gesaust. Seit er zehn Jahre alt ist, hilft er auf dem Hof“, erinnert sich Marie-Theres Koddebusch, Tobias Mutter.

In diesem Sommer hat der Landwirtssohn den integrativen Schulunterricht an der Hauptschule in Lüdinghausen abgeschlossen. Während der Schule meisterte Tobias bereits mehrere Praktika – auf einem Baubetriebshof, bei Aldi und im Baumarkt. Doch für ihn stand fest: „Ich möchte auf einem landwirtschaftlichen Betrieb arbeiten – so wie Papa.“ Durch Bekannte wurde Familie Koddebusch auf Mechthild Schickhoff aufmerksam. Sie ist Inklusionsberaterin bei der Landwirtschaftskammer NRW und stellte den Kontakt zu der Bertelsbeck GbR in Coesfeld her.

Auf dem Sauenbetrieb in der Bauerschaft Stockum arbeitet Silke Witte als Betriebsleiterin. Zum Hof gehören 540 Sauen und deren Nachzucht. „Einer unserer Mitarbeiter steht kurz vor der Rente, deswegen suchten wir eine neue Hilfskraft“, erklärt Silke Witte.

Downsyndrom
Bei Menschen mit Downsyndrom ist das 21.Chromosom ganz oder teilweise dreifach vorhanden. Sie haben ein charakteristisches Aussehen und sind in ihrer geistigen Entwicklung verzögert. Dennoch können heutzutage viele von ihnen mit der entsprechenden medizinischen Betreuung und bei guter Förderung und Integration lesen und schreiben lernen.
Die Forschung der vergangenen Jahre zeigt, dass Menschen mit Downsyndrom weit größere Fähigkeiten haben, als ihnen früher zugetraut wurde.

Die Agrarbetriebswirtin hat bereits Erfahrungen mit Menschen mit Handicap in der Landwirtschaft. Das hat sie ihrem Vater zu verdanken. Der Landwirt arbeitet auf dem Gut Kinderhaus in Münster seit Jahren mit Menschen mit Behinderung. „Ich hätte am liebsten auch auf einem solchen Betrieb gearbeitet, leider gibt es nur sehr wenige in NRW.“ Deshalb kam ihr die Idee, anstatt eines Auszubildenden einen Menschen mit Behinderung einzustellen.

Ein eingespieltes Team

Mittlerweile ist Tobias seit drei Monaten auf dem Betrieb in Coesfeld. Auf die Frage, wie es ihm gefällt, antwortet Tobias: „Richtig gut! Die Arbeit macht viel Spaß.“ Dabei strahlt er über das ganze Gesicht. Die Arbeitswoche auf dem Betrieb ist klar strukturiert. So hat der Jugendliche immer wiederkehrende und feste Aufgaben. Das gibt ihm Sicherheit und stärkt sein Selbstvertrauen.

Viele Aufgaben übernimmt Tobias nun schon alleine. „Ich füttere die Ferkel mit Milch und die Jungsauen mit Zuckerwasser“, erzählt er stolz. Doch am liebsten säubert er die Ställe. Dann schnappt er sich den Hochdruckreiniger und den Ganzkörperoverall und reinigt die Abteile. Mittlerweile schleift er alleine die Zähne der Ferkel, bereitet die Geburtenkarten vor und zählt die geborenen Ferkel. Hat eine Sau dabei mehr als 15 Ferkel geworfen, stellt Tobias begeistert fest: „Heute haben wir ein richtiges Leistungsschwein.“

Bei anderen Aufgaben steht Betriebsleiterin Silke Witte ihm zur Seite. Gemeinsam kastrieren sie die Ferkel und kupieren die Schwänze. Im Team kontrollieren sie die Trächtigkeit der Sauen und verladen die Schlachtsauen. „Tobias arbeitet eigenständig und bringt viel Erfahrung vom elterlichen Betrieb mit. Trotzdem ist es wichtig, dass er einen Ansprechpartner hat“, sagt Silke Witte. Die beiden starten immer mit Ruhe in den Tag. „Man braucht Zeit zum Betreuen. Viele Dinge laufen halt nicht so schnell wie gewohnt.“

Vier Tage die Woche arbeitet Tobias auf dem Betrieb – von montags bis donnerstags. Das Praktikum wird angemessen entlohnt. Freitags besucht der Schüler die Maximilian-Kolbe-Schule in Nordkirchen. Das Praktikum auf dem Betrieb soll vorerst bis zum Ende des Schuljahres – bis zum Sommer 2017 – laufen. Danach hofft Tobias eine abgespeckte Version der Ausbildung absolvieren zu können. Er würde dabei in drei Jahren das lernen, was andere im ersten Ausbildungsjahr vermittelt bekommen.

Den Weg gefunden

„Tobias möchte ganz normal am Leben teilnehmen und mitreden können“, sagt seine Mutter. Er spielt Fußball bei Germania Datteln – einem Team für Menschen mit Handicap. Auch ist Tobias Mitglied im Schützenverein. Aktuell regiert er als Jungschützenkönig die Bauerschaft Aldenhövel.

Die Arbeit auf dem landwirtschaftlichen Betrieb tut Tobias gut. Es fördert seine geistige Entwicklung. „Der Betrieb muss zu Tobias passen. Strukturiertes Arbeiten und ein Ansprechpartner sind wichtig“, gibt seine Mutter zu bedenken. Doch für sie steht fest: „Tobias soll das machen, was ihm Spaß macht. Nur so kann er den meisten Ehrgeiz entwickeln.“

Für Familie Koddebusch und Silke Witte war es die richtige Entscheidung, Tobias’ Traum zu ermöglichen. Bei Menschen mit Handicap muss immer individuell nach einem Weg geschaut werden. „Es gibt kein Patentrezept der Ausbildung nach der Schulzeit“, sagt Marie-Theres Koddebusch. Gemeinsam mit den Behörden, der Schule und dem Betrieb lässt sich aber eine Lösung finden. „Nur weil es etwas noch nicht gegeben hat, ist es nicht unmöglich.“ Pia Niewind