Herberhausen? Für viele Detmolder hatte dieser Stadtteil lange einen zweifelhaften Ruf. Nach dem Abzug der britischen Rheinarmee 1995 zogen viele Migranten in die 800 Wohnungen von „Klein-London“. Heute sind rund 40 verschiedene Nationalitäten in den mehrstöckigen Putzbauten aus den 1960er Jahren zu Hause. Der Weg zum nächsten Supermarkt führt über das Gelände, das dem Stadtteil seinen Namen gab: das Gut Herberhausen.
Hundert Meter von der architektonisch schlichten Engländer-Siedlung entfernt dominieren Fachwerk, Bruchsteinfundamente und eine rote „Backstein-Burg“ aus dem 19. Jahrhundert.
Torhaus in Schieflage
Rainer Schnitger parkt seinen weißen Pritschenwagen vor einem Gebäude, das weniger herrschaftlich daherkommt. Zwischen Zufahrt und Fußweg liegt das Torhaus des Gutes. Vier mächtige Tore beherrschen die Ansicht vom Hof aus. Dass das Gebäude einst eine Durchfahrtsscheune war, daran glaubt der Mann aus Rietberg im Kreis Gütersloh aber nicht. „Dafür ist das Gefälle zu stark“, sagt der 51-Jährige. Die Außenseite liegt anderthalb Meter höher als die Tore zum Hof.
Schnitger ist Zimmermeister und Bautechniker für Baudenkmalpflege und Altbauerhaltung. Vor zehn Jahren hat er das Haus mit seinem damaligen Kompagnon gekauft und instand gesetzt. Heute ist er alleiniger Eigentümer. Von Rietberg aus saniert er mit seinem neunköpfigen Team altes Fachwerk und konstruiert Häuser im Holzrahmenbau. Schnitger schätzt alte Bausubstanz und hat ein Herz für den Denkmalschutz. Er selbst wohnt mit Frau und vier Kindern in einem Vierständer-Fleetdeelenhaus.
Abriss beantragt
Einige Jahrzehnte hatte das Torhaus von Gut Herberhausen vor sich hin gegammelt. Die Öffnungen waren verbrettert, Balken verfault und das Krüppelwalmdach windschief. Die Stadt Detmold hatte lange vergeblich nach einer Nutzung gesucht und schon den Abriss beantragt. Schließlich fragte sie die Restauratoren, die sie von anderen Baustellen auf dem Gelände kannte. Die rechneten scharf, zahlten einen Euro und stellten eine Bedingung: Mit der Sanierung wollten sie sich Zeit lassen.
„Eine Winterbaustelle kann man zur Auslastung der eigenen Leute immer gut gebrauchen“, erklärt Rainer Schnitger. Und so trieben die Fachleute die Baustelle in Herberhausen ab 2007 Schritt für Schritt voran. Erst sicherten sie Dach und Wände. Dann entfernten sie alles, was nicht zur ursprünglichen Fachwerkkonstruktion gehörte, einschließlich des kompletten Südgiebels. Stück für Stück brachten sie Ordnung in den Bau-Wirrwarr der vergangenen Jahrzehnte und schufen drei Wohnungen.
Gesundes Klima
Der Natursteinsockel und die imposanten Radabweiser blieben erhalten. Die schiefe Ebene im Inneren musste dagegen weichen. Treppen verbinden heute in allen Wohnungen die verschiedenen Niveaus. Inzwischen hat das Haus Neubaustandard. Eine Lehmschale und Lehminnenputz sorgen für ein gesundes Wohnklima.
Aber jeden Preis rechtfertige der Denkmalschutz nicht, sagt Rainer Schnitger. Aufwand und Nutzen müssten in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Beim Torhaus gehe das so gerade auf, vor allem dank der besonderen Abschreibungsmöglichkeiten, die es für Denkmäler gibt. Über zwölf Jahre kann Schnitger die Sanierungskosten von der Steuer absetzen.
Im Wettlauf der Mieter
Mit 75, 80 und 130 m2 Wohnfläche bieten die drei Wohnungen jeweils Platz für Paare oder Familien. Die beiden Einheiten an den Giebelseiten haben einen Garten, die Wohnung in der Mitte verfügt über einen Freisitz zum Hof hin.
2015 schaltete Schnitger die erste Anzeige in einem Immobilienportal. „Die Firmennummer gebe ich bei sowas nicht mehr an“, sagt er lachend. In zwei Stunden meldeten sich 60 Interessenten. Die Wohnungen so ganz anders als der Rest von Herberhausen, entpuppten sich als Renner.
„Es ist ein Lottogewinn, dass mein Mann diese Anzeige gesehen hat“, sagt Paula Juuti, während sie ihre Wohnung mit offener Küche, hohen Decken und dem Wohnbereich hinter einer Fachwerkwand zeigt. Erst am Vortrag sind die beiden aus Finnland, der Heimat der gelernten Krankenschwester, zurückgekommen. Als sie in Rente ging, mussten sie nach 38 Jahren die Mitarbeiterwohnung in Bielefeld-Bethel aufgeben. Die neue Bleibe in Herberhausen passte genau zu ihren Bedürfnissen. Hinterm Haus parkt ihr Wohnmobil, mit dem sie jeden Sommer in den hohen Norden fahren. In das Bad haben sie eine kleine Sauna eingebaut. Und auf dem Hof steht der Anhänger mit dem Equipment ihrer kleinen Firma. In Lippe und Umgebung verkaufen sie auf Festen Flammlachs.
Innenstadt in Reichweite
Bei der Kalkulation der Miete orientierte sich Rainer Schnitger am Mietspiegel der Stadt Detmold. Dieser berücksichtigt neben dem baulichen Standard auch die Lage einer Wohnung. Herberhausen liegt in Reichweite der Innenstadt. Bis zum Detmolder Schloss sind es knapp drei Kilometer. „Man ist schnell in der Stadt und kann abends auch mal ein Lagerfeuer machen“, erklärt Schnitger.
Er selbst ist alle paar Wochen vor Ort, manchmal auf Sonntagstouren mit seinem alten Motorrad. Die Sanierung alter Häuser sei seine Leidenschaft, sagt er. Aber auch mit der Rolle als Vermieter hat er sich angefreundet und eine Jobbeschreibung entwickelt: Als Vermieter müsse man Betriebswirt, Handwerker und manchmal auch Psychologe sein.