Ruhestand

Erst Rente, dann Krise?

Mit der Rente ist es nicht lustig. Manche Menschen fallen in ein tiefes, leeres Loch. Wie ein sorgenfreier Ruhestand gelingt und was für die Psyche wichtig ist, erklärt Dr. Hartmut Walz, Professor für Verhaltensökonomie, Hochschule Ludwigshafen.

Wochenblatt: Herr Professor Dr. Walz, Ruhestand ist kein XXL-Urlaub. Die Wahrheit sieht nämlich anders aus?

Walz: Nur wer sich auf seinen Ruhestand vorbereitet, kann die Vorzüge genießen und sorgenfrei alt werden. Wer das nicht tut, bei dem kann die lang ersehnte Rente in Langeweile, Depressionen und dadurch auch in einen frühen Tod umschlagen.

Wochenblatt: Auf der einen Seite sorgenfreies Leben, auf der anderen ein früher Tod? Anders gefragt, welche Gewinne und Verluste stehen sich beim Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand gegenüber?

Walz: Auf der Gewinnseite haben wir die Posten Freiheit und Freizeit. Wir sind entpflichtet, tragen keine Verantwortung mehr, etwa für den Betrieb, müssen nicht mehr mit dem Wecker aufstehen und nicht so viele Rollen erfüllen. Demgegenüber stehen die Verluste: Sinnverlust, aber auch der Macht- und Einflussverlust. Man ist aus der Sicht vieler Bezugspersonen nicht mehr so wichtig.

Wochenblatt: In der Tat hört man immer wieder, dass irgendwer von irgendwem weiß, der nach dem Arbeitsleben in ein emotionales Loch gefallen ist.

Walz: Die unterschiedlichen Geschichten, die wir alle kennen – von dem einen, der glücklich ist, und von dem anderen, der unglücklich ist, können wir auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Sinn. Menschen sind nämlich Sinnsucher – ihr ganzes Leben lang.

Wochenblatt: Sinnsucher – das hört sich jetzt aber wirklich sehr philosophisch an ...

Walz: „Sinnsuche“ ist nun mal der zen­trale Begriff. Der hat aber weniger mit Philosophie als mit messbarer Lebensqualität und Zufriedenheit zu tun. Daher ist es wichtig, nicht bis zum letzten Tag zu ackern, sondern den Ruhestand individuell vorzubereiten und sich Hobbys und Tätigkeiten zu suchen, die Sinn stiften. Glückliche Rentner sind diejenigen, die ihrem Leben einen Sinn geben. Sei es durch ihre Enkel, als Kassenwart im Sportverein oder als Rosenzüchter. Es gibt keinen einheitlichen oder objektiven Sinn. Jeder muss seinen Sinn selbst finden – und vor dem Eintritt in den Ruhestand sollten wir diesen Aspekt neu prüfen. Das ist eine ganz tolle Chance!

Wochenblatt: Was machen „unglückliche“ Rentner falsch?

Walz: Solange jemand einen Job – eine Aufgabe – hat, wird er gebraucht. Die Arbeit erfüllt ihn und stiftet Sinn. Wer jedoch alle Sinnquellen nur aus der Arbeit bezog, ist sehr gefährdet, wenn er in den Ruhestand tritt. Sobald diese „Schaffer“ (workaholics) nicht mehr arbeiten, fehlt ihnen der Sinn, und sie schlittern in eine regelrechte „Sinnkrise“ – Langeweile und Depressionen inklusive. Es sei denn, sie schaffen es, ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben. Oft ist zu beobachten, dass Menschen, die kurz nach der Rente sterben, in einer tiefen Sinnkrise steckten.

Wochenblatt: Wen trifft eine Sinnkrise am ehesten?

Walz: Häufig trifft sie Menschen in...


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