Landwirt mit einer Hand

Thomas von der Haar hat seit seiner Geburt nur die rechte Hand – kein Grund für ihn, nicht Landwirt zu sein. Schlepper fahren, Tiere füttern und Ladung sichern gehören für ihn zum Alltag.



Ein Spanngurt fliegt durch die Luft. Er landet auf der anderen Seite einer Wagenladung Stroh. Thomas von der Haar nimmt das Ende des Gurtes und fädelt es in die Ratsche ein. Nun zieht er den Gurt stramm – eine Aufgabe, wie sie auf vielen Höfen vorkommt. Doch Thomas macht das mit nur einer Hand. Denn seit seiner Geburt fehlt ihm die linke. Wo andere fünf Finger haben, hat er einen Armstumpf.

Trotz seiner Behinderung hat der 23-Jährige die Ausbildung zum Landwirt abgeschlossen. Zurzeit arbeitet er auf dem Betrieb Böckmann in Ostercappeln-Venne im Landkreis Osnabrück und macht dort das Gesellenjahr für die Fachschule.

Steuern mit Lenkgabel

Thomas Eltern haben daheim in Bissendorf-Wulfen im Landkreis Osnabrück keinen eigenen Hof. Thomas faszinierte die Landwirtschaft aber schon immer – die Schlepper, der Umgang mit den Tieren, die Arbeit in der Natur. In der Schulzeit half der junge Mann auf dem Betrieb eines Bekannten. Dort lernte er das Treckerfahren.

Und wer Thomas beim Schlepperfahren sieht, erkennt von außen keinen Unterschied. Gekonnt steuert er das Fahrzeug über den Hof. Nur beim Blick in die Kabine fällt auf, dass sein linker Arm in einer Lenkgabel ruht. Die hat er zuvor an das Steuer montiert. So kann er das Lenkrand normal bewegen.

Ob Automatik oder manuelle Schaltung ist dabei egal. Denn mit der rechten Hand kann er die Schaltung ohne Probleme bedienen. Auf der rechten Seite sind auch Monitor und Joystick für die angehängten Geräte. „Du kannst froh sein, dass es die linke Hand ist, sonst hätten wir englische Schlepper für dich kaufen müssen“, scherzt sein Junior-Chef Florian Böckmann.

Dort auch Ausbildung

Auf dem Betrieb Böckmann verbrachte Thomas auch das erste Jahr seiner Ausbildung nach dem Abitur im Jahr 2012. „Vor allem meine Mutter war skeptisch, ob ich das schaffen würde“, sagt Thomas. Sie hätte sich eher ein Studium oder einen Beruf gewünscht, bei dem nicht so viel Handarbeit nötig ist. Doch Thomas setzte sich durch und begann die landwirtschaftliche Ausbildung. Mit dem Abi in der Tasche konnte er sie auf zwei Jahre verkürzen.

„Er hat sich bei uns vorgestellt und kein Geheimnis um seine Behinderung gemacht“, erinnert sich Florian Böckmann. Doch ein paar Bedenken hatten er und sein Vater Wilhelm anfangs schon. Daher ließen sie Thomas drei Tage zur Probe auf ihrem Betrieb arbeiten. Das heißt bei den Böckmanns: 400 Bullen versorgen, beim Strohverladen helfen und viel Schlepperfahren. Denn neben den Mastbullen führen Senior und Junior Böckmann einen Stroh- und Heuhandel sowie ein Lohnunternehmen. „Das hat alles einwandfrei geklappt und er bekam den Ausbildungsvertrag. Falls es doch nicht gehen würde, hätten wir uns immer noch in der Probezeit trennen können“, blickt Florian Böckmann zurück. Thomas schwört aufs Probearbeiten. „Ich wollte zeigen, dass ich alle Arbeiten, die anfallen, auch erledigen kann.“

Grenzen bewusst

Dabei kennt der gelernte Landwirt seine Grenzen. Er kann zum Beispiel nicht in einem Melkstand melken. „Auch das Ferkel kastrieren geht nicht“, gibt er ganz offen zu. Daher war es für ihn wichtig, für das zweite Jahr seiner Ausbildung einen passenden Betrieb zu finden. Denn laut Ausbildungsverordnung muss der Lehrling mindestens auf einem Betrieb mit Fortpflanzung gearbeitet haben. Ein Sauenbetrieb fiel da schon mal weg.

„Ich wollte sowieso auf einen Hof mit Milchvieh und bin auf den Betrieb von Siegfried Voltermann gestoßen.“ Voltermanns melken in Hunteburg-Schwege im Landkreis Osnabrück 300 Kühe – aber mit vier Melkrobotern. So konnte Thomas ohne Einschränkung arbeiten.

Selbstständig arbeiten

Der Junglandwirt empfiehlt jedem Menschen mit körperlicher Behinderung, sich vorher den möglichen Arbeitsplatz genau anzuschauen. „Der Betrieb muss so sein, dass man selbstständig arbeiten kann und nicht zu einer zusätzlichen Belastung wird.“ Mit zusätzlicher Belastung meint er nicht, dass jemand mal mit anpackt, sondern dass man rund um die Uhr betreut wird. „Im Nachhinein ist uns eigentlich erst bewusst geworden, wie wenig wir seine Behinderung im Arbeitsalltag bemerken“, sagt Florian Böckmann. Sein Arbeitskollege Markus Schnuck ergänzt trocken: „Was Thomas mit einer Hand schafft, das packen manche nicht mit zwei.“

Nach dem Gesellenjahr geht es für ihn zurück an die Fachschule in Osnabrück. Einen eigenen Betrieb möchte er nach dem Abschluss zum staatlich geprüften Agrarbetriebswirt nicht führen. Sein Ziel ist es, Berater zu werden. pat