Wer Landwirte und ihre Familien in schwierigen Situationen berät (hier finden sich Anlaufstellen), hat zurzeit mehr zu tun als ihm lieb ist. Ursula Muhle, Geschäftsführerin des Landfrauentelefons NRW berichtet von doppelt so vielen Anrufen wie im Vorjahr.
Maria Höschen von der Ländlichen Familienberatung Hardehausen sagt: „Wir sind an der Kapazitätsgrenze, ermuntern aber weiter jeden, der Hilfe braucht, sich zu melden.“ Auch Bernhard Gründken von der Landwirtschaftskammer NRW ist gemeinsam mit seinem Beraterteam täglich unterwegs, um Landwirte in Fragen der Einkommens- und Vermögenssicherung zu beraten.
Resignation dominiert
„Es gibt wirklich Familien, die in großer Verzweiflung anrufen, weinen und gar nicht wissen wie sie sprechen können“, berichtet Maria Höschen. Wut und Zorn treffe er nur noch selten an, sagt Bernhard Gründken. „Es macht sich Resignation breit.“ Selbst die wendigsten Unternehmer fänden zurzeit kaum Wege aus der Krise.
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Viele Landwirte arbeiten in schlechten Zeiten noch einen Schritt schneller, sind morgens früher und abends länger im Stall, auch weil sie sich Aushilfen oder einen Auszubildenden sparen. Betriebe mit vielen Mitarbeitern und hohen Festkosten sorgten sich nicht nur finanziell, betont Maria Höschen. Sie fragten sich auch: „Was ist bei uns, wenn jemand durch Corona ausfällt. Wie schaffe ich es dann noch?“
Immer öfter bekommt Bernhard Gründken zu hören: „Ich schmeiße die Brocken hin und tue mir das nicht mehr an.“ Corona wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Es gibt kein Unternehmerkreistreffen mehr, keine Ortsversammlung, kein Schützenfest. „Die sind den ganzen Tag auf dem Betrieb, alleine im Stall“, erklärt Bernhard Gründken. „Das drückt aufs Gemüt.“
Ursula Muhle beobachtet, dass sich in dieser Extremsituation grundsätzliche Fragen stellen. Zum Beispiel: „Wir sind groß geworden und die junge Generation ist eingestiegen. War das der richtige Weg?“ Plötzlich ständen ganze Lebenspläne in Frage.
Schluss mit Smalltalk
Was hilft landwirtschaftlichen Familien jetzt? Die größte Baustelle bleibe die Kommunikation, betont Maria Höschen. „Wir sprechen über die Arbeitsverteilung oder machen Smalltalk. Aber wir reden nicht über das, was wir persönlich wirklich wollen. Da fehlt oft der Mut.“
Dabei sei es so wichtig zu wissen, ob alle in der Familie den Weg des Betriebes noch mitgehen wollten oder sich im Familienleben Veränderungen wünschten. Gerade für die junge Generation, die jetzt auf den Höfen Verantwortung übernimmt, sind das große Herausforderungen und hohe Erwartungen.
Bernhard Gründken bremst allzu risikobereite Hofnachfolger: „Manche investieren auf Teufel komm raus. Sie haben gar nicht die Erfahrung gemacht, dass auch mal was schief gehen kann, dass die Kosten steigen können oder ein Mitarbeiter ausfällt.“
Maria Höschen bewundert, wie reflektiert viele junge Leute sind. „Sie schauen auch auf das Familiäre, nicht nur auf die Größe von Kuh- oder Sauenstall. Sie sehen nicht nur, wenn der Trecker in die Werkstatt muss. Auch wenn in der Familie was schief läuft, holen sie sich Hilfe.“
Die Corona-Zeit biete die Chance, das Gespräch zu suchen, sagt Ursula Muhle. Man müsse ja nicht gleich die ganz großen Themen anpacken. Befreit vom Freizeitstress könne man den Partner am Abend einfach mal fragen: Was waren schöne Momente, die du heute erlebt hast? „Das kann der Raureif am morgen, die Geburt eines Kalbes oder etwas ganz Anderes sein.“
Kommentare stecken lassen
Wer sich Sorgen um Familien in seiner Umgebung mache, auch der könne sich als Gesprächspartner anbieten. Schnelle Tipps und Parolen seien aber fehl am Platz. „Das ernsthafte Zuhören ist wichtig“, sagt Maria Höschen. Es helfe, Kommentare stecken zu lassen und stattdessen Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Was wünschst du dir? Was kannst du selber machen? Es sei wichtig, füreinander da zu sein und den Menschen ernsthaft in den Blick zu nehmen, nicht das Problem.
Allen Menschen tue es gut, jemanden an seiner Seite zu wissen. Ursula Muhle empfiehlt deshalb nicht nur einmal, sondern auch mehrfach anzurufen.
Neue Nachbarschaften
Einig sind sich die drei im Wochenblatt-Gespräch, dass sich Nachbar- und Bauerschaften in den kommenden Jahren verändern werden, „Den Landwirt, den Bauern, den konnte man immer einspannen, wenn es in der Nachbarschaft etwas zu tun gab“, sagt Bernhard Gründken. Wenn sich die Zahl der Betriebe weiter reduziere, gehe auch in diesem Bereich etwas verloren. Nachbarschaften bräuchten noch mehr Pflege und auch eine andere Grundhaltung.
Es brauche Wertschätzung dafür, dass Familien und Betriebe ihre eigenen Wege gehen, sagt Ursula Muhle. „Der eine hat vielleicht seinen landwirtschaftlichen Betrieb und nebenher noch eine andere Selbstständigkeit. Der andere setzt stärker auf Direktvermarktung und wieder jemand anderes ganz auf einen Beruf außerhalb der Landwirtschaft.“ Sie wünscht sich, dass Veränderungen positiv gesehen werden und das ständige Vergleichen aufhört. Kurzum: „Der eine macht dies, der andere das und trotzdem sind wir eine gute Nachbarschaft, erfreuen uns an der Landschaft und können gemeinsam feiern.“