Wo die Reise ins eigene Haus begann, das ist nach zehn Jahren nicht mehr ganz klar. Zur Auswahl stehen die Dorfkneipe und das Amtsgericht. Am Tresen hatte Thorsten Kaiser erfahren, dass das alte Fachwerkhaus mitten in Linnepe unter den Hammer kommt. Im Arnsberger Amtsgericht machte der damals 27-Jährige ein paar Wochen später Nägel mit Köpfen. Mit einem beglaubigten Scheck in der Tasche ersteigerte er das ehemalige Bauernhaus samt Grundstück. Gut 60 000 € musste er dafür auf den Tisch legen. „Meine Mutter war mindestens so aufgeregt wie ich“, erinnert er sich an den Tag Anfang März 2008. „Das ist schon etwas anderes als im Internet bei Ebay.“
Was er da wirklich gekauft hatte, wusste Thorsten Kaiser damals allerdings noch nicht. Er hatte ein Gutachten gelesen und kannte Anwesen und Vorbesitzer seit Kindertagen. Sein Elternhaus steht am Ortseingang, wenige Hundert Meter entfernt.
Linneper aus Leidenschaft
Linnepe, ein Ortsteil von Sundern, zählt 450 Einwohner. „Wenn man Linneperhütte und Wenighausen mitrechnet“, schränkt Thorsten Kaiser ein. Mit einer jüngeren Schwester ist er im Ort aufgewachsen. Diese Kindheit im Grünen muss ihm gefallen haben. Nach einer Ausbildung zum Industriemechaniker und dem Abitur studierte er in Meschede Maschinenbau. Tagsüber konstruiert er heute Industriearmaturen in Warstein, 40 Minuten und genauso viele Kilometer von zu Hause entfernt. Weggehen, das war nie eine Option. Ein Auslandssemester in Nor- wegen, das war’s. Das Herz blieb in Linnepe: bei der Familie, den Trommeleinsätzen im Tambourkorps und der Feuerwehr.
Mit Familie und Freunden machte sich Thorsten Kaiser im Sommer 2008 ans Werk. Von außen sah das Haus ganz propper aus, mit weiß verputzten Gefachen und bunt bepflanzten Blumenkästen. Drinnen zeigte sich aber schnell, dass es mit Schönheitsreparaturen nicht getan war. Der Vorbesitzer hatte wenig Rücksicht auf die denkmalgeschützte Substanz genommen. Zement und Styropor, Rigips und Bauschaum mussten in Massen raus. Gemeinsam mit einem Architekten schmiedete und zeichnete Thorsten Kaiser danach Pläne.
Höhen und Tiefen
Aus der alten Deele sollte ein offener Wohnbereich werden, mit einem Esstisch unter der 4,20 m hohen Decke, einer Wohnnische im alten Kuhstall und der Küche da, wo einst zwei Pferde standen. So weit die Theorie. In der Praxis stapelten sich die baulichen Probleme. „Wir hatten hier 1000 verschiedene Höhen“, spitzt Thorsten Kaiser zu. Die Deele fiel zum Tor ab, zwischen den vielen verschachtelten Räumen in Erd- und Obergeschoss gab es jede Menge Stufen. Dazu kamen fehlende Fundamente, marode Balken und kniffelige Fußböden. Nichts, was Thorsten Kaiser aus der Ruhe bringen konnte.
Er entwickelte seinen eigenen Bau-Rhythmus. Morgens fuhr er früh zur Arbeit, nach einem Nickerchen am Nachmittag arbeitete er abends und am Wochenende auf der Baustelle. „Ohne Pausen hält man das nicht durch“, sagt er. Auch mit der Arbeit an Balken und Böden vor der Brust feierte er Schützenfest, fuhr in Urlaub und engagierte sich ehrenamtlich.
Wie lange dauert’s noch?
