Die Jahre fliegen nur so dahin

Zeitgefühl von Kindern und Erwachsenen

Kleine Kinder haben kein Zeitgefühl. Sie leben im Hier und Jetzt. Erwachsenen kommt ihre Kindheit rückblickend ewig lang vor. Voran liegt das?

Der kurze Zeiger zeigt die Stunden, der lange die Minuten – ab einem Alter von etwa fünf Jahren lernen Kinder, die Uhr zu lesen. „Das bedeutet jedoch nicht, dass sie wissen, was eine Stunde bedeutet“, sagt der Psychologe Dr. Marc Wittmann. Stunden, Minuten und Sekunden sind abstrakte Einheiten, die von unserer Kultur geschaffen wurden. Um das zu begreifen, ist zum einen abstraktes Vorstellungsvermögen notwendig. Zum anderen müssen Kinder Erfahrungen sammeln, ­beispielsweise indem sie immer wieder an Schulstunden ­teilnehmen, die 45 Minuten dauern.

Sätze wie „Wir müssen in fünf Minuten los!“ können Eltern sich also in den ersten Jahren getrost sparen. Auch der Hinweis „Wenn der große Zeiger auf der drei steht ...“ ist aus Sicht von Dr. Marc Wittmann zwecklos. „Kinder leben im Hier und Jetzt“, betont der Experte. Das Konzept der Zukunft kennen die Kleinen nicht. Er rät Eltern daher konkreten Bezug auf die Gegenwart zu nehmen. „Zieh dich jetzt bitte an!“ 

Zeitempfinden ist subjektiv

Sowohl für Kinder als auch für Erwachsene gilt: Die gefühlte Zeit ist sehr subjektiv. Vielen Erwachsenen erscheint ihre eigene Kindheit rückblickend beispielsweise ewig lang ge­wesen zu sein. Die Jahre als Erwach­sener fliegen dagegen nur so dahin. Psychologen bezeichnen diesen Effekt als Zeitparadoxon. Zeit, in der wir viele neue Eindrücke sammeln – so wie es als Kind der Fall ist – kommt uns rückblickend lang vor. Tage, in denen wir immer wieder die selben Dinge erledigen, hinterlassen hingegen wenig Spuren im Gedächtnis und erscheinen rückblickend kurz. Genau andersherum verhält es sich mit dem Gefühl des momentanen Zeitverlaufs. Passiert nichts, kommt uns die Zeit ewig lang vor. Erlebenwir etwas Neues, ist sie im Nu um.

Spannendes Zeit-Experiment

Der Zeitforscher Marco Walg hat da-zu im ARD-Fernsehen ein Experi-ment durchgeführt. Eine Gruppe von 14 Teilnehmern unterschiedlichen Alters wurde in zwei Kleingruppen geteilt. Die eine Hälfte spielte in einem Raum Spiele, die andere musste ohne Beschäftigung vor der Tür warten. Nach 21 Minuten sollte jeder Teilnehmer aufschreiben, wie viel Zeit seiner Einschätzung nach vergangen war. Die wartenden Teilnehmer schätzten die Zeit viel länger, die spielenden erheblich kürzer ein. Besonders beeindruckend: Die Spanne aller Schätzungen reichte von 5 Minuten und 30 Sekunden bis zu 60 Minuten.