Noch heute weiß Ella (Name von der Redaktion geändert), welche Farbe die Blumen hatten, die auf dem Tisch standen. Sie saß neben ihrer Schwester Klara auf dem großen grauen Sofa, ihnen gegenüber ihr Bruder Tom mit Vater Martin. Mutter Petra saß einzeln auf einem Sessel. Das ist die erste Erinnerung im Leben von Ella. Damals war sie vier Jahre alt. Und es war der Tag, an dem ihre Eltern ihr und ihren Geschwistern eröffneten, dass sie sich trennen würden. „Mein Vater hat die ganze Zeit geweint – meine Mutter hat gesprochen“, erzählt Ella. In diesem Moment zerbrach Ellas kleine Welt in tausend Scherben.
„Noch heute sehe ich mich als kleines Mädchen dasitzen“, erzählt die mittlerweile 24-Jährige, „und wünsche mir nichts sehnlicher, als die kleine Ella da rauszuholen“. Diesen Grad der Reflexion hat sie nicht allein erlangt. Sie hatte professionelle Hilfe. Doch dazu brauchte es Zeit.
Ab jetzt Einzelkind?
Nach der Trennung blieben Ella und ihre neunjährige Schwester Klara bei der Mutter. Ihr Bruder Tom entschied, beim Vater leben zu wollen. Da beide Elternteile weiter im gleichen Ort blieben, war es für die Kinder einfach, zwischen ihnen hin- und herzupendeln. Regelmäßig waren die Mädchen unter der Woche und auch an Wochenenden bei ihrem Vater. Tom besuchte seine Mutter hingegen nur selten.
Nach vier Jahren zog Ellas große Schwester auch zum Vater. „Ich stand quasi vor der Entscheidung, als „Einzelkind“ bei meiner Mutter oder mit meinen Geschwistern zu leben“, erinnert sich Ella. Sie entschied sich ebenfalls zu ihrem Vater zu ziehen.
16 km wie eine Weltreise
Es dauerte nicht lang, bis die Mutter der drei wegzog. „Sie wohnte zwar nur 16 km entfernt, aber für uns Kinder war es eine nahezu unüberwindbare Distanz“, sagt Ella. Die räumliche Trennung von ihrer Mutter war das eine. Das andere war das Gefühl, zu Hause mit ihrem Vater nicht über ihre Mutter sprechen zu können. „Mein Vater konnte es nicht ertragen, wenn ich über sie sprach“, sagt Ella, „geschweige denn, dass er selbst hätte über sie sprechen können – vor allem nicht positiv.“ Ella wog ab, was sie sagte und was nicht. Nur um niemanden zu verletzen. Wenn sie von ihrer Mutter erzählte, hatte sie das Gefühl, mit Ignoranz und Desinteresse gestraft zu werden. Ein Teil von ihr wurde mehr und mehr zum Tabuthema.
Verlust und Verrat
Ähnlich verhielt es sich auf Familienfeiern. „Wenn meine Mutter mir auftrug, ihre Schwiegereltern, also meine Oma und Opa, zu grüßen, dann tat ich das nicht“, erinnert sich Ella, „einfach aus Angst, etwas kaputt zu machen.“ Gravierender aber war, dass Feste nicht zusammengefeiert wurden und Ella wählen musste, bei wem sie zum Beispiel ihren Geburtstag feiern wollte. „Ich musste mich de facto zwischen meinen Eltern entscheiden und musste eine Wertung vornehmen – ob ich wollte oder nicht“, reflektiert sie.
Als Ella zehn wurde, zog ihre Mutter mit ihrem neuen Lebensgefährten nach Norddeutschland. „Ich habe das als Verrat empfunden und mich im Stich gelassen gefühlt“, erzählt die junge Frau. Doch darüber sprach sie mit niemandem. Denn schließlich wusste sie, dass ihr Vater damit nicht umgehen konnte. Gleiches galt für seine neue Partnerin, die mittlerweile das erste gemeinsame Kind erwartete.
35 Anrufe zur Hilfe
„Wir hatten es immer gut bei meinem Vater“, sagt Ella „und dennoch ging es uns nicht so.“ Die drei Geschwister verschlossen sich mehr und mehr. Ella und Klara sprachen immerhin untereinander. Tom hingegen blockte das Thema gänzlich ab. Vater Martin schlug den dreien vor, gemeinsam eine Therapie zu machen. „Damals wollten wir das nicht“, erinnert sich Ella wehmütig, „und wir haben uns durchgesetzt – leider.“ Zu diesem Schritt war sie erst 15 Jahre nach der Trennung ihrer Eltern bereit. Auch ihre Geschwister suchten sich Hilfe bei Psychologen.
Doch die Suche nach einer geeigneten Therapeutin war nicht leicht: Ella führte rund 35 Telefonate, um einen freien Platz zu ergattern. Es folgten Erstgespräche bei zwei Psychologinnen. Bei der ersten fühlte sie sich unwohl. Erst bei der zweiten Therapeutin hatte sie ein gutes Gefühl. „Ich bin dankbar dafür, dass mir vorher ein Freund gesagt hatte, dass man bis zu fünf Termine ausprobieren darf, ehe man sich auf eine Therapeutin festlegt“, erzählt Ella.
Themen sortieren
Heute, gut 20 Jahre nach der Trennung ihrer Eltern, geht sie immer noch regelmäßig zu ihrer Therapeutin. „Sie hilft mir, zu verstehen, was mir als Kind niemand erklärt hat“, sagt sie, „und außerdem kann ich mit ihr gemeinsam meine Themen durchdenken und sortieren“.
Früher, so sagt Ella, brach ihre mit Wut vermischte Trauer schon mal aus ihr heraus: „Da kam es vor, dass ich meine Mutter einfach am Telefon angeschrien habe.“ Heute geht sie die Dinge anders an: „Ich bereite mich auf die Gespräche mit meinen Eltern vor und habe gelernt, meine Probleme und Fragen klarer zu artikulieren als vor der Therapie.“
Nur 2 % besser
„Ich wünschte, mein Vater hätte sich damals durchgesetzt und wir hätten gemeinsam die Therapie gemacht“, sinniert Ella – obwohl sie weiß, dass ihre Probleme damit nicht verschwunden wären. „Aber wenn es nur 2 % besser geworden wäre, dann wären das vielleicht zehn fröhliche Tage mehr gewesen – und zehn sind schon verdammt viel.“
HilfsangeboteErste Anlaufstelle für Eltern sind die örtlichen Jugendämter. Obwohl nicht alle eigene Erziehungsberatungsstellen unterhalten, können sie dennoch helfen, geeignete Angebote vor Ort zu finden. Außerdem hilft der Blick ins Internet. Die Beratungsangebote sind grundsätzlich kostenlos und auch bei kirchlicher Trägerschaft unabhängig der Konfession. Folgend ein paar Anbieter:
Diözesanverbände der Caritas: Die Angebote der Verbände sind vielfältig benannt: Ehe-, Familien- und Erziehungsberatung oder auch Lebensberatung.
Diakonie Deutschland: Angebote in bundesweit mehr als 650 Beratungsstellen.
Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung: Onlineberatung via Zoom möglich.
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