Abstand halten lautet in Zeiten der Corona-Pandemie das Gebot der Stunde. Und das ich auch richtig! Denn nur so können wir uns selbst und andere schützen. Und dennoch: Ständig auf Distanz zu unseren Mitmenschen gehen zu müssen – das macht etwas mit uns. Wir sind erstaunt, wie gerne wir unserem Gegenüber einmal wieder zur Begrüßung die Hand schütteln würden. Nicht nur, weil es für uns fast schon ein Reflex ist. Sondern weil wir uns durch diesen kurzen, intensiven Kontakt miteinander verbunden fühlen. Eine innige Umarmung mit Familienmitgliedern und Freunden scheinen wir fast schon körperlich zu vermissen. Und da ist tatsächlich etwas dran.
Zahl der Patienten steigt
„Bei einer Umarmung schüttet der Körper das Bindungshormon Oxytocin aus“, erläutert PD Dr. Christine Norra, Direktorin der LWL-Klinik in Paderborn sowie Chefärztin der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie. Gleichzeitig werden Stresshormone reduziert. Und das ist zurzeit besonders wichtig. Denn die Corona-Pandemie und die damit verbundene Unsicherheit setzt uns unter Stress. Dr. Christine Norra sieht das mit Sorge. Denn gepaart mit der sozialen Isolation führt das dazu, dass die Zahl der Patienten sowohl im ambulanten als auch stationären Bereich steigt.
„Betroffen sind sowohl Menschen mit einer psychischen Vorerkrankung als auch solche ohne Vorbelastung“, berichtet sie. Zu den Folgen zählen depressive Reaktionen, häufiger jedoch Angst-Panik-Störungen. Diese können sich beispielsweise durch Panikattacken beim Tragen einer Maske zeigen.
Decke statt Umarmung?
All das sind Gründe, warum wir jetzt mehr denn je auf uns und unsere Mitmenschen Acht geben sollten. Also zunächst zurück zu den Umarmungen. Ein Tipp, der vermutlich banal klingt: Nehmen Sie sich die Zeit, Ihren Partner wieder regelmäßig von Herzen zu umarmen. Im hektischen Alltag ist diese Art des Körperkontakts bei vielen Paaren über die Jahre in Vergessenheit geraten. Sie werden sich wundern, wie gut das tut. Doch was ist mit denjenigen, die keinen Partner (mehr) haben oder allein leben?
- Haustiere: „Wer zurzeit niemanden hat, den er umarmen kann, für den kann ein Haustier diese Funktion übernehmen“, gibt Dr. Christine Norra einen Tipp. Denn auch der Kontakt zu Tieren kann Stress bekanntermaßen erheblich reduzieren, für Glückshormone sorgen und den Blutdruck senken.
- Wellness: Gehen Sie in dieser Zeit besonders achtsam mit sich um. Ein warmes Bad bei sanftem Licht kann beispielsweise das Wohlbefinden steigern. Sie sollten sich regelmäßig bewegen und das Tageslicht nutzen. Auch eine Lichttherapie kann hilfreich sein.
- Gewichts-Decken: Vielleicht haben Sie es selbst schon einmal gemerkt. Wenn eine besonders schwere Decke auf uns liegt, kommen wir gut zur Ruhe. Sogenannte Gewichts- oder Therapie-Decken können diesen Effekt verstärken. Sie wiegen zwischen 4 bis 12 kg und üben auf den Körper sanften Druck aus – ähnlich wie bei einer Umarmung. Laut Schlafmediziner Michael Feld scheinen diese Decken ihren Nutzern über die Gewichtsrezeptoren im Körper tatsächlich ein gutes Gefühl zu geben. Im Idealfall verbessert das den Schlaf. Das Gewicht der Decke sollte etwa einem Zehntel des eigenen Körpergewichts entsprechen. Ist die Decke zu schwer, wird aus dem Gefühl des Wohlbehagens schnell ein Gefühl der Beklemmung. Trotz ihres Gewichts sind die Decken übrigens nicht zwangsläufig besonders warm. Sie eigenen sich auch für die Sommermonate. Der Preis liegt je nach Anbieter zwischen 60 und 350 €.
„Wir brauchen Ziele“
Ebenso wichtig wie das körperliche ist das psychische Wohlbefinden. Dafür ist es essenziell, Ziele vor Augen zu haben, ist Dr. Norra überzeugt. Sie wünscht sich, dass die Politik beispielsweise verlässliche Aussagen zur Impfstrategie trifft. So hätten die Menschen ein konkretes Ziel, auf das sie hinarbeiten könnten. Doch wann so viele Personen geimpft sein werden, dass ein normales Leben wieder möglich sein wird, kann derzeit niemand konkret sagen. Das große Ziel – die Rückkehr zur Normalität – bleibt noch vage.
Umso wichtiger ist es, sich im privaten Bereich kleine Ziele zu setzen, auf die wir uns freuen. Das kann das Türschwellengespräch mit dem Nachbarn oder das gemeinsame Kaffee-Trinken über eine Video-Plattform wie Zoom oder Skype sein. Oder wie wäre es, einfach mal wieder zum Telefonhörer zu greifen? Räumen Sie während des Telefonats ausnahmsweise einmal nicht gleichzeitig die Spülmaschine aus, sondern setzen Sie sich in Ruhe aufs Sofa. Vielleicht machen Sie sich eine Liste mit den Personen, die Sie in der Adventszeit gerne anrufen wollen. „Wertvoll ist es in diesem Zusammenhang, für Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit zu sorgen“, sagt Dr. Christine Norra.
Ein einmaliges (digitales) Treffen oder Telefonat ist eine schönes Sache. Wirklich Halt gibt es den Beteiligten jedoch erst dann, wenn es fest zum Wochenrhythmus gehört und damit auch zu einem strukturierten Alltag beiträgt. „Jeder sollte diejenigen Menschen in seinem Umfeld im Blick behalten, denen ein solcher regelmäßiger Kontakt derzeit besonders gut tun würde“, plädiert Dr. Christine Norra.
Maske positiv betrachten
Ein weiterer Baustein, der erheblich zum eigenen Wohlbefinden beitragen kann, sind positive Gedanken. „Grundvoraussetzung dafür ist, dass ich die derzeitige Situation annehme und akzeptiere“, sagt die Expertin. Dann gilt es, Dinge, die für mich negativ besetzt sind, positiv umzudeuten. Der englische Fachbegriff dafür lautet „Reframing“, was übersetzt so viel bedeutet wie „in einen neuen Rahmen setzen“.
Statt sich beispielsweise darüber zu ärgern, ständig eine Maske tragen zu müssen, rät Dr. Christine Norra zu folgender Sichtweise: „Die Maske ist für mich wie ein guter Freund, ein guter Begleiter, der mich schützt und damit gut für mich ist.“ Masken in leuchtenden Farben oder mit schönen Mustern können zusätzlich für gute Laune sorgen. Und das nicht nur bei Ihnen, sondern auch bei den Menschen, denen Sie begegnen – egal, ob im Supermarkt, in der Kirche oder vor der Kita. Mit Abstand selbstverständlich. Und in der Hoffnung, dass wir in einigen Monaten wieder häufiger das Lächeln hinter der Maske sehen und Großeltern und Enkel sich wieder frei und von ganzem Herzen in die Arme schließen können werden.