Klettern bis zur Krone

Schon als Kind war Jarl Spiegel nicht auf dem Boden zu halten. Mittlerweile ist der 15-Jährige ausgebildeter Baumkletterer. Beinahe hätte er sogar einen Weltrekord geknackt.



Nur 13,5 Sekunden braucht Jarl Spiegel vom Boden bis zur Baumkrone in 15 m Höhe. Applaus braust auf. Denn mit dieser Zeit gewinnt er bei der Kletterkrone NRW nicht nur das Aufstiegsklettern am Seil, gleichzeitig bricht er fast den Weltrekord in dieser Disziplin.

Bei dem Wettbewerb Mitte Juli in Hamm wurden in sechs verschiedenen Kategorien die besten Baumkletterer NRWs gekürt. Jarl Spiegel war mit 15 Jahren der jüngste Teilnehmer und einer der schnellsten. Stolz zeigt sein Vater Gerwin Spiegel im heimischen Wohnzimmer in Soest das Video vom Aufstieg.

Das Klettern ist Jarls große Leidenschaft. Schon im Kindergarten war er kaum auf dem Boden zu halten. Mit neun Jahren unternahm er erste Versuche, gesichert in Bäume zu steigen. Seit dem vergangenem Jahr ist Jarl der jüngste geschulte Baumkletterer NRWs.

Lehrgang in Mülheim

2014 hat der junge Mann mit gerade 14 Jahren den A-Schein in der Seilklettertechnik (SKT) erfolgreich abgeschlossen. Der einwöchige Lehrgang fand an einer Kletterschule in Mülheim an der Ruhr statt. Die Teilnehmer lernten, wie sie aufsteigen und sich im Baum fortbewegen können, außerdem wie sie verletzte und bewusstlose Personen retten. Am Ende stand eine theoretische und praktische Prüfung auf dem Programm. Allein zwölf Knoten mussten sicher sitzen.

Mit dieser Ausbildung darf Jarl beim Baumklettern die Handsäge benutzen. Mit ihr kann er Bäume fällen und zur Pflege an ihnen schneiden. Voraussetzungen für das Seminar waren eine arbeitsmedizinische Untersuchung und der Ersthelfer-Schein. Eine Motorsäge darf er erst benutzen, wenn er auch den B-Schein absolviert hat.

Eigentlich können erst 16-Jährige den Kurs für den A-Schein belegen. Doch Jarls Eltern willigten ein, dass er ihn schon mit 14 besuchen darf. „Meinen Eltern wurde meine Kletterei irgendwann zu gefährlich. Deshalb informierten wir uns über den Kletterkurs“, sagt der junge Baumkletterer. „Es musste einfach professioneller werden“, ergänzt seine Mutter Sabina Spiegel.

Denn Jarl krabbelt seit seiner Kindheit auf alles, was mehr als 1 m über dem Boden ist. Dabei vertraut Sabina Spiegel ihrem Sohn, auch wenn sie manchmal nicht hinsehen kann. „Kinder haben ein Urvertrauen in sich. Sie klettern von sich nur so weit, wie sie können.“ Jarl konnte den Kurs als Projekt einer mehrmonatigen Klassenarbeit für die Waldorfschule in Soest nutzen. Dort besucht er zurzeit die neunte Klasse.

Knapp 10 km von seinem Elternhaus entfernt besitzen Jarls Eltern am Möhnesee ein Stück Wald. Dort übt der Schüler das Klettern in den Fichten, Birken und Eichen in einer Höhe von bis zu 30 m. Jarl sichert sich so per Knoten und Seil ab, dass eine andere Person ihm im Notfall vom Boden aus retten kann. Das war aber bisher noch nicht der Fall.

Zwar ist ein gewisses Maß an Körperkraft beim Klettern wichtig, doch für einen 15-Jährigen wirkt Jarl nicht übermäßig muskulös. „Ich mache kein extra Krafttraining.“ Vielmehr führt er seine Schnelligkeit auf einen Mix aus Technik und Rhythmus beim Aufstieg zurück.

Jobben bei Baumkletterern

Sein Können nutzt Jarl mittlerweile in seinem Schülerjob bei einer Baumpflegefirma in Hamm. Die Firma entfernt abgestorbene Äste, kürzt Zweige über Laternen, Gehwegen und Straßen und fällt auch Bäume. Mit der Handsäge unterstützt sie Jarl.

„Beim Pflegeschnitt wird nur mit dem Seil geklettert, während beim Fällen von Nadelbäumen auch die Steigeisen zum Einsatz kommen“, erklärt der Kletterer fachmännisch. Dabei ist wichtig, die Bäume vorher genau anzusprechen. Das heißt, mögliche Gefahren zu entdecken. Verstecken sich Schädlinge oder Pilze im Geäst? Bevor der Kletterer mit einer Schleuder oder per Wurf das erste Seil über einen tragenden Ast hängt, muss er seine Ausrüstung genau kontrollieren. Dazu zählen neben dem Kletterseil ein Schoner für die Rinde, ein knapp 3 kg schwerer Gurt und ein Helm.

Seile, Karabiner und weiteres Klettergeschirr bewahrt Jarl zu Hause in einem extra Zimmer auf. Dort übt er wichtige Handgriffe. Manchmal hängt er wie eine Fledermaus im Zimmer und erntet verdutzte Blicke der Nachbarn. Vom Taschengeld und von Geschenken hat er sich selbst nach und nach die Ausrüstung gekauft.
„Es ist einfach eine andere Welt 30 m über dem Boden. Ich passe dort viel mehr auf“, antwortet Jarl auf die Frage, was das Klettern für ihn bedeutet.

Nach dem Ende der Schulzeit in knapp zwei Jahren möchte der junge Baumkletterer seine Leidenschaft mit einer Ausbildung verbinden. Entweder soll es eine Lehre zum Forstwirt oder zum Garten- und Landschaftsbauer sein. pat


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