Natürlich bekam auch er ständig die Standard-Frage an alle Bauherren zu hören. „Wie lange dauert’s denn noch?“ – „Noch zwei Jahre“, lautete seine Standardantwort, neun Jahre lang. Über diese Anekdote lacht heute auch Sandra Kaiser, Thorstens Ehefrau. Auf seinem 30. Geburtstag im November vor acht Jahren war sie zum ersten Mal auf der Baustelle. Das Haus, damals mehr offenes Fachwerkgerüst als gemütliches Heim, war Partyort.
Zwei Jahre später wurde aus den beiden ein Paar und die selbstständige Raumausstatterin bekam ihre erste Hausführung. „Da war er schon aufgeregt“, erinnert sie sich. Aber im Gegensatz zu einigen Skeptikern konnte sie sich vorstellen, dass der Bau einmal fertig wird. Vor ihrem inneren Auge wurde aus dem mit Lehm verputzten Raum unter der Treppe ein freundliches Badezimmer und aus dem großen Raum im Obergeschoss ein helles Schlafzimmer.
Raum erbuddeln
Schnell lernte Sandra Kaiser aber auch: „Hier ist nichts mal eben gemacht.“ Mit der Antwort auf eine bautechnische Frage tauchte meist schon die nächste auf. Nach und nach erbuddelte sich Thorsten Kaiser den Platz für eine durchgängige Bodenplatte. Die Gefache mauerte er mit Lehmziegeln aus. Innen dämmte er mit einem Gemisch aus Lehm und Kork, brachte eine Schalung aus Fichtenholz auf und tackerte Schilfrohrmatten auf. Als finale Schicht spritzte er Lehmputz auf. Das Wissen dafür sammelte er bei Fachleuten und in Fachbüchern.
Geheizt wird das Haus über Erdwärme, drei 80 m tiefe Bohrungen wurden dazu auf dem Grund stück gemacht. Im Erdgeschoss ist eine Fußbodenheizung installiert. Im Obergeschoss schlängeln sich die Heizschleifen durch die Wände. Damit er beim Bilderaufhängen keine Leitung trifft, hat sich der Ingenieur extra eine Wärmebildkamera angeschafft.
Noch einen Platz suchen die Kaisers für ihr Hochzeitsbild. 2013 haben sie geheiratet. Ende 2015 kam Tochter Frauke zur Welt. Da ging der Innenausbau langsam, aber sicher auf die Zielgerade. Eine besondere Baustelle hatte sich Thorsten Kaiser fast bis zuletzt aufgespart: 36 m2 Grauwacke im Fischgrätmuster. Der traditionelle Sauerländer Bodenbelag hatte schon vor der Sanierung auf der Deele gelegen, musste für die neue Bodenplatte aber raus. Abertausende Steine hat der heute 37-Jährige zusammengepuzzelt. An seinen Arbeitsabenden schafft er einen halben Quadratmeter, am Sams tag auch schon einmal einen ganzen. Barfuß sei der Boden ein Traum, versichert Sandra Kaiser. Für Fraukes Hosen war er ein Albtraum. Eine ganze Garnitur hat sie beim Krabbeln durchgescheuert.
Im Lebkuchenhaus
Die Kaisers sind in ihrem neuen, 220 m2 großen Zuhause angekommen und haben den ersten Sommer genossen. Dieses Jahr wollen sie sich um die Außenanlagen kümmern, nächstes Jahr um die Fassade. Denn noch hat das Haus mit seinen Lehmziegeln die Optik eines Lebkuchenhauses. Den Kalk für den weißen Anstrich hat Thorsten Kaiser schon eingesumpft.
Immer wieder in Kontakt stand er mit den Denkmalspezialisten des Landschaftsverbandes WestfalenLippe. Erst vor zwei Wochen war eine Vertreterin da. „Grandios“ fand sie, was aus dem Haus geworden ist. Thorsten Kaiser ist optimistisch, dass weitere Häuser in Linnepe in den nächsten Jahren eine Frischzellenkur bekommen. „Vor ein paar Jahren haben wir gedacht: Was machen wir mit den ganzen Häusern? Momentan werden sie gesucht.“ Und was braucht man für eine gelungene Sanierung? Im Grunde das Gleiche wie für das Verlegen von Grauwacke: „Viel Geduld und gute Knie.“