Missbrauch

Sexueller Missbrauch bleibt meistens unentdeckt

Mal sind es Berührungen oder anzügliche Bemerkungen, in anderen Fällen sexuelle Handlungen, oft über einen langen Zeitraum – sexueller Missbrauch von Kindern hat viele Gesichter. Schauen Sie hin!

Eva ist seit einiger Zeit auf­fällig still. Die sonst so aufgeweckte Siebenjährige ist verschlossen, wirkt nachdenklich. Selbst zum Fußballtraining mag sie nicht mehr gehen. Der Klassenlehrerin fällt auf, dass mit Eva ­etwas nicht stimmt, und spricht die Eltern an. Auch sie hatten sich bereits Sorgen gemacht. Bestätigt durch die Eindrücke der Lehrerin sprechen sie mit Eva. Was sie ­erfahren, macht sie fassungslos. Seit Wochen wird Eva von einem Trainer sexuell belästigt.

Jedes siebte bis achte Kind betroffen

Zugegeben, dieser Fall ist fiktiv. Er steht als ein mögliches Beispiel für das, was in vielen Familien geschieht. Nicht immer gibt es eine aufmerksame Lehrerin, die die Ini­tiative ergreift. Und nicht immer glauben Eltern ihrem Kind, wenn es sich ihnen anvertraut.

Von manchen Taten berichten die Medien, da sie öffentlich aufgedeckt werden oder ein unvorstellbares Ausmaß annehmen, wie die Beispiele von Lügde oder Münster. Die meisten aber bleiben unentdeckt. Laut polizeilicher Kriminalstatistik werden seit 2010 jährlich zwischen 13  500 und 14  900 Kinder Opfer sexualisierter Gewalt. Das sind nur die bekannten Fälle. Experten schätzen die tatsächliche Zahl deutlich höher. Demnach ist jedes siebte bis achte Kind in Deutschland betroffen. Das entspricht etwa ein bis zwei Schülerinnen oder Schülern pro Klasse.

Wo fängt sexueller Missbrauch an?

Sexualisierte Gewalt hat viele Erscheinungsformen. Experten unterscheiden zwischen Grenzverletzungen, sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch.
Grenzverletzungen sind alle Verhaltensweisen gegenüber Kindern und Jugendlichen, die deren persönliche Grenzen überschreiten. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn jemand ein Kind in den Arm nimmt, obwohl das dem Kind un­angenehm ist, oder wenn Fotos vom Kind ungefragt weitergeschickt werden.
Im Gegensatz dazu passieren sexuelle Übergriffe nicht aus Versehen und sie kommen gehäuft vor. Ein sexueller Übergriff ist es zum Beispiel, wenn jemand wiederholt wie zufällig die Brust oder die Genitalien eines Mädchens berührt oder sexualisierte Bemerkungen über die körperliche Entwicklung eines Kindes macht. Sexuelle Übergriffe sind je nach Umstand strafbar.
Unter sexuellem Missbrauch sind Handlungen zu verstehen, die strafrechtlich relevant sind. Ein sexueller Missbrauch liegt vor, wenn jemand sexuelle Handlungen am Kind ausführt oder das Kind sexuelle Handlungen am Täter oder an anderen Kindern ausführen soll. Strafbar ist ebenso, Kindern pornografische ­Bilder oder Videos zu zeigen oder sie dazu aufzufordern, untereinander oder an sich selbst sexuelle Handlungen auszuführen.

Kinder verstehen nicht, was passiert

Meistens finden die Übergriffe im nahen Umfeld der Familien statt, sagt Julia Beermann, Diplom-­Sozialpädagogin an der Fachstelle gegen sexuellen Missbrauch am Caritasverband für Ahlen, Drensteinfurt und Sendenhorst. Dazu zählen neben der Kernfamilie auch Schule, Kita, Freizeitbereich, Nachbarschaft, Freunde. Der Missbrauch geschieht in allen Gesellschaftsschichten. Opfer sexualisierter Gewalt sind etwa zu zwei Dritteln Mädchen und zu einem Drittel Jungen.

Ein Missbrauch bleibt häufig auch deshalb unentdeckt, weil den Kindern zum Zeitpunkt der Taten gar nicht bewusst ist, was mit...