Ein Haus umringt von der Natur am Waldrand. Gleich dahinter grasen einige Schafe. Heute bezeichnet Cécile Droste das Leben in der kleinen Ortschaft Lütmarsen bei Höxter als lebenswert. Doch als sie auf Wunsch ihres Mannes im Juli 2019 aufs Land zog, hatten Cécile, ihr Mann Nicolaus und ihre drei Kinder einige Hürden zu bewältigen.
Traum vom Land
Aber von vorne: Cécile Droste ist gebürtige Pariserin. Das Studium brachte sie erst nach Straßburg, später zog sie dann nach Frankfurt, wo sie mit ihrem Mann Nicolaus in den ersten Jahren nach ihrer Hochzeit lebte. Ganz anders als Cécile ist er kein Stadtkind. Der studierte Forstwissenschaftler ist in Lütmarsen aufgewachsen, einem knapp 1000 Einwohner kleinen Stadtteil von Höxter. Den Traum aufs Land zu ziehen, teilte die Pariserin nicht. Schon als die beiden 2006 arbeitsbedingt nach Münster zogen, dachte sie: „Oh mein Gott – Provinz!“
Doch 2019 sollte sich die Lage ändern. Nicolaus Eltern hatten sich entschlossen, in eine altersgerechte Wohnung zu ziehen. Daher stand sein Elternhaus in Lütmarsen zur Verfügung. Und auch die Situation von Nicolaus und Cécile hatte sich grundlegend geändert: Als nunmehr fünfköpfige Familie wünschten sich die jungen Eltern mehr Zeit für ihre Kinder, mehr Flexibilität im Job und Raum für die Natur. Außerdem hegte Nicolaus den Wunsch, den Forstbetrieb seines Vaters zu übernehmen. Die 160 ha Wald sind für ihn ein Stück Heimat. Nach vielen Überlegungen und Gesprächen stand der Entschluss fest: Lütmarsen sollte das neue Zuhause werden.
Arbeiten auf dem Land
Die beiden Eltern mussten zunächst einmal herausfinden, welche Perspektiven sie auf dem Arbeitsmarkt im Kreis Höxter haben würden. Cécile – ausgebildete Psychologin und selbstständige Coachin für Trauer – hörte sich zunächst vor Ort um, ob es bereits ähnliche Angebote gab. Nicolaus wusste, dass im ländlichen Raum Fachkräftemangel herrschte und war sich sicher, dass seine langjährige Erfahrung ihm schnell zu einem Job verhelfen würde. „Ich dachte, es wird ein Selbstläufer“, erzählt der 44-jährige.
Ein Selbstläufer wurde es dann doch nicht. Sowohl Nicolaus als auch Cécile trafen mehrfach auf verschlossene Türen. „Die Menschen und Unternehmen schienen sich kaum dafür zu interessieren, was wir mitbrachten“, schildert die Psychologin.
Knapp ein Jahr nach dem Umzug, nach Renovierung des Hauses und Übernahme des Forstbetriebes trat Nicolaus schließlich eine Stelle als Verwaltungsleiter eines pastoralen Raums im Bistum Paderborn an. Auch Cécile konnte wieder als Coachin tätig werden: Als ihr bei der Suche nach einem Hausarzt die Methoden und die Praxis des Arztes gefielen, fragte sie ihn nach einer Mitnutzung der Räumlichkeiten. Seitdem hält sie ihre Sitzungen in der Praxisgemeinschaft ab und darf sogar einige Kontakte des Teams nutzen.
Insgesamt war die Kontaktaufnahme allerdings oftmals mühselig. „Eine Rückkehragentur hätte uns sicherlich unterstützen können", glaubt Nicolaus. Vor dem Umzug hatte er von der Gründung einer Rückkehragentur in Höxter in der Zeitung gelesen und sich gleich dort gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Agentur ihre Arbeit jedoch noch nicht aufgenommen.
Stadt- und Landkinder
Auch für die Kinder war der Umzug aufs Land eine Herausforderung – vor allem für die älteste, Florence, die vor dem Wechsel auf die höhere Schule stand, war das nicht einfach. Sie fühlte sich fremd, ihre Freunde fehlten ihr. Zu den neuen Klassenkameraden kann sie nicht mehr allein mit dem Fahrrad fahren, im ländlichen Raum sind die Strecken länger. „Florence ist eine Stadtpflanze“, berichtet ihre Mutter. Nach und nach entdeckte sie durch ihre neue Heimat aber auch neue Seiten an sich selbst. Sie verbrachte viel Zeit im Garten mit ihrer Oma, fand heraus, dass sie ein großes Gedächtnis für Pflanzenarten und -namen hat und entwickelte Liebe zur Natur.
Ihren jüngeren Geschwistern Vincent und Eloïse fiel der Neuanfang leichter. Vincent schloss sich einem Fußballverein an und knüpfte dort schnell neue Kontakte. Schließlich landete er sogar, ganz der Landmensch, im Spielmannszug.
Zwei verschiedene Welten
Auch wenn vieles für Familie Droste reibungslos verlief – wie die Suche nach Kita- und Schulplätzen – so trafen und treffen die Rück- und Zuzügler auch auf Schranken. Sie haben das Gefühl, viele Menschen fürchten sich vor Veränderungen und neuen Ideen aus der Großstadt. Als die Stadt dringend Kindergartenplätze benötigte, wollten Cécile und Nicolaus in ihrem Wald einen Waldkindergarten einrichten. Dafür hatten sie bereits einen etablierten Träger von Kitas gefunden. Am Ende entschied sich die Stadt jedoch für ein anderes Angebot.
Auch das Miteinander ist ein anderes, als sie es gewohnt sind. Unangemeldet vor der Tür stehen und nach Holz aus dem Forstbetrieb fragen, ist für Cécile ungewohnt. Für die alteingesessenen Lütmarser war das „immer schon“ normal. Die Botschaft der Familie: Man sollte den Menschen Zeit geben und akzeptieren, dass sie eine Weile brauchen, um zu vertrauen. „Wir sind nicht hergekommen, um das gleiche Leben wie in der Stadt zu führen“, betont Nicolaus.
Aus Haus wird Heim
Mittlerweile kann auch Cécile Vorzüge im ländlichen Raum sehen. Sie hat ihr Coaching für Trauernde erweitert und bietet jetzt auch Sitzungen im Wald an. Zu den zwei Schafen, die schon beim Einzug hinterm Haus gegrast haben, sind zwei weitere hinzugekommen. Das Aufwachsen mit Tieren war der Französin nie möglich und so sieht sie die Tiere als Bereicherung, für ihre Kinder und auch für sich selbst. Besonders gut gefällt den Drostes, dass sie regionale Lebensmittel beziehen können: „Für uns ist das ein zusätzliches Stück Lebensqualität!“
Ob die Familie für immer auf dem Land bleiben will, steht nicht fest. „Wir bleiben im offenen Gespräch, anders würde das nicht funktionieren!“, ist sich Cécile sicher. Gerade in Corona-Zeiten sind sie aber froh, ein Stück eigenes Grün zu haben.
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