Am Ortsrand von Münster-Hiltrup – also dort, wo das Wochenblatt entsteht – liegt ein Waldstück mit hoch gewachsenen Buchen und Eichen. Ein geschotterter Weg führt quer durch den Wald, ein weiterer zieht sich am Rand des Waldes entlang – es ist ein ehemaliger Wirtschaftsweg, der aber kaum befahren wird. In der Nähe plätschert ein schmaler Bach. Außer einigen morgendlichen Hun-debesitzern trifft man dort in der Regel eher selten jemand.
Jetzt, im Jahr drei „nach Corona“, bietet sich ein anderes Bild. Durch den Wald winden sich plötzlich Trampelpfade, wo vorher keine waren. An Baumstämmen lehnen dicke Äste. Sie sind zu so etwas wie Spielhütten zusammengestellt, vermutlich von Kindern, die sich so ihre Langeweile vertrieben haben. Am schmalen Bach ist an einer dicht bewachsenen Stelle die Böschung niedergetreten, Äste und Stämme sind abgewetzt. An ihren Wurzeln liegen morgens Getränkedosen oder Bonbontüten. Überhaupt liegt mehr Müll im Wald als früher.
Ansturm auf die Natur
Vielerorts im Land sind ähnliche Spuren zu sehen, die die Pandemie in der Landschaft hinterlassen hat. Radfahren und Wandern, Joggen und Spazierengehen, Tagesausflüge und Kurztrips zu Zielen in der Nähe zählten schließlich zu den wenigen Tätigkeiten, die während der Lockdowns erlaubt und möglich waren. Das sorgte für regen Ansturm auf die Natur.
Zum Beispiel im Nationalpark Eifel: 2019, also „vor Corona“, wurden dort rund 890.000 Besucher gezählt. Im ersten Corona-Jahr 2020 schnellte die Zahl auf 1,35 Mio. Besucher hoch, 2021 waren es 1,1 Mio.
Ähnlich im Nationalpark Nordschwarzwald: Dort kamen allein zwischen April und Juni 2020 rund 100 .000 zusätzliche Gäste – 50 % mehr als zu normalen Zeiten. An den Pfingsttagen 2020 wurde sogar ein Plus von fast 70 % verbucht.
Ob am Dümmer oder im Teutoburger Wald, ob im Sauerland oder im Harz: Überall war der Ansturm groß. Auf sonst beschaulichen Wanderpfaden herrschte plötzlich enges Gedränge. Zufahrtswege und Durchfahrtsstraßen mussten gesperrt werden. Ungefragtes Parken auf Wiesenflächen, Hinterlassen von Müllmengen, ein bisweilen aggressives Verhalten gegenüber Kontrollorganen – das war damals in sonst ruhigen Gegenden an der Tagesordnung.
„Mit den Regeln nicht vertraut“
„Viele Besucher waren mit den Regeln des Nationalparks oder mit dem Verhalten in Wäldern nicht vertraut“, berichten aus dem Nordschwarzwald Torsten Clement, Tourismus-Amtsleiter der Stadt Bad Urach, und Heide Megerle, die als Geographie-Professorin an der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg arbeitet. Ihre Beobachtungen bringen der Amtsleiter und die Professorin auf einen Begriff: „Overtourism“ – also wörtlich: Übertourismus. Man könnte auch sagen: Des Guten zu viel.
Vieles hat sich wieder entspannt. Aus dem Ansturm der Jahre 2020 und 2021 aber haben sich neue Ideen entwickelt. In Bayern und Baden-Württemberg wird bereits mit onlinegestützten Angeboten wie „Ausflugsticker“ oder „Freizeitampel“ experimentiert, die die Touristenströme lenken sollen.
Nationalpark Eifel: Die Gäste in der Natur lenken?
Ähnliches hat der Tourismusforscher Dirk Schmücker auch für den Nationalpark Eifel und die zwölf Naturparke in NRW vorgeschlagen. Seine Idee: An Wanderparkplätzen sollten Auslastungsdaten erhoben und zentral zusammengeführt werden, um Gästen über das Handy rechtzeitig andere Zielorte und -strecken vorzuschlagen. Laut Schmücker wären dafür landesweit 300 Messstellen erforderlich. Die allerdings seien an Orten ohne Strom und ohne Mobilfunknetz nur mit hohem Aufwand zu installieren.
Der Nationalpark Eifel hat bereits einen anderen Weg gefunden, den Ansturm der Gäste zu lenken. Für das „digitale Besuchermanagement“, wie es dort offiziell heißt, wurde eigens eine Arbeitsstelle geschaffen. Seit August ist die Tourismus- und Geographie-Expertin Jasmin Daus tätig. Als erstes hat sie die Routen-Apps und digitalen Wanderplattformen in den Blick genommen. Denn die meisten Besucher planen ihre Tour längst per Handy statt per Wanderkarte. Daus nennt dazu eindrucksvolle Zahlen:
„Unser Account auf der Plattform ,Outdoor Active‘ hatte 2019 immerhin rund 35 000 Zugriffe, aber im ersten Corona-Jahr 2020 schoss die Zahl auf über 170 000 Zugriffe hoch.“ In diesem Jahr rechnet sie mit insgesamt etwa 110 000 Zugriffen. „Auf der Plattform bekommen Interessierte über unseren Account ausschließlich Routen und Touren vorgeschlagen, die wir zuvor mit Rücksicht auf die Natur entwickelt haben“ – ein wichtiges Instrument der Besucherlenkung also.
„Digitale Ranger“ weisen die Wege
Ähnliches sei auch über die digitale Plattform „Komoot“ möglich. Doch dort könne jeder Nutzer die Routenvorschläge des Nationalparks ändern. Die digitale Kartengrundlage sei da ein weiteres wirkungsvolles Steuerungsinstrument. Denn wie Daus erläutert, stützen sich Komoot und viele weitere digitale Angebote auf Karten des freien Anbieters „Open Street Map“, einer Art Wikipedia für Karten aller Art. „Einzelne Wege, die etwa durch besonders geschützte Gebiete führen, kann ich dort mit dem Vermerk ,no access‘ (kein Zutritt) versehen – dann werden sie bei den Routenvorschlägen gar nicht mehr berücksichtigt.“ Das scheint besser zu wirken als jede Warnung und jeder Schlagbaum.
Ähnliche „digitale Ranger“ gibt es inzwischen auch in der Sächsischen Schweiz, im Bayerischen Wald und im Nationalpark Berchtesgaden. Die Erfahrungen aus tausend Tage Corona haben gezeigt, wie notwendig diese Form des Besuchermanagements geworden sind – und wohl auch bleiben. Daus: „Inzwischen ist der große Ansturm wieder abgeflacht, aber die Zahl der Besucher im Nationalpark wird auf einem deutlich höheren Level als vor 2020 bleiben.“
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