Feste und Bräuche in Westfalen

Weihnachten: Warum steht da ein Baum im Haus?

Der erste Weihnachtsbaum wurde im 16. Jahrhundert in einem Zunfthaus in Bremen aufgestellt. Von dort war es ein langer Weg in die Wohnstuben der Bürger – noch länger dauerte es, bis der Baum in den Bauernhäusern ankam.

Weihnachten? „Dao gaongen wi inne Kerke, sangen Leeder, und dat was’t dann all. – Da gingen wir in die Kirche, sangen Lieder, und das war’s dann auch schon.“ Mit diesen Worten erinnerte sich in den 1960er-Jahren eine 90 Jahre alte Frau aus Alstätte im westlichen Münsterland an das Weihnachtsfest ihrer Kindheit. Vor allem auf dem Land war Weihnachten lange Zeit ein kirchliches Hochfest, nicht mehr und nicht weniger. Es war ein Tag ohne Bescherung, ohne Geschenke – und auch ohne geschmückten Baum im Haus.

„Der Weihnachtsbaum kam erst zu meiner Kinderzeit um die Jahrhundertwende auf“, berichtete ein Landwirt aus Epe im Westmünsterland der Volkskundlichen Kommission in Münster. „In den ersten Jahren wussten die Eltern nichts Rechtes damit anzufangen. Eintönig und kahl und armselig stand der grüne Baum auf dem großen Bauerntisch.“

Der lange Weg nach innen

Der Brauch, zum Weihnachtsfest einen Baum ins Haus zu holen und zu schmücken, stammt nicht vom Land, sondern aus der Welt des städtischen Handwerks. Die Volkskundlerin Ingeborg Weber-Kellermann fand einen der frühesten Hinweise in der Hansestadt Bremen des 16. Jahrhunderts. Einer Zunftchronik zufolge stellten Handwerker einen kleinen Tannenbaum im Zunfthaus auf, den sie mit Äpfeln, Nüssen, Gebäck und Papierblumen drapiert hatten.

Der geschmückte Baum war also seinem Ursprung nach ein öffentliches Zeichen zum Fest. In langsamen Schritten gelangte der Baum dann ins Private.

Einer der ersten Weihnachtsbäume Westfalens soll um 1780 in einem evangelischen Pfarrhaus in Witten aufgestellt worden sein. In den evangelisch geprägten Regionen Westfalens wie dem Siegerlan, dem Minden-Ravensberger Land oder im Fürstentum Lippe, verbreitete sich dieser Brauch am ehesten.

Baumfreie Bauerndörfer

Im katholischen Münsterland stellte die Familie der Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff um 1820 einen der ersten geschmückten Weihnachtsbäume auf. Preußische Regierungsbeamte und Lehrer, Kaufleute und Gastwirte waren hier die Nächsten, die den vornehmen Brauch aufgriffen und ihn in die noch „baumfreien“ Bauerndörfer des Münsterlandes, einführten. So berichtet der oben genannte Landwirt aus Epe:

„Wir gingen damals Jahr für Jahr zum benachbarten Wirtshaus. Der Eigentümer war nicht aus unserer Bauerschaft, sondern aus dem Bergischen zugezogen. Er hatte die Sitte des Weihnachtsbaumes aus seiner Heimat mitgebracht. Die ganze Jugend von den benachbarten Höfen und Kotten ging nach Büscher. Hier im Gastzimmer war ein großer Tannenbaum aufgerichtet, mit viel Schmuck und Leckereien. Wir Kinder umstanden den Lichterbaum und sangen die alten Weihnachtslieder.“

Noch immer wurde der Weihnachtsbaum als ein öffentlicher Brauch betrachtet. Auf dem Land stand der Baum lange Zeit nur in Gasthäusern und Kirchen, kaum hingegen in den privaten Wohnstuben der Bauernhäuser.

Ein exklusiver Brauch

Doch warum geschah das alles? Warum hatten „bessere Kreise“ damit begonnen, sich zu Weihnachten die Natur ins Haus zu holen und einen Baum zu schlagen, um ihn für einige Tage oder Wochen aufzustellen? Und warum ausgerechnet eine Tanne oder Fichte?

Über diese Fragen ist viel gerätselt und noch mehr spekuliert worden. Denn mit der Botschaft des weihnachtlichen Kirchenfestes kann der Baum nicht in Verbindung gebracht werden. Sicher ist: Als das Baumaufstellen sich im 19. Jahrhundert ausbreitete, waren Nadelbäume eher selten verbreitet und entsprechend teuer. Nur wenige konnten es sich leisten, eine Tanne oder Fichte zu schlagen, um sie als Schmuck im Wohnhaus aufzustellen, statt sie als einträglichen „Brotbaum“ wachsen und gedeihen zu lassen. Adlige, wohlhabende Bürger und Pfarrer zählen nicht ohne Zufall zu den ersten, die zum Fest einen Weihnachtsbaum aufgestellt haben. Der Volkskundler Dietmar Sauermann spricht von einer „Exklusivität dieses Brauches“.

Wer den Brauch seinerzeit nicht mitmachen wollte oder konnte, der schmückte sein Haus mit anderem Grün wie etwa Buchsbaum-, Kiefer-, Mistel- oder Ilexzweigen. Sie waren also keineswegs die ältere Form, das Haus zu schmücken, sondern sie waren Ersatz für die knappen Nadelbäume. So notierte ein Landwirt aus Breckerfeld in seinen Erinnerungen: „In den Jahren bis 1905 gab es hierzulande selten Tannenbäume, die meisten Leute behalfen sich mit einer Hülse (Ilex).“


„Ich habe den ersten Weihnachtsbaum 1920 gesehen“


Gertrud Rolfes (1900-1980), Bäuerin in Alstätte im westlichen Münsterland, hat viele Berichte über das Alltagsleben in Westfalen verfasst. Auch das Weihnachtsfest ihrer Kindheit hat sie eindrücklich beschrieben. Über das Aufkommen des Weihnachtsbaums schreibt sie:

„Ich habe den ersten Weihnachtsbaum 1920 in der Schule gesehen. Mit 20 Jahren kam ich in ein klösterliches Pensionat. Hier war auch der Weihnachtsbaum. Als wir am ersten Weihnachtstag von der Christmesse wieder heimkamen, führten uns die Schwestern zur Bescherung zum Weihnachtsbaum. Da haben wir dann gesungen und sind gesprungen um den Weihnachtsbaum.
Das andere Jahr, 1921, als ich wieder zu Hause war und Weihnachten nahte, ließ mich der Gedanke nicht los, einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Wir Kinder haben uns heimlich Kugeln und Kerzen besorgt. Als wir nun den Baum fertig hatten, da war es den Eltern doch ganz recht. Von da an zog der Weihnachtsbaum so langsam ins Elternhaus ein.
Im Sommer 1923 habe ich geheiratet. Bis dahin war in der Familie meines Mannes auch noch kein Tannenbaum aufgestellt worden. Dafür habe ich aber dann Sorge getragen, dass jedes Jahr ein Weihnachtsbaum da war. Da haben wir immer schöne Weihnachten gefeiert, auch zur größten Freude der Kinder. Wir hielten weihnachtsmorgens Bescherung. Denn das Christkind hatte über Nacht die Geschenke unter den Christbaum gelegt. Alles war ganz im bescheidenen Maße, doch hatte jeder seine Freude daran.“

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